Bauern aus Nord und Süd fordern ein Ende der Exportproduktion
Von Bettina Stang
Vertreter von Bauernorganisationen aus Entwicklungsländern setzen sich gemeinsam mit deutschen Kollegen für eine faire Agrarpolitik auf nationaler und internationaler Ebene ein. In einem Diskussionspapier richten sie ihre Forderungen an die EU-Kommission, die in diesem Jahr ihre 2003 verabschiedete Agrarreform überprüfen will.
Henry Njakoi ist fassungslos. Gerade hat er einen Bauernhof in Wilster in Schleswig-Holstein mit 300 Milchkühen besucht. „Dem Bauern ist das nicht genug“, sagt der Tiermediziner aus Kamerun. „Er will seinen Bestand demnächst auf 500 aufstocken.“ In seiner Heimat schätze sich eine Familie schon glücklich, wenn sie eine einzige Kuh besitzt, erzählt der Leiter eines Projektes, das die Milchwirtschaft in seiner Heimat stärken will. Nach diesem Erlebnis fiel es Njakoi dann nicht sonderlich schwer, für den nächsten Betrieb – einen Hof mit knapp 50 Kühen – die Bezeichnung „kleinbäuerlich“ zu akzeptieren.
Das Anliegen, kleinbäuerliche Strukturen zu stärken, stand im Mittelpunkt eines Dialogprojektes zwischen Milchbauern aus Nord und Süd. Die aus der Agraropposition stammende Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ hatten die Begegnung organisiert. Acht Bauern und Verbandsvertreter aus Afrika, Asien und Südamerika, aufgeteilt in zwei Delegationen, besuchten Milchhöfe in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Dann diskutierten sie die mit den Kollegen aus dem Norden gemeinsam entwickelten Forderungen mit Vertretern der deutschen und europäischen Politik in Berlin.
„Wachsen oder weichen“ – das sei die Alternative, vor der sich landwirtschaftliche Kleinbetriebe in Deutschland gestellt sehen, berichten die in der AbL organisierten Bauern ihren Besuchern. Als wirklich marktfähig gelte ein konventioneller Betrieb erst ab 250 Tieren, erst dann könnten Rationalisierungseffekte richtig greifen, erläutert Bio-Milchbauer Bernd Schmitz. Kleinere Betriebe dagegen stünden rasch vor der „Investitionsfrage“: Um die hohen Anforderungen der Molkereien und des Handels zu erfüllen, sei viel Kapital notwendig.
„Betriebe, die das Geld nicht aufbringen können, steigen aus“, sagt Schmitz. Die Zahlen sind deutlich: Nach Angaben der AbL hat in den vergangenen zehn Jahren die Hälfte der Milchhöfe mit weniger als 50 Kühen den Betrieb eingestellt. Zugleich nahm die Zahl der Höfe mit mehr als 100 Tieren zu: Zwischen 1996 und 2005 stieg sie von 3900 auf 4900.
„Als Kleinbauern fehlt uns allen die staatliche Unterstützung, die notwendig wäre, um im Wettbewerb zu bestehen“, fasst Shahidul Islam aus Bangladesch eine der zentralen Erkenntnisse der Gäste zusammen. „Doch was bei euch eine Frage der Wirtschaftlichkeit ist, ist bei uns eine Frage des Überlebens!“ Immerhin sei Milch für die Bauern in den Ländern des Südens oft die wichtigste Quelle des monatlichen Geldeinkommens. Frische Milch und selbst hergestellten Käse können sie zumindest auf den lokalen Märkten verkaufen. Vom nationalen Molkereiwesen, sofern es existiert, blieben sie dagegen meist ausgeschlossen.
Die Bauernvertreter aus dem Süden sind überzeugt, dass die Milchproduktion in ihren Ländern noch erheblich ausgeweitet werden kann. Auch Kleinbauern sollten die Möglichkeit haben, ihre Produkte über kooperativ organisierte Molkereien zu vertreiben, finden sie. Dann wäre frische Milch endlich nicht länger ein unerschwingliches Luxusgut für die arme Stadtbevölkerung, sagt Maria Bernardino aus den Philippinen. Philip Ombidi aus Kenia ergänzt: Milch könne überall zu einem täglichen Nahrungsmittel werden. Dafür müsse die Europäische Union allerdings darauf verzichten, ihre Überschüsse in arme Länder zu exportieren. Die Regierungen im Süden müssten per Technologietransfer in die Lage versetzt werden, ein flächendeckendes Molkereinetz aufzubauen, das auch die Kleinbauern erreicht.
Milch für den Binnenmarkt
Bei ihren in der AbL organisierten Kollegen stoßen die Bauernvertreter aus dem Süden mit solchen Forderungen auf offene Ohren. Auch die AbL-Kollegen sind davon überzeugt, dass eine Milchproduktion, die sich auf den heimischen Markt beschränkt, die noch vorhandenen „klein“-bäuerlichen Strukturen fördern würde. Die exportorientierte Überschussproduktion dagegen drücke den Milchpreis und unterstütze einseitig Betriebe mit Massentierhaltung.
Das im Verlauf des Dialogprozesses entstandene Diskussionspapier mit dem sperrigen Titel „Neue Agrarpolitik für Bäuerinnen und Bauern in Nord und Süd – Beispiel Milch“ konzentriert sich deshalb auch auf die Skizzierung einer Landwirtschaftspolitik, die nicht auf Export, sondern allein auf die Deckung der heimischen Nachfrage setzt. Die zehnseitige Erklärung wendet sich an Fachleute und stellt die Diskussion um die Milchquote der Europäischen Union (EU) in den Mittelpunkt. Sie soll im Jahr 2015 fallen, zuvor aber im laufenden Jahr noch einmal um zwei Prozent erhöht werden.
„Das lehnen wir ab“, erklärt der AbL-Vorsitzende Friedrich-Wilhelm Graefe von Baringsdorf auf dem Abschluss-Podium in Berlin. Um kleinere Betriebe am Leben zu erhalten, brauche es ein Instrument, das sich an der einheimischen Nachfrage orientiere, eine „flexible Quote“ also, die allein daran ausgerichtet ist, einen für die Milchbauern fairen Preis zu garantieren. Sein Nachbar auf dem Podium, Michael Erhart von der EU-Kommission, verzichtet darauf, auf Einzelheiten des Nord-Süd-Papiers einzugehen. Er verweist stattdessen auf die Stärke funktionierender Kooperativen wie jene in Neuseeland, die es „ganz ohne Subventionen“ schaffen, Milch für den Weltmarkt zu produzieren.
In der Diskussion räumt der Jurist allerdings ein, dass auch Kooperativen zunächst ein geschütztes Umfeld brauchen, um sich auf den wirtschaftlichen Wettbewerb vorzubereiten. Das habe die EU mittlerweile eingesehen. Sie verzichte deshalb jetzt – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – auf Exportsubventionen und lasse in den neuen Freihandelsabkommen (den so genannten „Economic Partnership Agreements“) mit Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) sogar Schutzklauseln für den Erhalt des Status quo zu.
Das aber, entgegnet „Brot für die Welt“-Direktorin Cornelia Füllkrug-Weitzel, sei genau das Problem: Bereits jetzt schützten die Zölle die einheimische Produktion nicht mehr ausreichend. Für die Förderung der ländlichen Entwicklung komme dieses Angebot der EU deshalb zu spät.
Das Diskussionspapier und weitere Informationen zum Agrardialog unter www.brot-fuer-die-welt.de/ernaehrung
welt-sichten 4-2008