Das Welternährungsprogramm (WFP) versucht, gezielt die Ernährungssicherheit zu fördern
Gespräch mit John Powell
Die hohen Nahrungsmittelpreise führen dazu, dass in vielen Ländern zwar genug Nahrung in den Regalen steht, aber die Armen sie sich nicht leisten können. Dennoch sind die Hilfen des Welternährungsprogramms weiter nötig, erklärt dessen Vizedirektor. Es setze die Verteilung von Nahrung heute gezielt dazu ein, den Schulbesuch oder die landwirtschaftliche Infrastruktur zu fördern. Und es kaufe die meisten Hilfsgüter im Süden selbst.
Wie wirkt sich der Preisanstieg bei Nahrungsmitteln und Öl auf die Arbeit des WFP aus?
Zum einen verteuern sich unsere gegenwärtigen Programme, mit denen wir unterernährte und hungernde Menschen unterstützen. Anfang 2008 haben wir die Kosten dafür in diesem Jahr auf insgesamt 3,1 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Bis heute sind sie um 755 Millionen Dollar gestiegen. Zum anderen haben wir es zunehmend mit einem „neuen Gesicht des Hungers“ zu tun: Immer mehr Menschen sehen genug Lebensmittel in den Läden, sie können sie sich aber schlicht nicht mehr leisten.
Die WFP-Direktorin Josette Sheeran hat gesagt, das WFP müsse den Hunger an der Wurzel bekämpfen. Was heißt das in der Praxis?
Wir bieten zum Beispiel hungrigen Kindern Nahrung und Nährstoffe in Form von Mahlzeiten in der Schule. Dadurch gehen wir gleichzeitig die beiden Probleme Hunger und Bildungsmangel an. Eine Mahlzeit ist ein zusätzlicher Anreiz, Kinder in die Schule zu schicken, weshalb die Einschulungsraten stark steigen. Außerdem lernt ein sattes Kind besser. Wir müssen uns auch auf unterernährte Frauen konzentrieren. Sie bringen mit großer Wahrscheinlichkeit untergewichtige Kinder zur Welt. Wenn wir gegen akuten Hunger so vorgehen, dass sich gleichzeitig die Chancen der Menschen auf Bildung und Gesundheit verbessern, dann sind wir auf einem guten Weg, den Hunger an der Wurzel zu bekämpfen.
Das WFP testet einen neuen Ansatz, der sich „Purchase for Progess“ nennt: Sie wollen durch den Einkauf von Nahrungsmitteln die Bauern in armen Ländern fördern. Wie funktioniert das?
In den vergangenen Jahren hat das WFP den Großteil seiner Ressourcen von den Gebern nicht mehr in Form von Lebensmitteln, sondern in bar erhalten. 2007 hat das WFP 80 Prozent dieses Geldes in den Entwicklungsländern selbst investiert. Wir haben uns gefragt, wie wir den Nutzen solcher lokalen Einkäufe für Kleinbauern maximieren könnten. Ein Beispiel: Wir haben es meistens mit Notsituationen zu tun und brauchen Nahrungsmittel einer bestimmten Qualität schnell und in großen Mengen – zwischen 5000 und 10.000 Tonnen. In Ländern wie Äthiopien produziert ein typischer Kleinbauer einen Überschuss von rund 30 Kilogramm. Die Frage ist also, wie wir aus 30-Kilo-Portionen 10.000 Tonnen Nahrungsmittel in konstanter Qualität zusammenbekommen.
Wir denken über Beschaffungswege nach, die unseren Bedarf in Bezug auf Lieferzeit, Qualität und Quantität erfüllen und zugleich Kleinbauern neue Möglichkeiten bieten. Dadurch können wir ihnen Zugang zu Märkten verschaffen. Wir können beispielsweise mit Kooperativen von Kleinbauern oder Bauernverbänden zusammenarbeiten. In Ländern, in denen wir mehrere Jahre tätig sind, können wir Gemeinden im Voraus zusagen, jährlich eine bestimmte Menge Nahrungsmittel aufzukaufen. Wir können ihnen dadurch eine bestimmte Nachfrage garantieren und die Unsicherheit reduzieren, unter der vor allem Kleinbauern leiden.
Das WFP wird dafür kritisiert, es schwäche die Selbsthilfekräfte der Menschen, die es über längere Zeit mit Nahrungsmitteln versorgt. Bestätigt Ihr neuer Ansatz, dass an dieser Kritik etwas dran ist?
Lassen Sie mich diese Frage ganz direkt beantworten. Erstens, die Zeit der Nahrungsmittelhilfe – food aid – liegt hinter uns. Heute geht es darum, die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu unterstützen – food assistance. Die alte Sichtweise von Nahrungsmittelhilfe ist, dass ein Sack Getreide von einem Land in ein anderes geschafft wird. Food assistance dagegen heißt, die Art der Hilfe entsprechend jeder Situation neu abzustimmen. In einigen Fällen mag der Kauf von Nahrungsmitteln – lokal, in der Region oder in Übersee – immer noch das beste sein. Aber es können auch mit Nährstoffen oder Vitaminen angereicherte Lebensmittel sinnvoller sein, zum Beispiel Nährstoffkekse, die auch vor Ort hergestellt werden können. Das „neue Gesicht des Hungers“ wiederum bedeutet, dass es künftig häufig Lebensmittel auf den Märkten gibt, die Leute sie aber nicht bezahlen können. Da können dann Lebensmittelmarken oder Gutscheine helfen.
Zweitens kursiert der Mythos, aus den reichen Ländern würden Nahrungsmittelüberschüsse in die Entwicklungsländer geschafft – und das vor allem über das WFP. Wie gesagt: Das WFP erhält heute den Großteil seiner Ressourcen in bar und gibt das meiste davon in Entwicklungsländern aus.
Drittens leistet das WFP nur zielgerichtete Unterstützung. Wir verstehen darunter einen Korb bestimmter Grundnahrungsmittel – Getreide, Speiseöl und Hülsenfrüchte –, der einer bestimmten Gruppe von Personen über einen bestimmten Zeitraum geliefert wird, wenn sie sich unmöglich selbst versorgen kann. Denken Sie zum Beispiel an die Hunderttausende in den Vertriebenenlagern von Darfur. Dort gibt es schlicht keine Märkte.
Die Kritik bezieht sich nicht auf Notfälle und Katastrophen wie in Darfur oder Birma, sondern auf Länder wie Äthiopien, wo Mangel, aber kein lebensbedrohlicher Hunger herrscht. In solchen Fällen Nahrungsmittel zu verteilen, schwächt die Selbsthilfekräfte, lautet das Argument.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das diese Kritik widerlegt: Im Rahmen eines unserer Programme in Äthiopien liefern wir Dörfern über mehrere Jahre eher kleine Mengen Nahrungsmittel. Im Gegenzug erledigen die Bewohner kleinere Arbeiten für die Gemeinschaft – sie terrassieren zum Beispiel Felder oder graben Wasserkanäle. Es lässt sich zeigen, dass diese Dörfer im Falle einer Dürre gar keine oder aber deutlich weniger Nothilfe brauchen als andere, die nicht an dem Programm teilgenommen haben. Oft ermöglicht erst die Bezahlung mit Lebensmitteln, häufig zusammen mit Bargeld, den hungrigen und armen Menschen, produktiv zu arbeiten und dadurch ihr eigenes und das Leben ihrer Gemeinschaft zu verbessern.
Aber bestätigen die vielen Hungerkrisen zurzeit nicht die Kritik, dass Nahrungsmittelhilfe wenig zu Ernährungssicherheit beigetragen hat?
Oft wird angenommen, mit Nahrungsmittelhilfe würden enorme Mengen von Gütern von einem Ort zum anderen geschafft. Tatsächlich aber hat sie nur einen sehr kleinen – und über die Jahre schrumpfenden – Anteil am internationalen Handel und einen noch kleineren Anteil an der Lebensmittelproduktion in armen Ländern. Der Anteil der Nahrungsmittelhilfe an den Getreideimporten von Ländern mit niedrigem Einkommen ist seit 2003 von 11,6 Prozent auf 5,5 Prozent gesunken. Und ihr Anteil an der weltweiten Getreideproduktion lag im vergangenen Jahr lediglich bei 0,2 Prozent. Nahrungsmittelhilfe ist wichtig, aber letztlich handelt es sich nur um geringe Mengen.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
John Powell ist als stellvertretender Exekutivdirektor des UN-Welternährungsprogramms zuständig für Fundraising und Kommunikation. Er arbeitet seit 1990 für das WFP.
welt-sichten 6-2008