„Nicht zu übereilten Entscheidungen drängen lassen“

Die Entdeckung eines Ölfelds vor Ghanas Küste im Jahr 2007 hat zu einem Boom im Süden des Landes geführt. Die Preise für Grundstücke schießen ebenso in die Höhe wie neue Gebäude. Die Menschen in der Region sorgen sich indessen um die Natur und hoffen auf ein transpa-rentes System zur Verteilung der Einnahmen durch das Öl. Ein Gespräch mit Nana Kobina Nketsia V. Er ist ein Chief, ein traditioneller Führer, in der Region Esikado im Südwesten von Ghana.

Als traditioneller Führer hat Ihr Wort Gewicht bei der Entwicklung an der Küste von Ghana, vor der Öl gefunden wurde. Wofür setzen Sie sich ein?

Wir wollen erreichen, dass das Öl, das vor unserer Küste gefördert wird, den Gemeinden in der Region nützt. Wir haben die Öl-Verschmutzung in Nigerias Niger-Delta vor Augen und wollen verhindern, dass es in Ghana genauso kommt. Wir wissen auch, dass in Nigeria die Chiefs von Teilen der Bewohner des Deltas als Mitschuldige für die Verschmutzungen und das Unrecht angesehen werden. Deshalb wollen wir nicht die gleichen Fehler machen, die dort passiert sind. Uns ist klar, wie verheerend sich Öl auf die politische Lage eines Landes auswirken kann. Wir kennen die warnenden Beispiele unter anderem aus Ländern wie Äquatorialguinea oder São Tomé und Príncipe. Selbst Angola hat es nicht geschafft, den schädlichen Auswirkungen zu entkommen.

Sie haben in Nigeria studiert und an der Universität gelehrt. Sind Sie jemals ins Niger-Delta gereist?

Nein, ich war nie dort, aber mir war immer bewusst, was dort vor sich geht. Nigeria und Ghana haben eines gemeinsam: In beiden Staaten gibt es Bodenschätze und in beiden Staaten profitieren die Menschen in den Förderregionen nicht davon. In Ghana hat die Förderung von Gold, Diamanten, Bauxit oder Mangan im Westen nicht zu Wohlstand geführt. Deshalb sage ich: Lasst es uns mit dem Öl anders machen! Die Entwicklung des Landes sollte von der Region ausgehen, in der das Öl gefunden wird, und sich dann auf den Rest des Landes auswirken. Das funktioniert eher als die umgekehrte Richtung.

Spätestens ab 2011 soll Ghanas Öl aus den Feldern vor der Küste verkauft werden. Wie verlaufen die Verhandlungen?

Die meisten von uns sind nicht direkt an den Verhandlungen zwischen Regierung und Firmen beteiligt. Deshalb sind die Organisationen der Zivilgesellschaft so wichtig. Sie müssen Transparenz einfordern. Sie haben die Chiefs zu mehr Gesprächen untereinander bewegt und mit den Menschen vor Ort über die Gefahren für die Natur gesprochen. Das ist gut, weil jeder in der Gegend Verschmutzungen befürchtet. Das Leck im Golf von Mexiko hat allen Angst gemacht. Sogar in den USA kann so etwas trotz aller Technik passieren. Wenn man dann an ein mächtiges Unternehmen wie BP denkt und einen Staat wie Ghana, was kann man da tun? Niederknien und beten, dass so etwas hier nie passiert! Wenn die Gewässer verseucht würden, ginge auch die wichtige Fischereikultur und -industrie von Ghana ein. Für die Beschäftigung ist so ein Szenario beängstigend. Daran hängt eine ganze Kultur, Tradition, Wissen, wirtschaftliche Sicherheit und Ernährung.

Wie hat sich die Küstenregion denn seit der Entdeckung des Öls verändert?

Ich lebe in Sekondi-Takoradi, einer Stadt mit zwei Häfen. Vor ein paar Jahren brauchte ich 10 bis 15 Minuten, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Heute benötige ich mit Glück eine Dreiviertelstunde. Das ist ärgerlich. Von den Häfen wird ständig Ausrüstung zur Ölförderung über die schmalen Straßen transportiert. Das Verkehrsaufkommen hat sich massiv erhöht. Wir wollen deshalb, dass die Stadtplanung auf die steigende Einwohnerzahl reagiert. Die Zentralisierung ist ein großes Problem: Die meisten Bergbau- und Ölfirmen sind im Westen tätig, ihre Zentralen sind aber in der Hauptstadt Accra im Osten. Das wird sich hoffentlich ändern.

Steigen die Preise für Wohnraum?

Häuser und Land werden teurer – auch aufgrund von Spekulation. Das ist beängstigend. Es gibt Leute, die so verarmt sind, dass sie am Ende das wertvollste verkaufen, was sie haben, ihr Land.

Was erwarten Sie von den Firmen, die in Ghana Öl fördern wollen?

Von den Firmen  wünschen wir uns die Beteiligung der Bevölkerung, keine Entfremdung wie in Nigeria. Dort kooperieren die Firmen direkt mit der Zentralregierung. Nigerias Kommunen wurden ignoriert, deshalb wird nun gekämpft. Eine meiner Ideen zur Beteiligung der Bevölkerung ist, die Fischer an der Überwachung von Ghanas Küste zu beteiligen. Ghanas Marine ist zu klein, um die ganze Küste zu überwachen. Die Fischer könnten Wasserverunreinigungen oder verdächtige Boote melden. Unsere Gemeinden haben immer für ihre eigene Sicherheit gesorgt, das sollte so bleiben.

Hoffen Sie auf strenge Gesetze, um Verunreinigungen zu verhindern?

Natürlich kann man versuchen, den Schutz der Umwelt per Gesetz einzufordern. Dann braucht man aber auch die Leute, die ein gutes Gesetz schreiben und es durchsetzen. Ich bin skeptisch, dass das in Ghana gelingt. Die Ölfirmen sollten den Anspruch haben, es in Ghana besser zu machen als anderswo. Sie sollten sich fragen, ob sie wirklich für Konflikte mitverantwortlich sein wollen wie in anderen Staaten, wo Öl-Geld zu Blut-Geld geworden ist.  

Die hochrangigen Chiefs in Ghana vertreten die Interessen der Bevölkerung im National House of Chiefs, das ist gewissermaßen eine Vertretung der Regionen. Haben die Chiefs ein Mitspracherecht bei der Ölförderung?

Das National House of Chiefs steht mit dem Parlament in Verbindung und kann sich zu allen Fragen äußern, die das Wohlergehen ihrer Leute gefährden. Ich bin allerdings Mitglied des untergeordneten Regional House of Chiefs. Wenn ich wieder in Ghana bin wird es darum gehen, dass wir Chiefs in unserer Region noch enger zusammenarbeiten und gemeinsame Positionen für den Schutz unserer Region finden.

Die Einnahmen aus dem Öl sollen nach Vorstellung einiger Politiker in einen Fonds fließen, den das Parlament kontrolliert, damit kein Geld veruntreut wird. Was halten Sie davon?

Ich bin nicht sicher, ob parlamentarische Kontrolle Schutz vor Korruption bedeutet. Das ist in Deutschland, Indien oder in den USA nicht anders. Wir brauchen eine transparente Institution mit Mitgliedern der Kirchen und anderen verlässlichen Akteuren der Gesellschaft, die die Verwendung des Geldes überwachen und kon­trollieren. Wenn man die Sache dem Parlament überlässt, geht es schief. Es geht darum, Leute zu finden, die etwas besitzen, das die Politiker nicht haben: das Vertrauen der Öffentlichkeit. Jede Institution kann korrupt sein. Deshalb müssen wir für die Verwaltung der Öleinnahmen eine Einrichtung schaffen, in der es sehr schwierig ist, Geld zu veruntreuen. Zum Glück gibt es nichtstaatliche Organisationen, die dafür eintreten, denn in Ghana können 80 Prozent der Leute nicht lesen und schreiben.

Die lokale Bevölkerung ist also zu wenig beteiligt?

Ja, viele Radiostationen senden in Englisch, aber nur wenige Menschen in unserer Region sprechen Englisch, obwohl das die offizielle Sprache ist. Es wäre also wichtig, die Leute in ihrer Sprache mit Informationen zu versorgen. Ich sage Informationen, nicht Propaganda. Doch auch wir Chiefs müssen sehr aufpassen, dass wir uns nicht überrumpeln lassen.

Das Gespräch führte Felix Ehring.

 

erschienen in Ausgabe 10 / 2010: Artenvielfalt: Vom Wert der Natur
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