„Einwanderer werden zu Sündenböcken gemacht“

Südafrika
Ende Mai wird in Südafrika ein neues Parlament gewählt. Im Wahlkampf verbreiten fast alle Parteien fremdenfeindliche Klischees, um Wähler zu gewinnen. Fredson Guilengue von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Johannesburg erklärt, was die Regierung stattdessen tun müsste.

Fredson Guilengue ist Projektleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Johannesburger Büro.

Gerade hat Human Rights Watch einen Bericht über fremdenfeindliche Rhetorik während des laufenden Wahlkampfs in Südafrika veröffentlicht. Können Sie einige Beispiele für so etwas nennen? 
Ich habe vor kurzem ein Fernsehinterview mit dem südafrikanischen Oppositionspolitiker Kenny Kunene gesehen. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Patriotic Alliance und sagte, Einwanderer seien für die hohe Kriminalitätsrate und Arbeitslosigkeit in Südafrika verantwortlich. Im Prinzip machte er sie für die gesamte soziale Krise verantwortlich. Der Journalist fragte ihn dann, ob er sicher sei, dass all diese Probleme verschwinden würden, wenn die Migranten weggingen, und seine Antwort lautete ja. Dies ist nur ein Beispiel für die fremdenfeindliche Sprache, die Politiker in Südafrika verwenden.

Hat die auch körperliche Folgen? Haben physische Angriffe auf Migranten in letzter Zeit zugenommen?
Fremdenfeindliche Belästigung wurde in Südafrika über Jahrzehnte politisiert. Im Juni 2021 hat sich die Bewegung Operation Dudula gegründet. Sie basiert ausschließlich auf Fremdenfeindlichkeit und der Idee, das zu bekämpfen, was deren Mitglieder als illegale Einwanderung in Südafrika bezeichnen. Die Dudula-Mitglieder, die meist in den Townships rekrutiert werden, gehen zu den Besitzern der sogenannten Spaza-Shops in den Townships und belästigen sie. Sie fragen sie zum Beispiel nach Dokumenten und drohen ihnen mit der Schließung ihrer Geschäfte, wenn sie diese nicht vorweisen können oder die lokale Sprache nicht sprechen. Diese Angriffe haben im Laufe der Jahre zugenommen, auch wenn Statistiken schwer zu finden sind. Denn die meisten Opfer melden die Angriffe eher nicht, weil sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben und der Meinung sind, dass auch die Polizei ausländerfeindlich handelt. Inzwischen wurde die Operation Dudula als politische Partei registriert, aber ich denke, sie wird bei den kommenden Wahlen noch nicht antreten. Die Situation wird aber verschlimmert, weil die meisten anderen Parteien und der regierende ANC diese fremdenfeindlichen Haltungen in gewissem Maße unterstützen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Im Jahr 2017 hat die Regierung ein neues Weißbuch zur Einwanderung ausgearbeitet und erst vor drei Wochen veröffentlicht. Darin verspricht sie, die Kriterien für Einbürgerung, Asylsuche sowie den Zugang zu Arbeit und anderen Sozialleistungen für Einwanderer weiter zu verschärfen. Ihr Hauptargument ist, dass sie nicht über die Mittel verfüge, um die Einwanderer aufzunehmen. Das Problem sind also die Mittel, und die Lösung sollte sein, zusätzliche zu beschaffen. Stattdessen konzentriert sich die Regierung darauf, Einwanderer daran zu hindern, ins Land zu kommen. Sie hat bestätigt und akzeptiert, dass es in Südafrika eine Einwanderungskrise gibt.

Und gibt es die?
Nein, das glaube ich nicht. Es handelt sich um eine hausgemachte Krise, weil die Institutionen und die Regierung nicht genügend Mittel erhalten, um die Einwanderung zu steuern. Die jüngste Bevölkerungserhebung besagt, dass in Südafrika nur 2,9 Millionen Migranten leben, bei einer Bevölkerung von über 60 Millionen. Das sind nicht einmal fünf Prozent.

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Warum verbreiten Politiker diese Narrative?
Sie benutzen Einwanderer als Sündenböcke für ihr Versagen bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Krise. Immigranten sind in jeder Gesellschaft ein leichtes Ziel. Ich denke, in Deutschland erleben Sie das Gleiche. Schauen Sie sich nur die AfD und ihre einwanderungsfeindliche Rhetorik an, die zum Teil von anderen Parteien kopiert wird. 

In Südafrika gibt es nur eine einzige Partei, die klar sagt, dass Migranten kein Problem für die Wirtschaft darstellen, und die eine Vision des Panafrikanismus vertritt: die EFF (Economic Freedom Fighters) von Julius Malema. Innerhalb des ANC gibt es unterschiedliche Strömungen: Einige ANC-Politiker wie etwa der Sprecher Pule Mabe befürworten fremdenfeindliche Narrative, während Präsident Cyril Ramophosa sich offiziell dagegen ausspricht. Die Democratic Alliance (DA) ist eine Mitte-Rechts-Partei, die sich mehr auf Wirtschaftspolitik konzentriert, aber auch sie spricht über die Lösung von Problemen an den Grenzen. Die rechtspopulistischen Parteien wie ActionSA und die Patriotic Alliance verwenden eine offen fremdenfeindliche Sprache. Viele Politiker nutzen diese Rhetorik, um Stimmen zu fangen und ihre Machtbasis zu erweitern. Solange das funktioniert, werden sie damit weitermachen.

Aber die Wurzeln dieser Fremdenfeindlichkeit liegen tiefer, oder?
Manche sprechen eher von Afrophobie als von Xenophobie, weil hauptsächlich schwarze Afrikaner aus Nachbarländern wie Simbabwe oder Mosambik, aber auch aus Nigeria Ziel der Attacken sind. Weiße oder westliche Migranten werden nicht angegriffen. Ich denke, wir haben es tatsächlich mit einem Rassismus „Schwarz gegen Schwarz“ zu tun. Und dieser hat seine Wurzeln im Kolonialismus und in der Apartheid. Man muss Jahrhunderte zurückgehen, um zu sehen, was der Kolonialismus den Schwarzen angetan hat. Durch Prozesse der Ausgrenzung und Segregation wurden Südafrikaner unterdrückt. Da die Siedler aber nicht die gesamte einheimische Bevölkerung beherrschen konnten, setzten sie beispielsweise Migranten als Arbeitskräfte auf ihren Farmen und später in den Kohleminen ein, da diese leichter zu unterwerfen waren. Dies führte zu einer Art von Ressentiments in dem Sinne, dass die schwarzen Südafrikaner sagten: „Wir bekämpfen die Siedler und ihr akzeptiert sie.“ Zu einem gewissen Grad gilt dies auch heute noch. Schauen Sie sich nur die Statistiken an: Die Einwanderer arbeiten hauptsächlich in Privathaushalten, im Einzelhandel und im Baugewerbe.  Und da sie aus sehr armen Volkswirtschaften wie Mosambik, Swasiland oder Simbabwe kommen, neigen sie dazu, sehr niedrige Löhne zu akzeptieren.

Sie kommen selbst aus Mosambik. Haben Sie in Südafrika jemals selbst Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus erlebt? 
Als ich 2012 nach Südafrika kam, habe ich keine Diskriminierung gespürt. Aber 2014 wurde das Einwanderungsgesetz stark geändert. Als ich meine Papiere erneuern und eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragen musste, hatte ich Schwierigkeiten. Das Verfahren wurde verzögert, obwohl ich alle Dokumente hatte und alle Kriterien erfüllte. Inzwischen ist es noch viel schlimmer geworden. Manche Bürger und Politiker verwenden gerne den Begriff „illegaler Migrant“, weil es dann leichter ist, gegen sie vorzugehen. Selbst in ihrem Weißbuch sagt die Regierung nicht, wie viele „illegale Migranten“ sich im Land aufhalten. Das bedeutet, sie weiß es gar nicht. Sie erwähnt nur, dass ab und zu ein paar Tausend von ihnen abgeschoben werden müssen.

Unternimmt die Regierung etwas gegen Fremdenfeindlichkeit?
Dieses falsche populistische Narrativ von einer „Einwanderungskrise“ hat im Kern mit der Wirtschaftskrise und den sozialen Folgen zu tun. Die Regierung sollte sich also darauf konzentrieren, die Probleme zu lösen: die Arbeitslosigkeit und Kriminalität zu bekämpfen, die hohen Lebenshaltungskosten zu senken und das Problem der Korruption zu lösen. Aber die Regierung tut das nicht. Der ANC muss begreifen, dass es seine Aufgabe ist, diesem Narrativ entgegenzuwirken und die Gesellschaft daran zu erinnern, dass kriminell zu werden nichts mit der Herkunft zu tun hat. 

Was glauben Sie, wie die Wahlen ausgehen werden? 
Ich glaube nicht, dass der ANC in der Lage sein wird, eine Mehrheitsregierung zu bilden. Die Ablehnung in der Bevölkerung ist wegen der wirtschaftlichen und sozialen Probleme groß. Der ANC wird wahrscheinlich eine Koalition bilden müssen, höchstwahrscheinlich mit den Economic Freedom Fighters von Julius Malema. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die EFF im Moment eine sehr klare Pro-Migranten-Position hat. Das könnte dazu beitragen, die fremdenfeindlichen Narrative zu reduzieren. Aber das hängt natürlich davon ab, wie viel Macht die EFF haben wird und ob sie bei ihrer Haltung bleibt oder ob sie sie ändert, sobald sie an die Macht kommt. Doch vielleicht wäre eine solche Koalition ein Hoffnungsschimmer.

Das Interview führte Melanie Kräuter. 

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