Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 stehen die Zeichen im Westen auf Aufrüstung. Und seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump im vergangenen Januar ist Europa besonders nervös, ob sich der Kontinent ohne Unterstützung des Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks überhaupt verteidigen könnte, sollte Russland eines Tages angreifen.
Rüstung, Sicherheit und Verteidigung waren in der Europäischen Union (EU) immer Angelegenheit der Mitgliedstaaten, nicht der Union, anders als etwa die Handels- oder die Landwirtschaftspolitik. Doch das ändert sich jetzt – und das wiederum sorgt dafür, dass europäische, aber auch außereuropäische Rüstungskonzerne Brüssel als zunehmend wichtigen Standort für ihren Lobbyismus entdecken.
Im März stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den EU-Aufrüstungsplan ReArm Europe vor. Er sieht für die kommenden Jahren europaweit zusätzliche Rüstungsausgaben in Höhe von insgesamt 800 Milliarden Euro vor. 650 Milliarden Euro sollen die EU-Mitglieder bereitstellen; um das zu ermöglichen, sollen dafür die Verschuldungsregeln der EU außer Kraft gesetzt werden. Die verbleibenden 150 Milliarden Euro will die Kommission den Mitgliedern in Form von Krediten zur Verfügung stellen.
Zwar wurde der Plan auf Wunsch von Italien und Spanien, denen ReArm Europe zu martialisch klang, in Readiness 2030 umbenannt, aber in der Sache ändert sich nichts: Es geht um enorm viel Geld. Und die Rüstungskonzerne bringen sich laut einem Bericht des Onlineportals „Politico“ verstärkt in Stellung, um möglichst viel von dem Kuchen abzubekommen. Demnach haben die zehn größten europäischen Waffenhersteller bereits in den Jahren 2022 und 2023 ihre Budgets für Lobbyarbeit in Brüssel zusammen um 40 Prozent erhöht.
Saab hat sein Budget für Lobbyarbeit verdoppelt
Das geht laut „Politico“ aus dem EU-Transparenzregister hervor, in dem die Unternehmen über ihre Lobbytätigkeit in EU-Institutionen wie der Kommission oder dem EU-Parlament berichten müssen. Der schwedische Konzern Saab, der unter anderem Kampfflugzeuge, Raketen und U-Boote herstellt, hat demnach sein Lobbybudget verdoppelt, gefolgt von den Flugzeugbauern Airbus und Dassault, die ebenfalls deutlich aufgestockt haben.
Zugleich haben die zehn größten europäischen Unternehmen, darunter die deutsche Panzerschmiede Rheinmetall, ihr Personal für Lobbyarbeit in Brüssel erhöht – von insgesamt rund 30 auf gut 40 Mitarbeiter in Vollzeit. An der Spitze liegt hier der französische Luft- und Raumfahrtkonzern Thales, der die Zahl seiner EU-Lobbyisten von dreieinhalb auf zehn Stellen verdreifacht hat. Laut „Politico“ hat sich der US-Waffenhersteller Lockheed im vergangenen Jahr erstmals im EU-Transparenzregister registrieren lassen und bereits zwei für das EU-Parlament zuständige Lobbyisten nach Brüssel entsandt.
Rüstungslobbyisten können fehlende Transparenzregeln ausnutzen
Während Lobbyarbeit in EU-Institutionen einigermaßen transparent läuft, gilt das nicht für viele EU-Mitgliedstaaten. Laut einer Untersuchung von Transparency International haben von den 27 EU-Mitgliedern nur 15 verbindliche Regeln für transparente Lobbyarbeit. In den 12 übrigen sind die Vorgaben freiwillig oder es gibt gar keine. Und selbst in den Staaten mit verbindlichen Regeln hat Transparency International viele Schlupflöcher gefunden.
Das Risiko bestehe deshalb, dass Rüstungslobbyisten löchrige oder fehlende Transparenzregeln in den EU-Mitgliedstaaten nutzen, um über nationale Regierungen und Parlamente Einfluss auf die EU-Aufrüstungspolitik zu nehmen, schreibt Emily Wegener von Transparency International in einem Gastbeitrag für den „EUobserver“. Europa müsse deshalb den „Waffenkaufrausch“ dringend durch einen „Transparenzrausch“ ergänzen: „Andernfalls könnte es den Rüstungswettlauf gewinnen, das Vertrauen und die Unterstützung der Öffentlichkeit aber verlieren.“
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