„Bioprodukte sind meine Medizin“

Von Annalena Edler und Alexandra Safi

Biolandbau ist in Tunesien auf dem Vormarsch: Im afrikanischen Vergleich belegt das Land bei der ökologischen Landwirtschaft den ersten Platz. Die Regierung hilft Kleinbauern mit Fördermitteln, doch die Umstellung von herkömmlichen auf alternative Anbaumethoden ist noch immer mit zahlreichen Hindernissen verbunden. Angesichts der zögerlichen Nachfrage im Inland gestaltet sich auch die Vermarktung von Bioobst und Biogemüse schwierig.

tolz zeigt Mohammed Belharcha auf seine Aprikosen- und Granatäpfelbäume. Auf fünf Hektar erstrecken sich die Obsthaine seines Betriebes im Norden Tunesiens nahe der Kleinstadt Béja. In wenigen Jahren hat der Kleinbauer hier seinen florierenden Betrieb „BioAndalous" aufgebaut. Dabei hatte ihn, den Sohn eines Bauern, die Landwirtschaft zunächst nicht sonderlich gereizt. Er entschied sich für eine pharmazeutische Ausbildung und arbeitete mehrere Jahre in einer Apotheke. „Mit der Zeit", erzählt er, „hatte ich den Eindruck, dass der Gesundheitszustand der Menschen hier insgesamt viel schlechter ist als früher." Seine Erklärung dafür: „Die Basis für eine gute Gesundheit ist eine gute Ernährung. Und da liegt das Problem." Denn auch wenn das frische Obst und Gemüse auf den bunten Wochenmärkten verlockend aussieht und gut schmeckt, weiß über die „inneren Werte" der Ware niemand so recht Bescheid. Abseits vom Exportmarkt existieren so gut wie keine wirksamen Kontrollen über die Verwendung von Pestiziden und Düngemitteln.

Im Anbau biologischer Nahrungsmittel sah Belharcha die Chance, einen Bewusstseinswandel zu fördern. Im Jahr 2000 machte er sich mit dem vom Vater geerbten Land selbstständig. Er begann eine Ausbildung in biologischer Landwirtschaft bei der Food and Agriculture Organisation (FAO) und absolvierte mehrere Fortbildungen am technischen Zentrum für biologische Landwirtschaft (CTAB) in Sousse. Dort befassen sich Wissenschaftler mit dem Anbau ökologischer Produkte und deren Vermarktung. Zugleich können dort der Anbau besichtigt und Bioprodukte gekauft werden. Darüber hinaus führt das Zentrum Kontaktlisten von Exportfirmen im Biosektor und organisiert Treffen zwischen Bauern und Exporteuren. Das Engagement lohnt sich: Die für Biolandbau genutzte Fläche in Tunesien ist von 300 Hektar im Jahr 1997 auf 220.000 Hektar im Jahr 2007 gestiegen; derzeit belegt das Land damit in Afrika den ersten Platz, weltweit kommt es immerhin auf Rang 29. Noch ist der Anteil des ökologischen Landbaus aber gering: Insgesamt werden in Tunesien 5 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzt.

Für die Umstellung auf Biolandbau gewährt die tunesische Regierung Zuschüsse, denn die hohen Kosten stellen gerade die kleinen und mittleren Betriebe mit begrenztem Investitionskapital vor große Schwierigkeiten. Dennoch sind die Hürden hoch. Der Bewilligung geht ein langwieriges Antragsverfahren voraus. Das ist für viele Bauern schwierig, weil die meisten von ihnen nur über ein geringes Bildungsniveau verfügen. Ein weiteres Problem sind die teuren und bisweilen nur wenig wirksamen biologischen Dünge- und Pflanzenschutzmittel, deren Angebot in Tunesien bisher zudem relativ eingeschränkt ist.

Laut CTAB würden viele tunesische Kleinbauern auf biologischen Anbau umsatteln, wenn sie zuvor eine Einschätzung über Kosten und Nutzen erhielten. Eine solche Informationsmöglichkeit existiert bisher jedoch nicht. Auch mangelt es an spezifischen Beratungsangeboten zu Verpackung, Transport und Vermarktung.

Mohammed Belharcha sammelt deshalb Informationen und knüpft Kontakte. Er besucht Messen im In- und Ausland, schaltet Annoncen, spricht Hotels und Exportunternehmen an und sucht den Austausch mit anderen Landwirten. Dabei ist es für ihn von Vorteil, dass der Biomarkt in Tunesien bisher noch überschaubar und vergleichsweise gut vernetzt ist. Ein Beispiel dafür ist das „Réseau d'agriculture biologique", ein Netzwerk zum ökologischen Anbau, das in jedem der 24 tunesischen Regierungsbezirke mit Fachleuten aus Regierung und Gewerkschaft vertreten ist. Dieses Netzwerk fördert die Sensibilisierung von Landwirten für die Möglichkeiten des Bioanbaus und berät Bauern, die sich in Vereinigungen zusammenschließen wollen.

Die Vermarktung erschwert auch der bisher äußerst begrenzte inländische Markt für Bioprodukte und die große Abhängigkeit von schwankenden globalen Märkten - noch sind Exportunternehmen die Hauptabnehmer für ökologische Erzeugnisse aus Tunesien. Mohammed Belharcha liefert den Großteil seiner Ernte nach Frankreich, Italien und Deutschland. Langfristig ist jedoch damit zu rechnen, dass auch in Tunesien die Nachfrage nach Produkten aus biologischem Anbau zunehmen wird. Denn große Supermarktketten wie Monoprix, Promogro, Carrefour und Géant führen bereits eine begrenzte Anzahl an ökologischen Waren, zum größten Teil allerdings verarbeitete Produkte.

Promogro hat in einer Studie herausgefunden, dass ein Großteil seiner Kunden bereit ist, für ökologisch zertifizierte Nahrungsmittel bis zu 30 Prozent mehr als für herkömmliche Produkte zu zahlen. Allerdings gibt es bei der Belieferung der Supermärkte für Kleinbauern noch einige Hindernisse zu überwinden: Die produzierten Mengen sind klein, die kontinuierliche Belieferung schwierig; zudem ist die Bandbreite an biologisch produziertem Obst und Gemüse stark eingeschränkt.

Dennoch ist eine für beide Seiten fruchtbare Zusammenarbeit möglich. Mohammed Belharcha hat 2007 selbst den Kontakt zu Monoprix gesucht. Er konnte den Einkaufsleiter von seinem Angebot überzeugen, der Supermarkt nahm die Bio-Granatäpfel in sein Angebot auf. Das Geschäft läuft gut und auch 2008 liefert Belharcha während der Saison täglich 500 bis 600 Kilogramm Granatäpfel. Ein langfristiger Vertrag allerdings ist bisher noch nicht zustande gekommen, da ökologisches Obst und Gemüse für Supermärkte noch immer ein Nischenprodukt ist. Doch für Belharcha ist es Teil seiner Unternehmensstrategie, verschiedene Einkommensquellen zu sichern und unabhängig zu bleiben, auch wenn die Supermärkte bisher nicht die Preise bieten, die er von Exportunternehmen erhält.

Darüber hinaus feilt er schon an neuen Ideen, um seine Produkte aufzuwerten und für den einheimischen Markt noch interessanter zu machen. Ihm schwebt die Produktion ökologischer Fruchtsäfte mit einer eigenen Abfüllanlage vor. „Man muss sich an die schwierigen Dinge heranwagen", so sein Erfolgsrezept, „und vorausschauend handeln, auch wenn man dafür große Risiken eingehen muss." Dass sich das gelohnt hat, zeigt nicht nur der Blick über die Aprikosen- und Granatäpfelhaine. Im Jahr 2008 wurde Belharcha von der tunesischen Regierung mit dem „Grand prix du Président de la République" für die Förderung der biologischen Landwirtschaft ausgezeichnet. Seit er der Arbeit in der Apotheke den Rücken gekehrt hat, ist viel passiert. „Aber eigentlich versuche ich immer noch, Menschen zu kurieren", sagt er und lacht, „nur mit anderen Mitteln. Meine Medizin sind jetzt Bioprodukte!"

Der Artikel beruht auf einer Studie, die die FAO und die GTZ beim Seminar für ländliche Entwicklung (SLE) in Auftrag gegeben haben: R. Arning, C. Bauer, C. Bulst, A. Edler, D. Fuchs, A. Safi: „Les Petites et Moyennes Exploitations Agricoles en Tunisie et au Maroc face aux structures des supermarchés."

Annalena Edler ist Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin. Alexandra Safi ist Sozialgeographin und Islamwissenschaftlerin. Beide haben nach ihrem Studium den Postgraduierten-Studiengang Internationale Entwicklungszusammenarbeit am Seminar für ländliche Entwicklung (SLE) in Berlin absolviert.

 

 

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