Im Wahlkampf werden Migranten angefeindet

Zu sehen ist ein großes Schild eines afrikanischen Gewürzshops, seitlich steht ein Lieferwagen.
Safodien Mudj/TNH
Viele Äthiopier, die nach Südafrika einwandern, eröffnen dort informelle Geschäfte: ein äthiopischer Laden in Booysens, einem Vorort von Johannesburg.
Südafrika
Tausende sind aus dem Süden Äthiopiens nach Südafrika geflohen und arbeiten dort im informellen Sektor. Sie sind dort bürokratischen Schikanen ausgesetzt und zunehmend auch Anfeindungen von Einheimischen.

Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch bei "The New Humanitarian" erschienen. 

Der Kleinhändler Tekeste bedient die Kunden seines vollgestopften kleinen Ladens im Johannesburger Vorort Eldorado Park durch ein kleines Metallgitter. Im Alltag bietet es ein bisschen Schutz vor Angriffen, es sei denn jemand steckt eine Pistole durch das Gitter und verlangt Tekestes ganze Tageseinnahmen – das ist schon öfter passiert.  

Eldorado Park ist bekannt für seine Drogen- und Gangsterszene, aber Anfang des Jahres wirken die Begegnungen rund um Tekestes Laden meist freundlich. Den ganzen Tag kommen Leute aus umliegenden Straßen, um lose Zigaretten, Limonade, Süßigkeiten, Papiere zum Drehen von Spliffs oder Brotlaibe zu kaufen oder auch nur, um einen Kredit zu begleichen. Fast alle beginnen ihre Bestellung mit „Bekomme ich bitte …?“, und Tekeste bedient sie leutselig und herzlich. Mit seinem äthiopischen, vom hiesigen Slang gefärbten Akzent tadelt er scherzhaft Schuljungen, die Zigaretten kaufen, oder versucht, mit einigen der jungen Frauen ins Gespräch zu kommen, die ihr Telefonguthaben auffüllen. 

Weil Tekeste die wichtigsten Dinge des täglichen Bedarfs verkauft und Kredit gibt, erfüllt sein informeller Laden – in Südafrika als Spaza bekannt – eindeutig einen Bedarf in der Gemeinde. Dennoch hat er zu kämpfen. Den ganzen Tag ist er auf den Beinen, aber seine Einnahmen sind niedriger als in der Zeit vor der Covid-19-Pandemie. „Die Wirtschaft ist am Boden“, sagt er, „die Leute kaufen nicht mehr so viel wie früher.“

Der Asylantrag läuft seit sieben Jahren 

Aber Tekeste machen nicht nur steigende Lebenshaltungskosten in Südafrika Probleme. Er ist Asylanwärter aus der dicht besiedelten südlichen Region Hadiya in Äthiopien. Obwohl er schon seit sieben Jahren in Südafrika lebt, steht die endgültige Entscheidung über sein Asylgesuch noch aus, so dass er immer noch nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Der kolossale Bearbeitungsstau im Innenministerium bedeutet, dass Tekeste alle paar Monate eine Verlängerung beantragen muss – eine bürokratische Hürde, die zu überwinden in der Regel eine Bestechungszahlung an Einwanderungsbeamte erfordert. Außerdem ist er Übergriffen der Polizei ausgesetzt, die routinemäßig Migranten schikaniert, selbst solche mit offiziellen Papieren. Gegenüber neu ankommenden Afrikanern herrscht ein feindseliges Klima.

Die Migrationsrouten von Äthiopien nach Südafrika.

Das hatte Tekeste nicht erwartet, als er von Äthiopien aus seine Reise plante, um in der am weitesten entwickelten Wirtschaft des Kontinents einen Neuanfang zu wagen. Die sogenannte Südroute nach Südafrika ist einer der drei großen Migrationswege aus dem Horn von Afrika hinaus. Doch anders als die beiden bekannteren Routen nach Osten in die Golfstaaten oder nach Norden Richtung Europa ist sie nur spärlich dokumentiert und kaum bekannt. Dabei nehmen jedes Jahr Tausende, möglicherweise bis zu 80.000, Äthiopier ohne Papiere diese Route . Im Süden Äthiopiens ist es eine Tradition geworden, sie zu nehmen; mehr als ein Drittel der Haushalte in Hadiya und im benachbarten Kembata-Tembaro haben inzwischen mindestens einen Sohn, der die Reise gemacht hat. 

 

Tausende Dollar für die Schleuser

Organisierte Schleusernetzwerke nehmen dafür nach Angaben der UN-Migrationsorganisation IOM um die 4800 US-Dollar pro Person. Für die Familien in Hadiya sind das enorme Kosten, die sie mit dem Verkauf von Vermögenswerten oder der Aufnahme von Krediten zu decken versuchen – in Erwartung künftiger Überweisungen ihrer Söhne.

Tekestes Reise begann, als er noch Schüler war, mit einem Kontakt zu einem Makler in Hadiya, den ihm sein Bruder in Südafrika vermittelt hatte; der hatte sich dort bereits im Spaza-Geschäft etabliert. Heute schüttelt Tekeste den Kopf, wenn er daran denkt. Ein Jahr brauchte er für die Reise über Land, ein Freund starb auf dem Weg. In Malawi verbrachte er sechs Monate im Gefängnis, bis die Gruppe, mit der er unterwegs war, wieder freigelassen wurde; Schmuggler hatten Bestechung bezahlt, um ihre Abschiebung zu verhindern. 

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Und er hatte die ganze Zeit Angst. „Ich kann es nicht vergessen – es war eine so schlimme Zeit“, sagte Tekeste. „Manchmal haben wir unterwegs sieben Tage lang nichts gegessen. Wenn du krank wurdest, ließen sie dich zurück; wenn du gestorben bist, hat dich niemand beerdigt. Die Schmuggler nahmen uns alles – sogar die Schuhe, wenn sie schön waren.“

Bei Ankunft Entführung

Auch in Südafrika ist für die Migranten die Gefahr nicht vorüber. Regelmäßig berichten Medien darüber, dass die Polizei bis zu hundert Migranten auf einmal aus Häusern in den Vorstädten rettet, in denen sie mit wenig Essen und nur Eimern als Toiletten eingepfercht sind. Die Behörden betrachten diese überwiegend äthiopischen Männer als Opfer des Menschenhandels. 

Die Wirklichkeit ist komplizierter, aber nicht weniger brutal. Migranten ohne Papiere werden oft an der südafrikanischen Grenze von äthiopisch geführten Syndikaten aufgegriffen, die mit Schleppernetzwerken verbunden sind. Statt die Menschen wie vereinbart an Verwandte oder Freunde zu übergeben, werden sie in Transithäuser in Johannesburg gebracht, wo sie aufgefordert werden, ihre Kontakte anzurufen, um eine letzte Zahlung zu erpressen, bevor sie freigelassen werden – eine Forderung, die mit Schlägen verstärkt werden kann.

Yohannes hat einen Spaza-Laden in Kuruman im Nordkap und sagt, er habe erst erfahren, dass sein Bruder und ein Cousin auf dem Weg nach Südafrika waren, als er aus Tansania einen Anruf von ihnen erhielt. Mehrere Wochen später flehten sie um Hilfe: Sie waren an der Grenze entführt und nach Johannesburg gebracht worden, und die Entführer verlangten 100.000 Rand, umgerechnet über 5000 Euro.

„Heute werden 99 Prozent der Äthiopier, die nach Südafrika kommen, entführt“, sagt Yohannes. „Alle haben Angst. Man kann diese Leute nicht bekämpfen: Sie sind sehr gut organisiert, einige arbeiten mit der Polizei zusammen, und sie töten ihre Gegner. Das Einzige, was man tun kann, ist bezahlen und seine Leute rausholen.“ Yohannes hat eine junge Familie zu ernähren, und sein Geschäft läuft nicht gut. Aber die Familienpflicht hat ihn gezwungen zu helfen. Deshalb leben sein Bruder und sein Cousin jetzt bei ihm, arbeiten in seinem Laden und werden von ihm durch das labyrinthische Asylverfahren geführt.

21 Mal vorübergehend geduldet

Wir begegnen ihm zum ersten Mal vor dem südafrikanischen Innenministerium in der Metropolregion Tshwane. Yohannes ist mit einer Gruppe anderer Asylbewerber aus dem Nordkap angereist, die alle ihre befristeten Aufenthaltsgenehmigungen verlängern lassen wollen. Sie haben über Nacht im Auto geschlafen, um vorn in der Warteschlange zu stehen –nur ein Mal pro Woche kann man Genehmigungen verlängern lassen. Für Yohannes wäre es die einundzwanzigste Verlängerung seit seiner Ankunft in Südafrika im Jahr 2010. Er war aus der äthiopischen Armee desertiert, ein schweres Vergehen in Äthiopien. Auf seinem alten Militärausweis steht, dass er Unteroffizier war, aber er erklärt, er habe sich unerlaubt entfernt, nachdem er wiederholt bei Beförderungen übergangen worden war – eine Diskriminierung, die Äthiopier aus dem Süden des Landes routinemäßig treffe. 

Südafrika gewährt Migranten auf dem Papier Freizügigkeit und Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, sein Umgang mit Flüchtlingen gilt deshalb vielen als vorbildlich. Die Umsetzung untergräbt aber ein dysfunktionales Innenministerium mit schlecht ausgebildeten und überforderten Mitarbeitern. Schätzungsweise 90 Prozent der Asylanträge werden abgelehnt. Bei einer Berufung kann es Jahrzehnte dauern, bis der Fall entschieden wird. „Der Rückstau ist inzwischen astronomisch", berichtet Nyeleti Baloyi, Advocacy Officer beim Consortium for Refugees and Migrants in South Africa (CoRMSA). Obwohl das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR das Innenministerium bei der Abarbeitung der Berufungsfälle unterstützt, besteht der Rückstau weiter, so Baloyi.

Gute Regeln, schlechte Praxis

In der Zwischenzeit bekommen Asylbewerber befristete Aufenthaltserlaubnisse, die ihnen das Recht geben, im Land zu leben und zu arbeiten. Eigentlich sollen die kostenlos sein, aber die kontaktierten Asylbewerber sagen, sie mussten umgerechnet rund 150 Euro an Vermittler zahlen, die dann die Beamten schmierten. „Ohne Bestechung kriegt man keine Papiere“, sagte Yohannes. „Die Makler sind Äthiopier und schon sehr lange hier; sie haben vielleicht als Dolmetscher angefangen, haben die Verbindungen, und es gibt keine Alternative als zahlen.“ Innenminister Aaron Motsoaledi räumt das Problem ein: „Nirgends in der Regierung ist Korruption so verbreitet und so deutlich wie im Innenministerium“, schrieb er in einem Zeitungsartikel. 

Nach Angaben des UNHCR wurden im Jahr 2023 insgesamt 39.000 gewaltsam vertriebene Äthiopier in Südafrika registriert, 13.400 Flüchtlinge und 25.624 Asylbewerber. Laut dem äthiopischen Migrationsforscher Yordanos Estifanos  gehören Äthiopier zu der größten Gruppe von Asylbewerbern, deren unbearbeitete Anträge beim Innenministerium liegen. 

Die Jeppe Street in der Innenstadt von Johannesburg ist ein Geschäftszentrum für Migranten – sie betreiben Straßenhandel bis hin zu mehrstöckigen Handelszentren und Restaurants. Das Geschäft in diesem Viertel, das umgangssprachlich als „Little Addis“ bezeichnet wird, ist überwiegend in äthiopischem Besitz. Der Erfolg hat seinen Preis. Immer öfter nimmt die Polizei äthiopische Geschäftsleute unter die Lupe, wie Straßenhändler aus Jeppe berichten. In der Regel werden sie aus ihren Läden geholt und in einen Polizeiwagen gepackt. Dort warten sie stundenlang und werden dann aufgefordert, 1500 Rand (umgerechnet um die 75 Euro) zu bezahlen. „Früher war das nicht so, aber in den letzten sechs Monaten haben sie es auf Äthiopier abgesehen“, sagt Ahmed, der seit 17 Jahren im Land ist und einen offiziellen Flüchtlingsstatus hat. Während wir einen Polizeiwagen auf der Jeppe beobachten, fügt er hinzu: „Jeder ist betroffen. Ich war erst letzten Monat dran.“

Die Polizei fordert Schutzgeld

Bei ihm und fünf anderen Flüchtlinge mit Geschäften in der Gegend von Jeppe, die mit uns sprechen, sind die Polizisten in sein Geschäft gekommen und haben seine Papiere verlangt. Bevor er die Originale – keine Fotokopien – vorlegen konnte, wurde er in einen Lieferwagen gepfercht. „Sie haben mir keine Chance gegeben“, sagte Ahmed, der Diabetiker und herzkrank ist. „Sie nahmen mich mit, als wäre ich ein Krimineller. Es war so heiß im Transporter, dass ich ohnmächtig wurde. Die Leute haben auf mir herumgetrampelt und mich getreten. Ich dachte, ich würde sterben.“ Ahmed zahlte umgerechnet um 100 Euro, um freigelassen zu werden.

Afrikanische Migranten haben in Südafrika seit jeher mit einem hohen Maß an Feindseligkeit zu tun. Man erzählt sich allgemein, sie seien gekommen, um den Staat auszusaugen – von Sozialdiensten bis zur Sozialhilfe – und brächten Kriminalität ins Land. Gleichzeitig werden sie beschuldigt, Arbeitsplätze zu stehlen in einer Wirtschaft, die nicht genug davon schaffen kann.

Die Fakten zeigen indes, dass Zuwanderung hier – wie im Rest der Welt – mehr Nutzen als Kosten bringt. Von Ausländern geführte Spaza-Läden bieten Südafrikanern Beschäftigung und kleinen Zulieferern Chancen. Doch in diesem Jahr mit Wahlen, deren Ausgang unsicher ist, ist populistische Afrophobie zur politischen Normalität geworden. Innenminister Motsoaledi hat im November 2023 ein Weißbuch veröffentlicht, wonach das Migrationssystem komplett überarbeitet werden. Es spricht auch die Mängel im Innenministerium an. Doch die Lösung, für die Motsoaledi plädiert, ist ein vorübergehender Ausstieg Südafrikas aus internationalen Abkommen zum Flüchtlingsschutz. Das Weißbuch sieht in Migration vor allem eine Gefahr, eine Quelle gesellschaftlicher Spannungen und krimineller Manipulationen. Die Migrantenrechtsgruppe CoRMSA hat das in einer Erklärung kritisiert als Versuch, „Migranten zum Sündenbock für das Versagen des Systems zu machen“ und „Ängste für politische Zwecke auszunutzen“.

Die äthiopischen Asylbewerber waren alle dankbar für den Schutz, den Südafrika ihnen gewährt, und für die Chance auf ein besseres Leben. Sie haben ihre Mittel zusammengelegt, um Unternehmen zu gründen – von Spazas bis zu Bars –, und sehen ihren Beitrag zur Wirtschaft als positiv an. Aber war es das alles wert, die gefährlichen Monate auf dem Weg von Hadiya hierher, die Asylprobleme, die Kriminalität und die Fremdenfeindlichkeit, die sie in Südafrika erleben? „Nein“, ist die einhellige Meinung. „Ich würde niemandem raten, von zu Hause hierher zu kommen“, sagte Yohannes. „Die Erfahrung hier ist sehr, sehr schmerzhaft.“

Die Namen sind zum Schutz der Migranten geändert. 

Der Text ist zuerst  auf Englisch erschienen bei "The New Humanitarian", einer Plattform des unabhängigen Qualitätsjournalismus zu humanitären Krisen weltweit. 

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Erbe .(The New Humanitarian ist nicht verantwortlich für die Richtigkeit der Übersetzung.) 

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