„Es ist schwer messbar, was ankommt“

Bildungsarbeit
In den vergangenen Jahrzehnten ist der Stellenwert der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit deutlich gewachsen, auch im Etat des Bundesentwicklungsministeriums. Trotzdem weiß eine Mehrheit der Deutschen weiterhin wenig über Entwicklungspolitik. Christian Wilmsen, in den 1980er und 1990er Jahren im Ministerium zuständig für Bildungsarbeit, findet das erschreckend – und rät, öfter Meinungsumfragen zur Entwicklungszusammenarbeit durchzuführen.

Herr Wilmsen, was hat die entwicklungspolitische Inlandsarbeit erreicht?
Die bescheidenen Mittel haben durchaus einiges bewirkt, auch wenn es noch nicht gereicht hat, um die Problematik von nachhaltiger Entwicklung und Solidarität mit dem globalen Süden in den Köpfen zu verankern. Aber es gibt große Fortschritte. Eine wichtige Marke dafür ist das Jahr 1998. Bis dahin hatte das Budget für entwicklungspolitische Bildung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) zehn Jahre lang stagniert, obwohl der Haushalt insgesamt stieg. Im Jahr 1999 wurde dieser Haushaltstitel dann von 4.2 Millionen auf 6 Millionen DM erhöht, also um mehr als 40 Prozent. Ein ungewöhnlicher Schritt.

Wie kam es dazu? 
Mehrere Faktoren kamen zusammen. Venro, der drei Jahre vorher gegründete Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, hatte umsichtige Lobbyarbeit geleistet. Ein Peer Review, also ein Prüfbericht, der OECD zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit hatte den Etatansatz für die entwicklungspolitische Bildung deutlich kritisiert. Und es dürfte sicher auch der Regierungswechsel zu Rot-Grün eine Rolle gespielt haben. Gemessen am Jahr 1998 steht heute gut das 15-fache an öffentlichen Haushaltsmitteln für die entwicklungspolitische Bildung zur Verfügung. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung des politischen Gleichgewichts zwischen Inlands- und Auslandsarbeit. 

Mehr Mittel allein bedeuten aber noch nicht mehr Wirkung.
Ja, es ist schwer messbar, was ankommt. In den 1980er Jahren hat das BMZ regelmäßig Meinungsumfragen zum Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit in Auftrag gegeben. Ab 1993 gab es jedoch knapp zwei Jahrzehnte nichts derartiges mehr. Erst in den Jahren 2018 und 2019 hat das BMZ-Evaluierungsinstitut DEval auf der Basis repräsentativer Umfragen in Deutschland Meinungsmonitore erstellt. Sie haben die Einstellungen in der Bevölkerung zu Entwicklungszusammenarbeit und nachhaltiger Entwicklung untersucht. 

Demnach sind die UN-Nachhaltigkeitsziele kaum bekannt. 
Ja, das ist erschreckend. Der jahrzehntelange Mangel an Umfragen hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Prägnanz und Zielgenauigkeit des Informationsmaterials des BMZ gelitten haben. Auch wurde die BMZ-Schaubildsammlung nicht fortgeführt, deren Motivauswahl stark auf Ergebnissen von Meinungsumfragen aufbaute. Das BMZ und die privaten Träger sollten verstärkt solche Schaubilder anbieten, die die Übersicht in einem komplexen Themenfeld verbessern. 

Trotzdem ist es nicht gelungen, Stereotype über Entwicklungshilfe auszuräumen. 
Leider. Laut dem DEval-Meinungsmonitor wird zum Beispiel die Höhe der Entwicklungshilfe stark überbewertet, zuletzt um rund das Neunfache. Das führt zu der weit verbreiteten Ansicht, wenn so viel Geld in die Entwicklungspolitik gepumpt wird und die Menschen im globalen Süden immer noch so arm sind, dann müsse doch die Hilfe falsch angelegt sein. Hartnäckig hält sich auch die irrige Vorstellung, dass die Länder im globalen Süden unvermindert in unglaublicher Armut verharren und es keine Verbesserungen gibt. Alle entwicklungspolitischen Akteure müssen ihr Medienangebot kritischer als bisher prüfen, um solchen Fehleinschätzungen entgegenzuwirken. 

Wo sehen Sie Fortschritte?
Das gestiegene Mittelvolumen ist ein deutlicher Fortschritt. Damit konnten etwa Engagement Global oder die Online-Plattform EWIK – Eine Welt Internet Konferenz, www.ewik.de – zum globalen Lernen ins Leben gerufen werden. Außerdem gibt es eine enorm gewachsene Kooperation zwischen der Kultusministerkonferenz der Länder und dem BMZ. Das ist keine Geldfrage, war aber lange schwierig. Anfang der 1980er Jahre liefen BMZ-Anfragen zur Kooperation noch ins Leere. Die Entwicklung gemeinsamer Schulmaterialien war für die Kultusministerkonferenz komplett undenkbar.

Was hat die Kooperation gebracht?
Der „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist zentral, weil er direkt in die Schulen hineinwirkt und Millionen von Schüler erreicht. Dies gilt auch für die gemeinsamen Empfehlungen von Kultusministerkonferenz und BMZ für die Sekundarstufe I, an den Empfehlungen für die Sekundarstufe II wird momentan gearbeitet. An allen diesen Schritten waren Organisationen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft als Berater oder Mitwirkende direkt beteiligt. 

Wie kam es zur Einbindung der Zivilgesellschaft?
Zentral ist die Gründung von Venro im Jahr 1995. Durch den Zusammenschluss der nichtstaatlichen Organisationen hat das BMZ jetzt einen zentralen Ansprechpartner. Seitdem ist eine engere Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und BMZ gewachsen. Es gibt zum Beispiel einen Beraterkreis für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im BMZ. Zwar ruht seine Arbeit im Moment, aber der Rat von nichtstaatlichen Organisationen und wissenschaftlichen Instanzen war für die entwicklungspolitische Inlandsarbeit des BMZ hilfreich.

Manche kritisieren die enge Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit dem Ministerium.
Wer in hohem Maße öffentliche Gelder beansprucht, kann dem Staat nicht mehr so stark „vors Knie treten“ wie jemand, der kein Geld nimmt. Ich weiß, dass diese Frage kontrovers diskutiert wird. Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, dass die staatliche Bezuschussung die qualifizierte Kritik an Regierungshandeln lähmt.

Das Gespräch führte Claudia Mende.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2020: Idealismus und Karriere
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