Perspektiven aus dem Süden kaum vertreten

Sofi Lundin
Künstliche Intelligenz im Einsatz: In einer Klinik in Kampala in Uganda wird ein neues KI-gestütztes mobiles Mikroskop zur Diagnose von Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Gebärmutterkrebs ausprobiert.
KI und globales Lernen
Beim Hype um künstliche Intelligenz bleiben Probleme oft unterbelichtet, etwa die Gefahr, dass der globale Süden digital weiter abgehängt wird. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss sich damit beschäftigen.

Künstliche Intelligenz verändert Alltag, Arbeitswelt und Bildungswesen. Sogenannte generative KI, also vom Computer erzeugte Texte, Audios, Bilder und Videos, wirkt stark auf Medien und Gesellschaft. Damit muss sich auch das globale Lernen auseinandersetzen. Der enorme Ressourcenverbrauch dieser Technik, Ausbeutung entlang der Wertschöpfungskette, das Nord-Süd-Gefälle bei der Produktion von Wissen und der Umgang mit KI-generierten Falschnachrichten sind wichtige Themen für die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und für das globale Lernen.

BNE müsse sich fundiert und kritisch mit den Versprechen von KI-Systemen befassen, betonten Experten auf einer Online-Fachtagung von Greenpeace, Nord Süd-Forum München und Ökoprojekt MobilSpiel in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Globales Lernen der Universität Bayreuth. Dabei müssten vor allem weltweite Perspektiven berücksichtigt werden, die hierzulande in den Debatten über KI unterzugehen drohen. 

Die hinter den scheinbar offenen KI-Systemen stehenden Tech-Unternehmen haben enorme Marktmacht und befördern teilweise enorme Heilserwartungen an ihre Produkte. Die Unternehmen behaupteten, KI sei ein „Werkzeug für alle“, sagte Joscha Falck, Lehrer in Mittelfranken, der Schulen bei ihrer digitalen Transformation begleitet. „Doch wir haben es nicht mit einem neutralen, sondern mit einem politisch aufgeladenen Werkzeug zu tun. Darüber müssen wir aufklären.“ 

Europäische und US-amerikanische Perspektiven sind überproportional vertreten

KI vertiefe die digitale Kluft zwischen den USA und Europa auf der einen Seite und dem globalen Süden auf der anderen. Das liege zum einen am begrenzten Zugang zu guten Netzverbindungen in Afrika, Teilen Asiens und Lateinamerikas, die Voraussetzung für KI-Anwendungen sind, zum anderen liege es an den Algorithmen und den Trainingsdaten. Europäische und US-amerikanische Perspektiven sind in Systemen wie ChatGPT, Perplexity oder Gemini überproportional vertreten, während die außereuropäische Wissensproduktion tendenziell vernachlässigt wird.

Über Perspektiven aus dem globalen Süden auf diese Ungleichheit hätte man sich auf dem Fachtag mehr Informationen gewünscht. Fachleute aus Afrika, Asien und Lateinamerika beklagen seit Jahren, dass zum Beispiel KI-Systeme für den Gesundheitsbereich oder die Landwirtschaft in den USA entwickelt und selbst dann im globalen Süden vermarktet werden, wenn sie sich als nicht ausreichend passgenau für Verhältnisse in Afrika südlich der Sahara oder Indien erweisen und an den Lebensrealitäten dort vorbeigehen. 

„KI ist ein ‚alter weißer Mann‘“, so formulierte es auf der Fachtagung Lennart Reymann, Berater für digitale Lernräume. „Es ist Aufgabe globalen Lernens, über diese Schlagseite aufzuklären.“ KI ist nicht nur Ausdruck globaler Gerechtigkeitsprobleme, es verstärkt sie auch, denn Gewinner des KI-Booms sind in erster Linie Unternehmen in den Vereinigten Staaten. 

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Stefan Ouma, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Bayreuth, sprach die Probleme in der Wertschöpfungskette von KI an. Wie bei anderen globalen Lieferketten profitieren vor allem Menschen im Westen, während sich die Nachteile im globalen Süden zeigen. Das betrifft etwa die Ausbeutung von Arbeitskräften. Vor allem in Kenia, Äthiopien und Nigeria seien gering bezahlte Mitarbeitende damit beschäftigt, toxische Inhalte wie gewaltverherrlichende oder pornografische Bilder aus den Systemen zu filtern, damit diese für die Nutzer nicht mehr verfügbar sind, so Ouma. Für oftmals weniger als zwei US-Dollar pro Tag müssten sie sich „traumatisierende Inhalte“ anschauen.

Angesichts zahlreicher Fragen sei es für BNE wichtig, „eine eigene Haltung zu KI zu entwickeln“, sagte Joscha Falck. Denn trotz der problematischen Aspekte könnten KI-Werkzeuge auch sinnvoll im globalen Lernen genutzt werden. KI kann es erleichtern, ansprechende Materialien wie etwa Grafiken zu erstellen oder Spiele zu entwickeln, um die Bildungsziele von BNE zu verfolgen. 

Doch wie im Schulunterricht können ChatGPT und Co. den Lehrer nicht ersetzen, sondern ihn höchstens ergänzen. Im globalen Lernen ist die Begegnung mit Menschen aus dem globalen Süden sehr wichtig. Ihre Erfahrungen und Berichte sind es, die Menschen hier bewegen und manchmal dazu führen, Sichtweisen zu überdenken und neue Perspektiven zu gewinnen. Diese Begegnungen kann künstliche Intelligenz nicht ersetzen. „Beziehung bleibt das Herz von BNE!“, sagt Stephan Ouma.

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