Gutes „gemeinsames Wort“ der Kirchen

Migration
In einem langen Papier haben deutsche Kirchen ihre Sicht auf Migration dargelegt. Aus der biblischen Sichtweise könnten Politiker viel für den menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten lernen, kommentiert Katja Dorothea Buck. 

Muss ein „gemeinsames Wort“ der Kirchen zum Thema Migration wirklich 215 Seiten lang sein? Hätten sich die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zusammen mit dem Arbeitskreis christlicher Kirchen (ACK) nicht schlicht auf das christliche Gebot des Schutzes von Schwachen und Verfolgten berufen können und fertig? Nein, das hätte nicht gereicht. Denn Migration ist nicht nur ein einzelner Flüchtling, dem man die Haustür öffnet und für eine Nacht Schutz gewährt. Sie ist vielschichtig und betrifft nicht nur Menschen auf der Flucht, sondern auch diejenigen, die sie aufnehmen (sollen). Und sie hat viele, zum Teil langfristige Folgen – politische, wirtschaftliche und religiöse, lokale wie internationale. Wer also „Migration menschenwürdig gestalten“ will, so der Titel des unlängst erschienenen Textes der Kirchen, muss sich dieser Komplexität stellen.

Es lohnt, die vielen Seiten zu lesen, wenn man wissen will, wo die Kirchen beim Thema Flucht und Migration stehen. Wohltuend ist, dass sie keine Deutungshoheit für sich in Anspruch nehmen und sich als einen unter vielen Beteiligten begreifen. Migration sei und bleibe Gestaltungsaufgabe für alle, schreiben die Autorinnen und Autoren, die fast alle an Hochschulen arbeiten und von den Kirchen mit der Erstellung des Textes beauftragt wurden. 

Zustimmung zu Integrationsbemühungen ist groß

Wohltuend ist auch, dass sie Migration und Flucht nicht nur problematisieren, sondern auch erfreuliche Tendenzen benennen. Polarisierung, Diskriminierung und Rassismus seien zwar im Aufwind, aber andererseits sei die Zustimmung für Integrationsbemühungen in der Bevölkerung sehr groß. Nicht nur in den Kirchen, auch in der Zivilgesellschaft werde in vielen Situationen Solidarität konkret gelebt, die Würde des Menschen verteidigt und der Respekt vor Menschenrechten eingefordert. Dies zeige, dass eine menschenwürdige Gestaltung von Migration möglich sei. Die europäische und internationale Politik allerdings habe dabei bisher versagt. 

Die Kirchen sind nicht die einzigen, die einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten fordern. Was also macht das Papier zu einem originären Beitrag? Es sind die biblischen Reflexionen. Beim Abklopfen der alten Texte auf migrationspolitische oder -ethische Bezüge schlagen die Autorinnen und Autoren zum Beispiel vor, etwa die Geschichte des Volkes Israel in Ägypten einmal aus „migrantischer Sicht“ zu lesen: Das antike Imperium Ägypten war eine expandierende Wirtschaft, politisch sehr einflussreich, verfügte über hohes technisches Wissen und eine weit entwickelte Bürokratie und Kultur. Religiöse Kulte stützten die politische Macht. Für Zugewanderte, die dort Schutz und ein Auskommen suchten, blieb allerdings nur die Rolle der Zwangsarbeiter. 

Analogien zum heutigen Europa drängen sich da auf. „Eine differenzierte Erinnerung an die biblische Sicht auf Ägypten kann dem politischen Europa von heute, seinerseits mit den Leidenserfahrungen hier Schutzsuchender konfrontiert, Orientierung geben, um eine Migrationspolitik zu entwickeln, die dem globalen Süden wie auch dem Norden gerecht wird“, heißt es in dem Papier. „Dafür müssen allerdings die Stimmen der Migrantinnen und Migranten sowie die Kritik der Theologien des globalen Südens in Europa Gehör finden.“ Hierfür können und sollten sich die Kirchen noch viel stärker einsetzen. 

Die Kernaussagen der Öffentlichkeit zugänglich machen

Die Kirchen haben viele Möglichkeiten, das kulturell vielfältige Einwanderungsland, welches Deutschland mittlerweile ist, aktiv mitzugestalten. Politische Einflussnahme ist nur eine davon. Viel leisten auch die Gemeinden vor Ort. Der Zustrom Hunderttausender Geflüchteter ab 2015 hätte kaum gemeistert werden können ohne den ehrenamtlichen Einsatz, der nicht nur, aber doch in erheblichem Maß auch von Christinnen und Christen erbracht wurde und wird. 

Wie viele von denen werden wohl diese 215 Seiten lesen? Nur die Wenigsten werden Zeit und Lust haben, sich durch einen solch langen Text zu arbeiten. Deswegen wäre es wünschenswert, die Bischofskonferenz, die EKD und die ACK würden die Kernaussagen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Das sollte sich nicht in einer gut lesbaren Kurzfassung erschöpfen. Denkbar sind auch Fortbildungsformate, Austauschforen und Begegnungsmöglichkeiten für diejenigen, die bereits vor Ort Migration menschenwürdig gestalten. Sie erleben sich allzu häufig als Einzelkämpfer und hätten dringend eine Anerkennung ihrer Arbeit verdient. 

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