Porträts: Von Menschen und Müll

Porträts: Von Menschen und Müll

„Mama Afrika“ Angefangen hat alles 1994. Die Düsseldorfer Architektin Martina Zenker und ihr Mann Oliver erfüllten sich einen lang gehegten Traum: Sie reisten zwei Jahre lang durch Afrika. Auf Märkten, an Straßenrändern und in kleinen Werkstätten entdeckten sie kleine Schätze: Schmuck, Wohnaccessoires, Spielzeug, Masken – liebevoll gefertigt aus einfachen Materialien wie Blechdosen, Korken, Sicherheitsnadeln, Glasperlen und Flaschenetiketten. „Wir haben auf unserer ersten Reise nach Afrika viel eingekauft“, berichtet Martina Zenker. „Wir waren sicher, dass die Objekte in Deutschland Anklang finden.“ Eine ehemalige Autowerkstatt in einem Düsseldorfer Hinterhof diente als Lager und Handelszentrale. Weitere Reisen in das südliche und östliche Afrika folgten. Martina Zenker knüpfte Kontakte zu Herstellern und Künstlern. Im Laufe der Jahre baute sie ein Netzwerk von insgesamt 40 afrikanischen Manufakturen auf, vorwiegend in Swasiland, Sambia, Kenia, Mosambik und Madagaskar. Ihre Firma taufte sie „Mama Afrika“. Inzwischen vertreibt die 43-Jährige ihre „Kollektion“ bundesweit in mehr als 160 Läden. Hauptabnehmer sind große Museumsshops. Ausstellungen und Events wie die Süd-Afrika-Tage sowie regelmäßige mehrwöchige Afrikareisen nutzt Martina Zenker, um Kontakte zu pflegen und auszubauen. Neben dem Vertrieb des Kunsthandwerks hat sie dazu beigetragen, Ausbildungsprojekte zu realisieren. Martina Zenker garantiert bei „Mama Afrika“ faire Handelsbedingungen ohne Zwischenhändler. Der Unternehmerin, die ihren Beruf als Architektin aufgegeben hat, geht es nicht um das große Geschäft. Sie möchte dazu beitragen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen in afrikanischen Ländern zu verbessern.     Anne Kaben

 

Manager im „Junkshop“ Nach dem Kalender ist Regenzeit in Tuguegarao, einer 120.000-Seelen-Stadt auf der philippinischen Insel Luzon, aber die Abkühlung bleibt aus. Lucas J. Ballad wischt sich mit einem kleinen Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht. In Shorts und blütenweißem T-Shirt steht er im hinteren, überdachten Teil seines „Junkshops“. Hier befindet sich das Büro. Zwei Plastikstühle und eine Bank gruppieren sich um einen runden Tisch, auf dem eine Geldkassette, Gläser, Flaschen und ein Ventilator stehen. Lucas handelt mit Müll. Sein Geschäft floriert. Das Grundstück an einer Ausfallstraße, auf dem er vor fast zwei Jahren seinen „Junkshop“ eröffnet hat, ist größtenteils von einem mannshohen Zaun aus Wellblech umgeben. Hinten im Laden stapeln sich weiße Kunststoffsäcke mit Glas- und Plastikflaschen, die Lucas für 50 Centavos an- und für 75 Centavos weiterverkauft. Hier steht auch die große Waage für Metallschrott. Im vorderen Teil türmen sich Berge von Müll, die von den Mitarbeitern sortiert werden. 170 Pesos (etwa 2,60 Euro) und ein freies Mittagessen verdient ein Müllsortierer am Tag. Ein Mitarbeiter, der besonders gut Eisen schneiden könne, erhalte 100 Pesos (1,50 Euro), sagt Lucas. Insgesamt beschäftigt er acht Leute. Während Flaschen und Plastikabfälle in der Umgebung zur Wiederverwertung verkauft werden können, muss das Metall in die Provinz Papanga nördlich der Hauptstadt Manila transportiert werden. Vor dem „Junkshop“ wird gerade der große Lastwagen beladen, den sich Lucas vom Gewinn des ersten Geschäftsjahres kaufen konnte. Zwei Männer sichern die Metallberge mit einem Seil. Drei Tage wird der Fahrer unterwegs sein. Für diesen Transport bekommt er 2500 Pesos (38,50 Euro). Bis zu 20 „Junkshops“ gebe es in Tuguegarao, erzählt Lucas. Dank guter Beziehungen habe er seine Lizenzplakette innerhalb von drei Monaten bekommen. Als er seinen Laden aufmachte, schickte er erst einmal Testverkäufer in andere Shops, um die Preise auszukundschaften. „Dann habe ich scharf kalkuliert, was ich zahlen kann, um beim Weiterverkauf noch genug Gewinn zu machen“, sagt er. Im Gegensatz zu einigen Konkurrenten, die schon einmal die Metallwaage manipulierten, betrüge er nicht, versichert er. So habe er sich einen treuen Kundenstamm aufgebaut. Etwa zwölf Stunden täglich verbringt Lucas in seinem „Junkshop“. Nebenbei betreibt er noch eine kleine Schlosserei im Hof seines Wohnhauses im Stadtzentrum von Tuguegarao. Seine Frau Lisa arbeitet in einem Büro und hat zusätzlich einen kleinen Laden in der Einkaufsmall. Gemeinsam haben sich die beiden bereits ein kleines Vermögen erarbeitet. Allerdings auf Kosten ihrer Freizeit: „Unsere Wohnung sehen wir nur noch bei Dunkelheit“, sagt Lucas und lacht.      Bärbel Röben

 

Abfall am laufenden Band Autoreifen, Feuerlöscher, Kinderwagen, eine Geh-Hilfe aus Metall – vor dem Eingang der Altpapieranlage im Frankfurter Osthafen ist zu besichtigen, was die Müllsortierer hier täglich aus dem Papiermüll fischen. Drinnen verrät Frempong Boateng, was er selbst schon aus dem Abfall gezogen hat: Schuhe zum Beispiel und T-Shirts. Auch Geld hätten Kollegen ab und zu gefunden, doch immer nur kleine Beträge. Reich sei noch keiner davon geworden, sagt er. Wie zur Bestätigung seiner Worte transportiert das Förderband die in Plastikfolie eingeschweißten Überreste von 75.000 D-Mark heran. Doch die Scheine sind nur noch klein gehäckseltes Papier, wertlos. Das Päckchen ist Teil eines nicht endenden Stroms aus Versandhauskatalogen, Eierkartons, Zeitungsfetzen, Kaufhausprospekten, Pappkartons und anderen Dingen aus Papier, die das Auge so schnell kaum erfassen und identifizieren kann. Vier Jahre lang, fünf Tage die Woche zieht der Papiermüll nun schon an Frempong Boateng vorbei, vorsortiert von einer der modernsten Anlagen Europas, die 30 Tonnen Altpapier in der Stunde verarbeiten kann. Boatengs Aufgabe ist die „Qualitätssicherung“: Per Hand entfernt er alle noch übriggebliebenen Fremdkörper. Die Menge der Papierschnipsel, die der hagere Mann aus Ghana bereits mit wachsamen Augen verfolgt hat, lässt sich schon gar nicht mehr schätzen. Früher hat Frempong Boateng, der im ghanaischen Kumasi geboren ist, seinen Lebensunterhalt nicht mit Müll, sondern mit Milch verdient. In seiner Heimat war er in einer dänischen Milchpulverfabrik beschäftigt. Mit Mitte 20 ging er nach London und ließ sich dort in einer Molkerei zum Techniker ausbilden, lernte alles über Pasteurisierung, Homogenisierung und Käsezubereitung. In Deutschland hat ihm das bislang nichts genützt: Er kann nicht genug Deutsch, um in einem Labor zu arbeiten. Seine Sprachkenntnisse möchte er zwar verbessern, aber „das braucht Zeit“, sagt Frempong Boateng. Vor sechs Jahren ist er nach dem Tod seines Vaters nach Deutschland gekommen. Seine vier Schwestern wohnen hier, als ältester Sohn der Familie musste er sich um sie kümmern. Seine Frau lebt zeitweise bei ihm, zeitweise in Ghana. Drei Kinder hat er, zwei davon schon erwachsen. Außerdem gibt es zuhause eine große, weitverzweigte Familie. „In Afrika muss man für Verwandte und Freunde sorgen“, sagt der 58-Jährige. Im Alter will er nach Ghana zurückkehren – sterben möchte er in Deutschland nicht. Einmal im Monat arbeitet er auch samstags und bessert seinen Lohn dadurch auf, dass er die Sortieranlage reinigt. Beschäftigt ist Frempong Boateng bei einer Leihfirma, doch längst fühlt er sich als Teil des Teams bei der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES), akzeptiert von seinen Kollegen und Vorgesetzten. Zu Beginn sei das Leben in Deutschland schwierig gewesen, sagt er, aber mit der Fußball-WM im vergangen Jahr habe sich das geändert. Seit dem Erfolg der ghanaischen Mannschaft seien die Deutschen „spürbar freundlicher“.     Anja Ruf „Es ist irgendwie ein Traumjob“ Die Umwelttechnikerin Monica Ramos ist nur selten an einem Schreibtisch zu finden. Den Großteil ihrer Arbeit verbringt die 25-Jährige Müllexpertin auf der Deponie „Neza II“ in der Gemeinde Ciudad Nezahualcóyotl. In Gummistiefeln, Jeans und einem dicken Kapuzenpulli watet sie täglich durch die knapp 200 Tonnen organischer Abfälle ihrer Gemeinde. „Als ich hier vor vier Jahren als Praktikantin anfing, gab es noch kein Kompostprogramm“, erinnert sich Monica. „Heute leite ich eines der erfolgreichsten Biomüllprojekte Mexikos.“ An diesem Erfolg ist Monica Ramos maßgeblich beteiligt. Während einer Pilotphase der Komposthalde gelang es der damaligen Studentin, Müllkutscher und die Arbeiter der Müllautos als Umweltpromotoren zu gewinnen. Gemeinsam entwickelten sie eine Idee, die Müllautos kostengünstig umzurüsten, damit der getrennte Transport von organischen und anorganischen Abfällen erleichtert wird. Stolz zeigt sie auf die Sammelbehälter, die zwischen den Radkästen der Müllautos angebracht sind und täglich prall gefüllt auf der Deponie ankommen. Nun ist es an Monica, die sich täglich erneuernde bunte Masse aus Orangenschalen, Tortillas, Avocados und Maisblättern fachgerecht zu verwalten: aussortieren, umschichten, lüften, zerhäckseln, aussieben – vom feuchten Matsch zu krümeliger Humuserde sind sechs Monate intensiver Bearbeitung nötig. Monica koordiniert die Arbeiter, erstellt Schichtpläne für die Bulldozer und die Fahrer der Spezialfahrzeuge. Ihre männlichen Mitarbeiter hören auf ihre Ratschläge und unterstützen sie bei immer neuen Experimenten. Im vergangenen Jahr hat sie einen Plan entwickelt, um die ausgedienten Weihnachtsbäume der Gemeinde zu nutzen. Während die vertrockneten Festtagsdekorationen in anderen Stadtteilen jährlich Streit zwischen Müllmännern und Bürgern provozieren, werden sie in Ciudad Nezahualcóyotl gesammelt und helfen bei der Kompostherstellung. Begeistert und detailliert erläutert Monica den kleinsten Arbeitsschritt auf der Deponie. Viele Freunde hätten anfangs nicht verstanden, warum sie jahrelang Umwelttechnik studiert hat, um dann täglich über eine Müllhalde zu stapfen. „Aber es ist irgendwie ein Traumjob“, sagt Monica: „Hier kann ich viele meiner Ideen praktisch verwirklichen.“    Nils Brock

welt-sichten 4-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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