Hart aber nutzlos

Die EU-Richtlinie zur Abschiebung illegaler Einwanderer ist umstritten und kaum umsetzbar

Die Europäische Union (EU) wil die Regeln für Ausweisungen vereinheitlichen: Der Rat der Innenminister hat im Juni die Richtlinie zur „Rückführung sich illegal aufhaltender Drittstaatenangehöriger“ verabschiedet. Der Text verdeckt nur mühsam erhebliche Gegensätze zwischen den EU-Regierungen; ob er eine Mehrheit im EU-Parlament findet, ist fraglich. Zudem verweigern ausgerechnet die wichtigsten Herkunftsländer von „illegalen“ Zuwanderern und von abgewiesenen Asylsuchenden die Rücknahme ihrer Staatsbürger.

Mit europaweiten Aktionen von Finnland bis Italien und einer Demonstration im Brüsseler EU-Viertel am 7. Mai haben Kirchen sowie Flüchtlings-, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen gegen die von ihnen so genannte „Richtlinie der Schande“ protestiert. Denn der Text – ein Kompromiss zwischen der EU-Kommission, dem Rat und dem zuständigem Parlamentsausschuss – sieht bis zu 18 Monate Haft für die Übertretung einer Verwaltungsvorschrift vor. Nichts anderes nämlich, und keineswegs eine kriminelle Handlung, sei ein Grenzübertritt ohne Papiere, sagte Philip Amaral vom Flüchtlingsdienst der Jesuiten in Brüssel. Die Richtlinie würde zudem die Praxis einiger EU-Staaten decken, sogar Kinder und Jugendliche in Abschiebehaft zu nehmen.

Ursprünglich hatte die Kommission eine Obergrenze von 6 Monaten Haft vorgeschlagen. Um den Ministern im Rat entgegenzukommen, erhöhte der verhandlungsführende Ausschuss des Parlaments um 12 Monate – aber auch das war einigen EU-Regierungen eigentlich noch zu wenig. Damit werde aus der üblen Praxis einiger EU-Länder der übelste gemeinsame Nenner, empörte sich die Fraktion der Vereinigten Linken. In Frankreich gilt bisher ein Maximum von 32 Tagen Abschiebehaft, in Spanien sind es 40 Tage, in Italien zwei Monate. In Deutschland sind bereits bis zu 18 Monaten zulässig, Großbritannien sieht sogar unbefristete „administrative Verwahrung“ vor.

Jedoch seien nicht alle Bestimmungen in der Richtlinie schlecht, heißt es beim gemeinsamen Ausschuss der Kirchen für Migranten in Europa (CCME): So wird eine Frist von einer Woche zur Einwilligung für eine „freiwillige Rückführung“ gewährt, bevor Abschiebehaft angeordnet werden kann. Während der Haft muss Hilfsorganisationen wie dem UNO-Flüchtlingswerk (UNHCR) jederzeit Zugang gewährt werden.

Fragwürdig – auch für einen Teil der christdemokratischen und liberalen Befürworter der Richtlinie im EU-Parlament – ist das fünfjährige Einreiseverbot für einmal rückgeführte Ausländer. Für nichtstaatliche Organisationen und für das UNHCR ist dieser Bann schlichtweg inakzeptabel, weil er gegen eine Reihe völkerrechtlicher Abkommen verstoße wie die Genfer Flüchtlingskonvention und die Regeln zur Familienzusammenführung.

Im Grunde sei niemand mit dem bisher ausgehandelten Text der Richtlinie zufrieden, kommentierte die Deutsche Presseagentur. Und Manfred Weber, CSU-Europaparlamentarier und Leiter des Trialogs zwischen Parlaments-Innenausschuss, Kommission und Ministerrat, befand das Ergebnis auch „nicht schön, aber das beste, was wir derzeit erreichen können“. Weber glaubt, dass die Abstimmung im Plenum im Juni eine Mehrheit bringen wird.

Wenn nicht, dann öffnete sich eine Büchse der Pandora, erklärte ein Sprecher von EU-Justizkommissar Jacques Barrot: Nur eine Mehrheit in der ersten Lesung im EU-Parlament könne den Kompromiss retten. Eine zweite Lesung bräuchte mindestens zwei weitere Jahre und würde das Verfahren voll in die Wahlkämpfe der 2009 anstehenden Urnengänge in der EU und in vielen EU-Ländern verschleppen. Dann aber seien die „positiven Aspekte“ einer EU-weiten Rechtsgleichheit und -sicherheit, wie sie die Richtlinie erreichen wolle, wahrscheinlich kaum mehr vermittelbar.

Unabhängig davon, ob und wann das Parlament zustimmt, steht die Richtlinie noch aus einem anderen Grund auf tönernen Füßen. Denn die Rückführung bedarf der Zustimmung eines „sicheren“ Landes. Die ist von afrikanischen Ländern, aus denen die meisten „illegalen“ Zuwanderer kommen, bisher allerdings in der Regel nicht zu bekommen: Kein einziger Staat südlich der Sahara hat bislang ein „Rücknahmeabkommen“ mit der EU geschlossen. Und eine pauschale Abweisung (refoulement) von „Grenzübertretern“, die über Transitländer wie Mauretanien, Marokko, Algerien, Libyen, Tunesien und Ägypten in die EU gelangen, zurück in die Transitländer ist völkerrechtlich unzulässig.   

Heimo Claasen

welt-sichten 6-2008

 

erschienen in Ausgabe 6 / 2008: Welternährung
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