„Im Müll liegen die Rohstoffe der Zukunft“

„Im Müll liegen die Rohstoffe der Zukunft“

Abfallmanagement in Entwicklungsländern muss den informellen Sektor einbinden

Gespräch mit Günther Wehenpohl

In den Ländern des Südens fällt weitaus weniger Müll an als in den Industriestaaten. Mülltrennung und Recycling stehen allerdings noch ganz am Anfang. Eine effektive und ökologische Abfallentsorgung setzt die enge Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Verwaltung und informellen Müllarbeitern voraus.

Wie viel Müll fällt in einer typischen Metropole in einem Entwicklungsland an? Mehr oder weniger als in einem Industrieland?

In Industrieländern fällt deutlich mehr an: In Deutschland sind es laut Statistischem Bundesamt täglich ungefähr 1,24 Kilo pro Person. In Mexiko-Stadt sind es zwar auch bis zu 1,2 Kilo, im Landesinnern von Mexiko hingegen nur rund 600 bis 800 Gramm. Mexiko-Stadt mit ungefähr 11 Millionen Einwohnern hat eine 900 Hektar große Deponie. Da werden jeden Tag 12.000 Tonnen Müll abgelagert, soviel wie täglich in ganz Chile mit 15 Millionen Einwohnern.

Ändert sich mit dem Entwicklungsstand auch die Zusammensetzung des Mülls?

Ja, vor allem der Anteil organischer Abfälle nimmt ab. In Deutschland liegt er bei ungefähr 25 bis 30 Prozent, in Entwicklungsländern sind es dagegen zwischen 50 und 80 Prozent. Gleichzeitig ist vor allem der Anteil der Verpackungen in Industrieländern höher.

Gibt es Mülltrennung in Entwicklungsländern?

Häufig gibt es heute noch Gemischtmüll-Kompostierung, bei der erst in einer Anlage die Abfälle grob sortiert werden. Bei uns wurde das Ende der 1980er Jahre weitgehend abgeschafft. In die Entwicklungsländer werden solche Anlagen leider heute noch verkauft mit dem Argument, sie seien noch nicht reif für Mülltrennung im Haushalt. Das hat in vielen Ländern zu Fehlinvestitionen geführt. Im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro zum Beispiel wurden in den vergangenen 20 Jahren für rund 50 Millionen Dollar 20 solcher Anlagen errichtet, die alle aufgrund unangepasster Technologien und schlechter Qualität der Produkte, zum Beispiel Kompost, gescheitert sind. Natürlich spielen auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle: Man verkauft Anlagen und Konzepte an Entwicklungsländer, die bei uns gar nicht mehr durchsetzbar sind. Aber auch in den ärmeren Ländern wachsen die Ansprüche an die Qualität von Kompost oder Recyclingmaterial. Hohe Verschmutzungsgrade führen zu Schwierigkeiten beim Weiterverkauf. Dabei nimmt die weltweite Nachfrage nach Recyclingmaterial zu. Vor ein paar Jahren zum Beispiel gab es noch keinen Markt für gebrauchte PET-Flaschen, heute dagegen werden sie international gehandelt. Die Flaschen werden überwiegend nach Indien und China exportiert und dort zu einfachen Textilien verarbeitet.

Welche Probleme sind mit der Mülltrennung verbunden?

Mülltrennung bedeutet zunächst höhere Kosten bei der Sammlung. Diese Aufgabe wird überwiegend vom sogenannten informellen Sektor übernommen, also von Kleinstunternehmen oder einzelnen Personen, denen das als Broterwerb dient. Es gibt einen weltweiten Trend, Müll als Rohstoff- und als Energiequelle zu nutzen, und deshalb finden sich auch in Entwicklungsländern immer mehr Menschen, die das tun und Geld damit verdienen. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Schwellenländern wie Mexiko oder Brasilien und sehr armen Ländern wie Mosambik, wo es kaum Industrien gibt, die Abfallstoffe weiter verarbeiten. Zudem ist in armen Ländern die anfallende Menge an wieder verwertbarem Müll nicht so hoch, dass sich der Export lohnt. Ich bin aber davon überzeugt, dass die getrennte Müllsammlung sich auch in Entwicklungsländern weiter verbreiten wird.

Gibt es nennenswerte Müllverbrennung in Entwicklungsländern?

Es gab zahlreiche Versuche mit solchen Anlagen, die sind aber alle gescheitert, zumindest was kommunale Abfälle betrifft. Müllverbrennung ist technisch anspruchsvoll, in den meisten Entwicklungsländern mangelt es an Know-how. Zudem ist sie teuer: In Mexiko zum Beispiel würde die Verbrennung pro Tonne das vier- bis fünffache der Deponierung nach den dortigen Standards kosten. Auch die Energiegewinnung lohnt sich nicht: Der Anteil organischer Abfälle ist so hoch, dass eine so genannte Stützfeuerung nötig ist, unterm Strich also Energie sogar zugeführt werden muss.

In Deutschland war Abfallbeseitigung früher eine kommunale Aufgabe, seit einigen Jahren wird sie zunehmend privatisiert. Wie ist das in Entwicklungsländern?

Zunächst einmal kann man feststellen, dass die Privatisierung in Deutschland seit kurzem ansatzweise rückläufig ist. Kommunen und Kreise beginnen die Müllabfuhr wieder zu übernehmen, handeln dabei aber nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten. In vielen Entwicklungsländern sind die Gemeinden nicht in der Lage diese Aufgabe zu erfüllen. Deshalb setzen sie gern auf private Entsorger, oft aber ohne Erfolg. Wenn es um kleine Gemeinden geht, ist der Privatsektor nicht interessiert, weil sich der Auftrag nicht lohnt. Zudem sind die Behörden häufig nicht in der Lage sicherzustellen, dass Unternehmen ihre Verträge ordentlich erfüllen. Die Privatisierung von Deponien behindert manchmal Maßnahmen zur Wertstofftrennung, weil die Betreiber nach Tonnen bezahlt werden: Je mehr vorher aussortiert wird, desto weniger Geld bekommen sie. Deshalb wehren sie sich gegen die Trennung. Andererseits scheitern Privatisierungen in Entwicklungsländern häufig daran, dass private Unternehmen aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen alle Angestellten der städtischen Müllabfuhr übernehmen und bezahlen müssten, auch wenn sie sie gar nicht brauchen.

Welchen Stellenwert haben informelle Müllsammler in der Abfallbeseitigung in Entwicklungsländern?

Weltweit gibt es mehrere Millionen Menschen, die von der Sammlung, Sortierung und dem Recycling von Wertstoffen leben. Für viele von ihnen ist der Müll die einzige Einkommensquelle. In der nicaraguanischen Hauptstadt Managua zum Beispiel sind knapp 2000 Menschen von einer einzigen Müllkippe abhängig. Sie sehen ihren Verdienst durch zunehmendes Recycling bedroht. Mit einer Blockade der Deponie fordern sie seit Anfang März den Zugriff auf mehr Wertstoffe. In einer Reihe von Ländern, vor allem in Lateinamerika, aber auch in Ägypten oder Indien, organisieren sich die Müllsammler zunehmend.

Heißt das, dass der informelle Sektor sinnvolle Reformen eher behindert?

Das muss nicht so sein. Man muss die informellen Kräfte einbinden. Es ist nicht immer leicht, mit diesen Menschen umzugehen, aber Untersuchungen haben gezeigt, dass deren Einbeziehung auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist. Wenn eine Kommune zum Beispiel die Getrenntsammlung einführt, könnte sie die Sammler damit beauftragen, das Recyclingmaterial zu sortieren und aufzubereiten. So erhalten sie ein regelmäßiges Einkommen und arbeiten nicht mehr auf der Müllkippe

Lässt sich eindeutig unterscheiden zwischen einem informellen Sektor, mit dem man zusammenarbeiten sollte, und mafiösen Strukturen, die man eher meiden möchte?

Natürlich gibt es Überschneidungen. An der Spitze des informellen Sektors gibt es vielfach kriminelle Strukturen. Die einfachen Müllsammler werden oft von ihren Anführern ausgebeutet. Zum Beispiel dürfen sie ihre Wertstoffe nicht zu besseren Preisen an andere verkaufen. Oder sie dürfen das Futter für Pferde und Esel, die ihre Müllkarren ziehen, nur bei ihren Chefs kaufen. Es gibt viele Wege, wie die Anführer die Einnahmen der Müllsammler abschöpfen. Laut Untersuchungen erzielen die Anführer von Müllsammlern in Mexiko-Stadt dadurch Einkommen von bis zu 10.000 Dollar monatlich. Mit diesen Menschen sollte man natürlich eher nicht zusammenarbeiten. Es ist aber schwer, sie zu umgehen, denn oft haben sie starken politischen Einfluss.

Wo ist es gelungen, informelle Müllsammler sinnvoll einzubinden?

Mosambiks Hauptstadt Maputo ist ein interessantes Beispiel. Dort tat sich vor einigen Jahren in einem armen Vorort ein Lehrer mit einigen älteren arbeitslosen Frauen zusammen und sammelte gegen Bezahlung Hauhaltsmüll ein. Das hat sich so gut entwickelt, dass der Mann inzwischen von der Stadt unter Vertrag genommen wurde. Seine Leute bringen den Müll zu Containern, wo die Stadt ihn abholt und zur Deponie fährt. Dieses Modell soll auch auf andere Vororte Maputos übertragen werden, die die städtische Müllabfuhr mit ihren Fahrzeugen nicht erreichen kann, weil die Straßen fehlen.

Ist es schwer, von den Einwohnern Gebühren für die Müllabfuhr zu erheben?

In Maputo hat man das geschafft. Dort arbeitet die Stadt jetzt sogar an gestaffelten Gebühren, so dass die wirtschaftlich besser gestellten Haushalte etwas mehr bezahlen und so die günstigeren Tarife für die ärmeren subventionieren. Die Schwierigkeit bei der Müllentsorgung ist, dass man nur schwer Druck ausüben kann. Die Wasserversorgung lässt sich abschalten, aber den Müll können die Leute einfach auf die Straße werfen. In Mexiko weigern sich die Leute grundsätzlich, an die Stadt Gebühren zu zahlen. Lieber geben sie den Müllsammlern Trinkgeld, selbst wenn das unterm Strich mehr ist als die formellen Gebühren. Außerdem fehlt es an politischem Willen, Gebühren zu erheben, denn dies könnte bei den nächsten Wahlen Stimmen kosten. Ganz am Anfang steht in Entwicklungsländern die Diskussion über Produktverantwortung, so wie wir sie in der Europäischen Union eingeführt haben – also den Aufschlag künftiger Entsorgungskosten auf den Produktpreis. In Chile läuft dazu derzeit ein Gesetzgebungsverfahren. Dieses Verfahren, wie es in Deutschland in Gestalt des Grünen Punkts existiert, kann zusätzliche Mittel für die Müllentsorgung bringen. Außerdem ist es ein wichtiger Ansatzpunkt zur Müllvermeidung, weil die Hersteller einen Anreiz haben, entsorgungsfreundlicher zu produzieren.

Welchen Beitrag leisten internationale Privatunternehmen zur Müllentsorgung in Entwicklungsländern?

Da gibt es eine große Bandbreite. So lange es um traditionelle Aufgaben wie Sammlung, Sortierung oder Deponierung geht, sind die Angebote meistens seriös und sinnvoll. Viele Unternehmen bieten aber auch Konzepte und Technologien zur Müllbeseitigung an, die technisch noch nicht ausgereift sind. Darüber hinaus sind sie oft sehr teuer und werden selbst in Europa nur für sehr spezifische Stoffe angewandt. In Mexiko wollten deutsche Firmen beispielsweise ein Verfahren verkaufen, bei dem aus Abfällen Gas gewonnen wird. Es gab bis dato nur eine Pilotanlage für zwei Tonnen, die mittlerweile schon wieder stillgelegt wurde. Trotzdem wollten die Anbieter gleich eine Anlage für 4000 Tonnen verkaufen.

Welche anderen Alternativen gibt es?

Ein gutes Verfahren gerade auch für Sondermüll ist das so genannte „Co-Processing“: Ersatzbrennstoffe aus Abfällen werden bei sehr hohen Temperaturen in der Zementherstellung genutzt. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hat dazu gemeinsam mit einem Schweizer Zementhersteller Leitlinien für Entwicklungsländer erarbeitet und weltweit verbreitet. Denn längerfristig muss es auch in ärmeren Ländern darum gehen, den Müll der Städte als Rohstoffquelle zu nutzen. Die Japaner kaufen heute schon bestimmte Abfälle auf und lagern sie, um deren Wertstoffe in zwanzig oder dreißig Jahren nutzen zu können, wenn es die entsprechenden Rohstoffe nicht mehr gibt. Dabei muss sicher gestellt werden, dass die Entwicklungsländer in Zukunft nicht wieder nur als Rohstofflieferanten für die Industrienationen dienen, sondern selbst in der Lage sind, diese weiterzuverarbeiten.

Das Gespräch führten Tillmann Elliesen und Gesine Wolfinger.

 

 

Müllsammler machen mobil

Hunderttausende Menschen verdienen weltweit mit dem Sammeln und Sortieren von Müll und mit dem Recycling von Wertstoffen ihren Lebensunterhalt. Der sogenannte informelle Sektor der Abfallwirtschaft leistet zugleich einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag: Er trägt zur Schonung von Ressourcen und zum Klimaschutz bei. Die Müllsammler helfen mit, die Kosten in der Abfallwirtschaft zu senken. Die eingesparten Mittel können in anderen Bereichen wie dem Gesundheitswesen verwendet werden.

Häufig arbeiten die Frauen und Männer jedoch unter umwelt- und gesundheitsschädigenden Bedingungen. Sie kämpfen für Verbesserungen und für den Erhalt ihrer Verdienstmöglichkeiten. Zunehmend organisieren sie sich, um ihre Interessen besser vertreten können. Vom 1. bis 4. März 2008 trafen sich die Müllsammler zu ihrem ersten weltweiten Kongress in Bogotá.

Unter den rund 700 Teilnehmern aus 40 Ländern waren Vertreter von Kooperativen sowie nicht-staatlichen Organisationen und Regierungen, der Weltbank und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Der Erfahrungsaustausch und die weltweite, aber auch die regionale Vernetzung der Müllsammler soll ihre Position in der Abfallwirtschaft gegenüber den anderen Akteuren des privaten und öffentlichen Sektors stärken. Die nächste internationale Konferenz wird voraussichtlich 2010 in Indien abgehalten.     (gwo)

www.recicladores.net 

welt-sichten 4-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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