Absagen aus Lateinamerika

Der Subkontinent steht Freihandelsabkommen mit der EU skeptisch gegenüber

Das Anliegen der Europäischen Union (EU), mit Ländern in Lateinamerika regionale Freihandelsabkommen zu schließen, stößt dort zunehmend auf Widerstand. Viele lateinamerikanische Regierungen weisen die EU-Forderungen nach weitgehender Marktöffnung zurück und kritisieren zugleich die rigide Einwanderungspolitik der EU. NGOs werfen Brüssel „mangelnde Sensibilität“ vor.

Das Gipfeltreffen der EU-Regierungen und von 33 süd- und zen­tralamerikanischen Staaten Mitte Mai in Lima hat nicht den von der EU erhofften Anstoß für Freihandelsverträge mit den drei lateinamerikanischen Regionalgruppen gebracht. Reisen einiger EU-Regierungschefs sowie von Kommissionspräsident Manuel Barroso in ausgewählte Länder der Region vor und nach dem Treffen in Peru haben die Abwehrhaltung der Lateinamerikaner eher noch verschärft. Denn die nicht berücksichtigten Länder fürchten, dass die regionalen Gruppen gespalten und sie selbst benachteiligt werden sollen.

Ein für Mitte Juli angesetztes Treffen der EU und der Anden-Gemeinschaft CAN (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru) haben die Lateinamerikaner kurzfristig abgesagt. Das europaweite Netzwerk protestantischer NGOs APRODEV kritisierte, dass die EU die konservativ regierten CAN-Mitglieder Peru und Kolumbien besonders hofiere, Ecuador und Bolivien hingegen „massiv unter Druck gesetzt“ habe. Zuvor hatte schon der Mercosur, der andere Regionalverbund Südamerikas (Argentinien Brasilien, Paraguay, Uruguay), die EU-Forderungen nach Marktöffnung zurückgewiesen. Mit der dritten Verhandlungsgruppe, den zentralamerikanischen Staaten Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama, fanden zwar Gespräche statt, doch ein Vertragsabschluss liegt auch hier in weiter Ferne.

Die EU führe zwar das Anliegen der regionalen Integration im Munde, tatsächlich stelle sie jedoch Forderungen, die für einzelne Mitglieder der jeweiligen Regionalgruppe nicht annehmbar seien, erklärt APRODEV zum Gang der Verhandlungen. „Die EU-Vorgaben lassen keinerlei Raum für nationale Befindlichkeiten und Differenzen zwischen den Mitgliedern. Dies verschärft und vertieft die internen Spannungen der jeweiligen Gruppen.“ Parallel dazu würden einzelnen Ländern Angebote gemacht, um bilaterale Freihandelsabkommen abzuschließen.

Beim Treffen der zentralamerikanischen Länder mit der EU Mitte Juli in Brüssel zeigte sich beispielsweise, dass Costa Rica dazu neigt, einen separaten Vertrag mit der EU einzugehen. Die anderen Staaten hingegen bewerten die Zugeständnisse der EU – vor allem die angebotene Marktöffnung für Zucker und Bananen – als unzureichend. Ein Vertrag mit der gesamten Gruppe ist deshalb auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Auch die Mercosur-Länder haben auf ihrem Gipfeltreffen im Juli deutlich gemacht, dass weitere Verhandlungen mit der EU gegenwärtig wenig Sinn hätten. Bisher haben lediglich Mexiko (1997, in Kraft seit 2000) und Chile (2002, in Kraft seit 2005) bilaterale Freihandelsabkommen mit der EU geschlossen.

Wie wenig sensibel die EU gegenüber dem Subkontinent auftritt, ist nach Ansicht des katholischen NGO-Netzwerks CIDSE auch an der empörten Reaktion vieler lateinamerikanischer Regierungen auf die neue EU-Abschieberichtlinie zu sehen (vgl. welt-sichten 7/2008, S. 52). Für Ecuador, das derzeit der Anden-Gemeinschaft vorsitzt, war die Richtlinie einer der Gründe, die für Juli geplanten Freihandelsgespräche mit der EU abzusagen. Die Lateinamerikaner kritisieren, dass die EU von ihnen erwarte, die Regeln für Investitionen ausländischer Unternehmen stärker zu lockern, als es die Welthandelsorganisation (WTO) bisher verlangt, während Brüssel die für ärmere Länder wichtige Frage der Zulassung auswärtiger Arbeiter und Arbeiterinnen in der EU bewusst in der Kompetenz der Mitgliedstaaten belasse – mit der Folge, dass die EU-Kommission in der WTO gar nicht über sie verhandeln kann.

Heimo Claasen

welt-sichten 9-2008

 

erschienen in Ausgabe 9 / 2008: Sudan: Krieg an vielen Fronten
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