Abhängig vom guten Willen der Gläubiger

Abhängig vom guten Willen der Gläubiger

Der Umgang mit „illegitimen Schulden“ ist rechtlich nicht geklärt

Kirchen und nichtstaatliche Organisationen fordern seit längerem die ersatzlose Streichung so genannter „illegitimer Schulden“. Das sind Schulden, die Regierungen von Entwicklungsländern ohne Zustimmung der Bevölkerung aufgenommen haben und die nicht der Entwicklung dienen. Norwegen hat auf solche Forderungen vor zwei Jahren verzichtet, jetzt kommt auch die deutsche Politik in Bewegung.

Der Entwicklungsausschuss des Bundestages (AWZ) hat Anfang Juni eine öffentliche Anhörung zum Umgang mit „illegitimen Schulden“ (odious debts) veranstaltet. Neben mehreren Rechtsexperten war Henrik Harboe aus dem norwegischen Außenministerium zu Gast. Es sei kein Gnadenakt gewesen, dass sein Land im Oktober 2006 mehreren Staaten Schulden in Höhe von 80 Millionen US-Dollar erlassen hat, stellte er klar. Das sei vielmehr aus Einsicht in eigenes Fehlverhalten geschehen – ungeachtet dessen, dass es bis heute keinen international anerkannten Rechtsrahmen für den Umgang mit illegitimen Schulden gibt.

Norwegen hatte in den 1970er Jahren im Zuge einer Kampagne zur Förderung seiner Werften 21 Ländern Kredite zum Kauf von Schiffen gewährt, ohne zu prüfen, ob das für die Empfängerstaaten entwicklungspolitisch und ökonomisch von Nutzen war. Nichtstaatliche Organisationen haben die norwegische Initiative zum Verzicht auf die Forderungen aus diesen Krediten seinerzeit als wegweisend gewürdigt. „erlassjahr.de“ verwies auf den Verkauf alter NVA-Schiffe per Kredit an den indonesischen Diktator Mohamed Suharto Anfang der 1990er Jahre und forderte die Bundesregierung auf, es Oslo gleichzutun und eine breite internationale Diskussion in Gang zu setzen. Auch das Entwicklungsministerium (BMZ) begrüßte die Initiative der Norweger.

Kurz nach dem norwegischen Erlass stellte die Linkspartei einen parlamentarischen Antrag, die Bundesregierung solle auf Forderungen aus illegitimen Schulden verzichten. Der AWZ lehnte die Initiative aber ab. Doch inzwischen haben sich Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen einer Unterschriftenkampagne für eine Internationale Parlamentarier- Erklärung zur Streichung illegitimer Schulden angeschlossen, die „erlassjahr.de“ im Februar gestartet hat.

Illegitime Schulden sind keine anerkannte Rechtsfigur

Die Kompliziertheit des Themas verhindert bis heute eine klare Haltung des Bundestags und der Bundesregierung. An sich gehören Schuldenerlasse längst zum gängigen Repertoire der deutschen wie der internationalen Finanz- und Entwicklungspolitik. Es sei naheliegend in diesen Ansatz auch die Frage der illegitimen Schulden einzuordnen, heißt es in der Stellungnahme des Entwicklungsministeriums zur Anhörung des Entwicklungsausschusses. Allerdings seien illegitime Schulden keine anerkannte „Rechtsfigur“ und es fehlten praktikable Anwendungskriterien.

Tatsächlich gehen die Meinungen von Rechtswissenschaftlern weit auseinander. Am ehesten herrscht Einigkeit über drei Grundkriterien, die Schulden illegitim machen: wenn sie der Bevölkerung ohne deren Zustimmung aufgebürdet wurden, wenn ihr Zweck nicht im Interesse der Bevölkerung liegt oder gar dazu dient, sie zu unterdrücken, und wenn beides mit Wissen des Gläubigers geschieht beziehungsweise er „es hätte wissen müssen“, wie es juristisch heißt.

„erlassjahr.de“, die Evangelische Kirche in Westfalen und der Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) fordern daher, die Schulden, die Indonesien durch den Verkauf von ehemaligen DDR-Marineschiffen an Suhartos Militärregime entstanden sind, umgehend zu erlassen. Das Kriegsgerät sei nachweislich auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt worden, etwa in Osttimor und auf den Molukken, erklärten Jürgen Kaiser von „erlassjahr.de“, Präses Alfred Buß und Peter Lanzet vom Evangelischen Entwicklungsdienst bei einer Pressekonferenz Anfang Juni in Berlin.

Diesen Missbrauch hatte die Bundesregierung vertraglich auszuschließen versucht, als sie Hermesbürgschaften für das Geschäft in Höhe von rund 700 Millionen Mark gewährte. Das aber deutet darauf hin, dass sie ihn vorausgeahnt hat. Der Wiener Völkerrechtler August Reinisch kommt in einem Rechtsgutachten für „erlassjahr. de“, westfälische Kirche und EED deshalb zu dem Schluss: Eine weitere Rückforderung der Schulden sei zumindest „fragwürdig“.

Ein zu strenges Regelwerk könnte Kreditgeber abschrecken

Die Heidelberger Ökonomie-Professorin Eva Terberger sagte auf der AWZ-Anhörung, es sei „eine gute Sache“, illegitime Schulden zu erlassen. Sie äußerte aber auch die Sorge, ein allzu striktes internationales Regelwerk könnte den Entwicklungsländern mehr Schaden als Nutzen bringen. Denn Gläubiger könnten vorsichtiger werden, überhaupt noch Kredite zu gewähren.

Der Berliner Jura-Professor Christoph G. Paulus sprach sich dafür aus, die Beratungen über ein internationales Insolvenzrecht und Schiedsverfahren wieder aufzunehmen. Sie liegen seit Jahren brach, weil die USA davon nichts wissen möchten.

Einen ganz anderen Weg hat Ekuador eingeschlagen: Die Regierung von Rafael Correa will alle in den vergangenen 30 Jahren eingegangenen Schuldverpflichtungen auf ihre Rechtmäßigkeit und Legitimität hin überprüfen – und gegebenenfalls Rückzahlungen verweigern. Unterstützung erhält sie unter anderem vom Lateinamerikanische Kirchenrat CLAI und den Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbunds.

Johannes Schradi

welt-sichten 7-2008

 

erschienen in Ausgabe 7 / 2008: Schlachtfeld Afrika
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