Frauen hören die Signale

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Feminismus
Überall auf der Welt kämpfen Frauen für ihre Rechte und gegen Diskriminierung. Einmischung aus dem Westen ist dabei nicht immer hilfreich.

"Keine von uns ist frei, solange wir nicht alle frei sind." Mit diesen Worten eröffnete Myrna Cunningham Kain die 13. Internationale Konferenz der Frauenrechtsorganisation AWID (Association for Women’s Rights in Development) im Mai vergangenen Jahres im brasilianischen Salvador da Bahia. Die alle drei bis vier Jahre stattfindende Konferenz bringt engagierte Vertreterinnen der Frauenrechtsbewegungen aus der ganzen Welt zusammen, um feministische Zukunftsentwürfe zu entwickeln. Der Tagungsort Salvador war mit Bedacht gewählt worden. Nach Istanbul, Kapstadt, Bangkok und dem mexikanischen Guadalajara schien die Hafenstadt im Nordosten Brasiliens eine naheliegende Wahl. Sie ist das Zentrum der afrobrasilianischen Kultur, und hier hat ein Drittel der Sklaven, die einst vom afrikanischen Kontinent verschleppt wurden, die Neue Welt betreten.

Der Konferenzsaal bot ein beeindruckend multikulturelles Bild. Unter den 1800 Teilnehmerinnen aus über 130 Ländern waren Frauen mit Behinderungen, junge Feministinnen, lesbische Frauen, Migrantinnen, Sexarbeiterinnen und indigene Frauen. Die AWID-Konferenz ist ein Spiegelbild der weltweiten Probleme, mit denen Frauen zu kämpfen haben. Bei allen Gemeinsamkeiten in ihren Zielen und Erfahrungen machte die Konferenz zugleich deutlich, wie unterschiedlich ihre Lebenswelten sind.

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Frauenrechte und Feminismus Ideen des Westens sind, von dort in die übrige Welt ausstrahlen und in anderen Kulturen und Traditionen völlig fremd sind. In Wirklichkeit gibt es überall in der Welt Bewusstsein und Engagement für Frauenrechte. Das liegt ganz einfach daran, dass es in jeder Gesellschaft und in jedem Land tief verwurzelte Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern gibt. Machthierarchien beruhen auf Unterscheidungen – ob das nun das Geschlecht, die ethnische Zugehörigkeit, die Religion, der ökonomische Status, die Kaste oder die regionale Herkunft ist.

Patriarchale Herrschaft bringt überall auf der Welt in Kombination mit Rassismus, Neokolonialismus und globalem Kapitalismus zutiefst ungerechte Verhältnisse hervor, in denen das Leben für Frauen und Männer nicht dasselbe ist. Wer zusätzlich einer der anderweitig unterdrückten Minderheiten oder Gruppierungen angehört, hat gleich unter mehrfacher Marginalisierung zu leiden. So werden beispielsweise Frauen und Mädchen mit Behinderungen zwei bis drei Mal häufiger Opfer von Gewalt und haben es dann auch noch schwerer, Hilfe oder überhaupt nur Gehör zu finden.

Trotzdem können Frauen auf eine lange und stolze Geschichte zurückblicken, in der sie überall auf der Welt für ihre Rechte gekämpft und in ihrer Gesellschaft Führungspositionen übernommen haben. So werden in Afghanistan bereits seit Generationen Volkslieder gesungen, die sich gegen die Frühverheiratung von Mädchen aussprechen. Trung Trac und Trung Nhi, zwei Schwestern aus einem vietnamesischen Dorf, standen für drei Jahre an der Spitze ihres Volks, nachdem sie im Jahr 40 n. Chr. mit einer hauptsächlich aus Frauen gebildeten Armee gegen die chinesische Han-Dynastie rebelliert hatten. Nana Asma’u war im 19. Jahrhundert die führende Gelehrte im Norden des heutigen Nigerias, damals das Kalifat von Sokoto. Sie verfasste Gedichte, welche die Grundprinzipien des Reichs vermittelten, beriet Herrscher, schloss Friedensverträge mit Nachbarländern und organisierte einen Kreis von Lehrerinnen, die Frauen unterrichteten.

Frauen standen in den Kolonien beim Unabhängigkeitskampf ihrer Länder an der vordersten Front. Es ist noch nicht lange her, dass liberianische Frauen der Organisation Liberia Mass Action for Peace einen entscheidenden Beitrag zur Beendigung des Bürgerkriegs in ihrem Land und zur Entwaffnung der Kombattanten geleistet haben. Überall im Nahen Osten und im Norden Afrikas forderten und fordern Frauen mehr Demokratie und ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

Doch ein großer Teil der Geschichte dieser Frauen ist in Vergessenheit geraten oder nur verfälscht überliefert worden – und damit auch ihre Ziele, ihre Bemühungen und das, was ihre Stärke ausmachte. Viele Länder besaßen keine Möglichkeiten, ihre Geschichte aufzuzeichnen. Was dennoch aufgeschrieben wurde, wurde nicht weiter überliefert. So wurden Frauen von den patriarchalischen Kräften ihrer Heimat oder den Männern der Kolonialmächte, die nicht sehen konnten oder wollten, was sie zu leisten vermochten, aus der Geschichte getilgt. Und dennoch blüht und gedeiht heute überall auf der Welt der Protest von Frauen gegen Gewalt, Armut, gegen die Zerstörung ihrer Häuser und ihrer Umwelt sowie ihr Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bildung.

Trotzdem werden Frauen in Ländern außerhalb Europas und Nordamerikas manchmal reflexartig als schwach, schutzlos und hilfsbedürftig angesehen. Im Jahr 2001 beschrieb Makau Mutua, der in Kenia geborene amerikanische Jura-Professor, in einem Artikel, wie im internationalen Dialog dunkelhäutige Menschen häufig entweder als autoritäre und zur Brutalität neigende Wilde oder als ohnmächtige und unschuldige Opfer dargestellt werden, denen Retter zu Hilfe eilen müssen – in der Regel Weiße. So wurde der Kriegseinsatz des Westens in Afghanistan nachträglich auch damit gerechtfertigt, dass sich die Rechtslage der Frauen nach dem Sturz des Taliban-Regimes verbessert habe.

Viele Menschen in Europa und Nordamerika sind davon überzeugt, dass Frauen und Mädchen in anderen Ländern „gerettet“ werden müssen. Zudem machen sie sich ein exotisches Bild ihres Lebens. Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass sie auf bestimmte Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen fixiert sind: Genitalverstümmelung, Säureattentate, Mädchenhandel. So schlimm diese Formen von Gewalt sind und so wichtig es ist, sie stärker zu bekämpfen und den Opfern besser zu helfen: Darin zeigt sich eine geradezu obsessive Beschäftigung mit der Sexualität von Frauen und der Bedeutung weiblicher Attraktivität in anderen Kulturen und Gemeinschaften.

Dies kann sich für die betroffenen Frauen und Mädchen nachteilig auswirken. Das Eintreten für Frauenrechte wird oft als Einmischung betrachtet und ruft Abwehrreaktionen hervor. Vor allem die männlichen Eliten der betroffenen Länder sehen darin mehr und mehr einen Auswuchs von westlichem Kulturimperialismus. Die Folge ist ein umso stärkeres Festhalten an einer starren patriarchalischen Kultur und Tradition; man glaubt verteidigen zu müssen, was schon immer so war.

Eine ähnliche Dynamik lässt sich beobachten, wenn es um die Rechte von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen (LGBTI) geht. Das teils offene, teils auch stille Engagement ausländischer Regierungen in dieser Frage hat in Ländern wie Uganda, Nigeria und Senegal den Vorwurf imperialistischer Bevormundung verstärkt. Die Vorstellung, diese „abweichenden“ sexuellen Orientierungen seien der afrikanischen Kultur und Tradition fremd, hat sich dadurch eher noch verfestigt. Typisch für diese Denkweise ist der senegalesische Präsident Macky Sall, der meinte, die Afrikaner würden von den Europäern auch nicht verlangen, die Polygamie einzuführen, also sollten diese ihnen nicht die Homosexualität aufzwingen.

So werden die Rechte von Frauen und der LGBTI-Gemeinde zum Reizthema. Wer sich für sie stark macht, kommt in Konflikt mit patriarchalischem, homophobem und transphobem Denken und muss sich gegen den Vorwurf wehren, gegen die eigene Gesellschaft und das eigene Land zu kämpfen.

Bei dieser Art von Engagement bleibt zudem weitgehend unbeachtet, wie das Thema Frauenrechte auch vom globalen Kapitalismus und den immer mächtiger werdenden Konzernen ausgenutzt wird. Unternehmen schmücken sich in ihrer Werbung und Öffentlichkeitsarbeit gerne mit dem Thema Frauenrechte, um ihre Absatzmärkte zu erweitern und den Verkauf anzukurbeln. Sie nutzen den Feminismus als Verkaufsargument – doch dahinter verbergen sich nicht selten andere Formen von Unterdrückung von Frauen, gegen die sie nichts unternehmen.

So setzt die Werbekampagne für die Herbstkollektion von H&M bewusst Frauen ein, die sich in ihrer Figur, Größe und ihrem Alter unterscheiden. Damit reagiert das Unternehmen auf die seit vielen Jahren von Feministinnen vorgebrachte Kritik an dem einseitigen, durch Models geprägten Schönheitsideal. Man könnte darin einen Fortschritt sehen – wenn man außer Acht lässt, wie das Unternehmen seine Arbeiterinnen behandelt. Zwar zeigt es durchaus Ansätze, sich ökologisch und gesellschaftlich bewusster zu verhalten, aber die billige Mode von H&M kann man nicht produzieren, ohne die Arbeitskräfte in den Fabriken auszubeuten, und das sind ganz überwiegend Frauen.

Die Marke H&M steht damit nicht allein. Der Sportartikelhersteller Nike hat in den letzten Jahren viel Geld in Werbung investiert, die Frauen beim Sport zeigt, um die Marke ins Bewusstsein von fitnessorientierten Frauen zu rücken. Außerdem lancierte das Unternehmen unter dem Schlagwort „Girl Effect“ eine Kampagne, die Mädchen mehr Bildungschancen eröffnen und sie aus beengenden Normen und Traditionen befreien will. Die Mädchen, so das Argument, könnten dann besser ihre Familien und Gesellschaften unterstützen, und langfristig käme dies auch dem Wirtschaftswachstum ihrer Länder zugute.

Doch wie Maria Hengveld im Online-Magazin „Slate“ schreibt, ist der Lohn der Arbeiterinnen, die in vietnamesischen Fabriken Nike-Produkte herstellen, so niedrig, dass er nicht einmal für die Grundbedürfnisse ihrer Familien ausreicht. Um überhaupt nur einigermaßen wirtschaftlich abgesichert zu sein, müssten sie drei bis vier Mal so viel verdienen. Die Frauen, die Hengveld interviewte, erzählten ihr auch von hohem Leistungsdruck am Arbeitsplatz, von Demütigungen, Beleidigungen, Drohungen, Einschüchterung, Übergriffen und Missbrauch durch das Führungspersonal.

Diesen Arbeiterinnen einen anständigen Lohn zu zahlen und ihnen bessere Arbeitsbedingungen zu bieten, würde Frauen und Mädchen viel besser voranbringen – doch das würde das Unternehmen weitaus mehr kosten und seinem Image weniger nutzen.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass vor Ort aktive Frauenrechtlerinnen und ihre Organisationen viel besser als Leute von außen in der Lage sind, das Leben der Frauen und Mädchen positiv zu verändern. Eine im Jahr 2012 durchgeführte Studie der University of New Mexico und der Purdue University beschäftigt sich mit der Situation in 70 Ländern im Zeitraum von 1975 bis 2005. Das Ergebnis: Es hängt gar nicht so sehr von der Zahl weiblicher Parlamentsabgeordneter, dem Wohlstand eines Landes oder progressiven politischen Parteien ab, ob ein Land Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpft. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob eseine starke, autonome Frauenbewegung gibt.

Trotz dieser Erkenntnisse werden Frauenrechtsaktivistinnen und ihren Organisationen vor Ort nicht die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt, um diese Arbeit zu leisten. Eine demnächst erscheinende Studie von GENDERNET, einem Netzwerk der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), kommt zu dem Schluss, dass 2014 nur 0,5 Prozent der Entwicklungshilfe für die Gleichstellung der Geschlechter direkt an Frauenrechtsorganisationen in den Ländern des Südens gingen. Geldgeber fördern lieber große internationale Organisationen, weil das für ihre eigene Bürokratie einfacher ist. Eine nigerianische Aktivistin sagte einmal zu mir: „Anscheinend glauben sie, wir könnten solche Arbeit leisten und uns von bloßer Luft ernähren.“

Frauenrechtsaktivistinnen fehlt es aber nicht nur an Geld, sie sind auch Drohungen und Angriffen von Regierungen, Sicherheitskräften, bewaffneten Gruppen und Milizen, Familienangehörigen, religiösen und traditionellen Oberhäuptern, Unternehmen und Gemeinden ausgesetzt. Die ägyptische Frauenrechtsorganisation Nazra for Feminist Studies wurde mit Verleumdungskampagnen bekämpft, ihre Gelder wurden eingefroren und ihrer Sprecherin die Reise ins Ausland verweigert. Im April 2011 wurde in Südafrika Noxolo Nogwaza, eine LGBTI-Aktivistin, die sich für lesbische Frauen eingesetzt hat, ermordet aufgefunden. Alles deutet darauf hin, dass sie zuvor vergewaltigt wurde, ein Verbrechen, das Lesbenhasser als „Umerziehung“ verharmlosen.

Diese Frauen werden einfach nur deshalb Opfer von Gewalt, weil sie Frauen sind und weil ihre Arbeit die Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern infrage stellt. Sie bekommen zu spüren, dass derzeit in vielen Ländern die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft beschnitten werden. CIVICUS, eine Organisation, die sich als „Weltallianz für Bürgerpartizipation“ betrachtet, sieht in über 100 Ländern mindestens ein Bürgerrecht ernsthaft bedroht.

Autorin

Chitra Nagarajan

ist Aktivistin für Menschenrechte und Autorin. Sie lebt in Maiduguri (Nigeria) und hat unter anderem in China, Myanmar, Liberia, Sierra Leone und den USA gearbeitet. Sie twittert unter @chitranagajaran.
Angesichts dessen könnte man den Mut verlieren. Die Herausforderungen scheinen gewaltig, vor allem, wenn man die Dinge aus globaler Perspektive betrachtet. In Brasilien hat gerade ein parlamentarischer Staatsstreich eine Präsidentin um ihr Amt gebracht, der 50 Millionen Menschen ihre Stimme gegeben hatten. Im Inselstaat Fidschi, der in 40 bis 50 Jahren buchstäblich untergegangen sein wird, leiden die Frauen heute schon am stärksten unter dem Klimawandel. In Ägypten „muss sich jede Person, die öffentliches Engagement zeigt, der Gefahr bewusst sein, ins Gefängnis geworfen, verschleppt oder getötet werden zu können“, konstatiert die ägyptische Frauenrechtlerin Yara Sallam.

Doch Frauenrechtsaktivistinnen machen auch zunehmend die Erfahrung, dass sie nicht allein sind. Über alle Staatsgrenzen und quer durch alle Bewegungen finden sie in einer Politik der Freundschaft und Solidarität zusammen. Lydia Alpízar Durán, die Vorsitzende von AWID, sagte dazu auf der Konferenz: „Angesichts zunehmender Gewalt in der Welt bilden sich gemeinschaftliche Aktionen heraus, die sich dem Vordringen von Rassismus, Faschismus, religiösen Institutionen, Konzernen und dem organisierten Verbrechen entgegenstellen.“ Und trotz allem, was sich gegen sie verbündet: Frauen, die zusammenstehen, haben noch immer etwas bewirken können.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2016: Frauen: Gemeinsam stark
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