Die Sicherheitslage in Afrikas bevölkerungsreichstem Land ist seit Jahren schlecht. Immer wieder kommen in Nigeria Menschen gewaltsam ums Leben, ohne dass dies Folgen für die Täter hat. Bewaffnete Gruppen überfallen Dörfer, töten Menschen oder entführen sie, um ein Lösegeld zu erpressen. Oder es kommt zu Gewalt zwischen Hirten und Bauern, weil die einen ihre Tiere auf den Feldern der anderen weiden lassen. So töteten am 1. Juni bewaffnete Gruppen in den Bezirken Gwer West und Apa 43 Menschen. Im Bundesstaat Plateau wurden am gleichen Tag 40 Menschen getötet. Im Bundesstaat Taraba starben Ende Mai 50 Menschen bei Überfällen. In ganz Nigeria lag die Zahl der in den letzten drei Monaten gewaltsam Gestorbenen bei mehr als 500.
In der Regel nimmt man international von diesen Fällen kaum Notiz. Doch über den Überfall von Yelewata im südöstlichen Bundesstaat Benue am 13. Juni ist angesichts des Ausmaßes weltweit berichtet worden. Hunderte von Menschen hatten dort Schutz vor bewaffneten Milizen gesucht. Die Täter setzten Häuser in Brand und erschossen oder erschlugen die Fliehenden. Nach Angaben von Amnesty International sollen dabei mehr als hundert Menschen getötet worden sein.
Wer in diesem Fall die Angreifer waren, ist nicht endgültig geklärt. Bei den Opfern handelt es sich jedenfalls um Christen. Das freikirchliche Hilfswerk Open Doors, das sich für verfolgte Christen weltweit einsetzt, geht in einem Bericht von mehr als 200 Getöteten aus und legt darin den Schluss nahe, dass es sich bei den Tätern um muslimische Hirten aus dem Volk der Fulani gehandelt habe. Open Doors spricht von einem Religionskonflikt, dem das Hilfswerk mit Spenden und Gebeten für die Geschädigten begegnen möchte.
Landknappheit als Konfliktursache
Konflikte zwischen Hirten und Bauern schwelen in verschiedenen Gegenden Nigerias seit langem. Sie werden verschärft von zunehmender Landverknappung infolge des rasanten Bevölkerungswachstums sowie des Klimawandels, der zur Versteppung von Weidegebieten führt. Bekannt ist auch, dass Fulani-Hirten sich immer wieder mit dschihadistischen Gruppen zusammentun.
Der nigerianische Erzbischof Fortunatus Nwachukwu warnt allerdings davor, den Faktor Religion in den Konflikten überzubewerten. Auch wenn die Opfer der zunehmenden Bandenkriminalität und der dschihadistischen Gruppen häufig Christen seien, könne er „mit Gewissheit sagen, dass Nigerias Problem kein religiöses ist und es kein Problem der religiösen Verfolgung gibt“. Vielmehr sei allgemein der Extremismus, „nicht nur der islamische Extremismus“, der Grund dafür, dass das Zusammenleben immer schwerer werde.
„Das eigentliche Problem besteht darin, dass es Menschen gibt, die politische und ethnische Fragen instrumentalisieren, sie mit religiösen Fragen vermischen und hybride Situationen schaffen, die schwer zu kontrollieren sind“. Eine dieser „Mischformen“ sei zum Beispiel der Konflikt zwischen sesshaften, christlichen Bauern und muslimischen Hirten aus dem Volk der Fulani, sagte der Erzbischof gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur Vatican News. Der wahre Grund dieses Konflikts liege in der Konkurrenz um Land. Fortunatus Nwachukwu stammt aus Nigeria und war vor seiner jetzigen Tätigkeit als Sekretär der Evangelisierungsabteilung im Vatikan ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf.
Die Fulani seien zwar größtenteils Muslime, der Konflikt habe aber nichts mit dem Aufzwingen des Glaubens zu tun, sagte der Erzbischof. Schließlich gebe es auch Fulani, die zum Christentum konvertiert seien. Er sei besorgt, dass der „schlechte Ruf“ von Gruppen wie den Fulani-Hirten weiteren Hass und Vergeltung hervorrufe, so weit, dass er selbst einen Völkermord für möglich halte.
Erst Anfang März geriet das Volk der Fulani unter schweren Verdacht, für die Gewaltwelle in Nigeria verantwortlich zu sein. So wurde auf Facebook fälschlicherweise behauptet, der US-Präsident Donald Trump habe die nigerianischen Fulani-Hirten als die viertgefährlichste Terrorgruppe der Welt eingestuft. Ein Faktencheck der französischen Nachrichtenagentur AFP ergab allerdings, dass sich der Beitrag auf einen Artikel von vor zehn Jahren stützte und Trump weder früher noch aktuell sich öffentlich zu den Fulani als angeblicher Terrorgruppe geäußert hatte.
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