„China ist Opfer und Täter der Klimakatastrophe“

Peking hat sich nationale Klimaschutzziele gesetzt, lehnt aber internationale Verpflichtungen ab

Gespräch mit Michael Bohnet

China ist neben den USA das Land mit dem weltweit höchsten Ausstoß von Treibhausgasen. Das liegt an seiner hohen Bevölkerungszahl und dem enormen Wirtschaftswachstum seit 1978, das Chinas Regierung ohne große Rücksicht auf die Umwelt betrieben hat. Aus Sorge vor den katastrophalen Folgen will Peking laut Michael Bohnet nun entschieden umsteuern.

China gehört zu den größten Verursachern der Erderwärmung.  Spürt das Land schon die Folgen?

China ist sowohl Täter als auch Opfer der Klimakatastrophe. Der Anstieg der Durchschnittstemperatur ist schon feststellbar und liegt in China höher als im globalen Durchschnitt; man erwartet dort zwischen 2010 und 2030 etwa 1,6 Grad Erwärmung. Die Gletscher in Tibet, die viele der großen Flüsse speisen, sind bereits um ein Fünftel abgeschmolzen, und für die nächsten 25 Jahren sagen Wissenschaftler ein vollständig Abschmelzen voraus. Auch die Taifune sind bereits stärker geworden. Wahrscheinlich wird der Meeresspiegel im Ostchinesischen Meer ansteigen. All das beunruhigt die chinesische Führung und die Bevölkerung sehr. Man fürchtet aufgrund ökologischer Katastrophen soziale Unruhen, die die Legitimation der Regierung gefährden könnten. Peking hat deshalb 2006 abrupt den Kurs gewechselt und gesagt, wir wollen eine energie- und ressourceneffiziente Umweltpolitik umsetzen. 2007 hat Peking den ersten nationalen Klimaschutzplan veröffentlicht. Er legt fest, dass bis 2010 rund 950 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß eingespart werden sollen – 2006 betrugen die Treibhausgas-Emissionen Chinas bei etwa 6,2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente.

Wie will Peking das erreichen?

Mit dem Ausbau der Wasserkraft sollen 500 Millionen Tonnen eingespart werden. 310 Millionen soll die technische Umrüstung von Kohlekraftwerken beitragen. 60 Millionen Tonnen sollen mit dem Ausbau der Wind-, Solar- und Gezeitenenergie eingespart werden und 50 Millionen mit Hilfe neuer Atomkraftwerke. Zur Zeit gibt es 5 Atomkraftwerke in China, man plant weitere 32. Schließlich soll eine stärkere Nutzung von Biomasse 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen.

Chinas Energieversorgung hängt hochgradig von Kohle ab, deren Verbrennung sehr viel CO2 verursacht. Was ist da geplant?

Chinas Energieversorgung ist zu rund 70 Prozent von Kohle abhängig und zu 20 Prozent von Erdöl; den Rest tragen Erdgas und erneuerbare Energien bei, einschließlich Wasserkraft und Atomkraft. Die Kohlekraftwerke sind veraltet und schlecht gewartet – ihr Wirkungsgrad ist nur etwa ein Fünftel so hoch wie in westlichen Industrieländern. Mit geringem technischem Aufwand kann man ihre Energieausbeute deutlich steigern. Deshalb finanzieren viele Industriestaaten im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) Klimaschutzmaßnahmen in China und erhalten dafür Emissionsrechte. Drei von vier CDM-Maßnahmen weltweit werden in China durchgeführt, vorwiegend geht es um die Modernisierung von Kohlekraftwerken und erneuerbare Energien einschließlich Wasserkraft.

Wasserkraft bedeutet hier vor allem Großstaudämme, oder?

Ja, darauf beruht das größte Einsparpotenzial. Großwasserkraft trägt fünf Prozent zur Energieversorgung bei – nicht zuletzt der umstrittene Drei-Schluchten-Staudamm. Am Fluss Niujiang in der Provinz Yunnan ist ein weiterer großer Staudamm geplant, gegen den chinesische Umweltorganisationen protestieren.

Erneuerbare Energien steuern nur wenig zu den Einsparungen bei?

Windenergie und Photovoltaik liefern zur Zeit nicht mehr als zwei Prozent der modernen Energie. China möchte diesen Anteil stark erhöhen – zusammen mit der Wasserkraft will man bis 2020 auf 16 Prozent kommen. Dazu wurde ein Gesetz verabschiedet, das nach deutschem Vorbild die Netzbetreiber verpflichtet, Strom aus diesen Quellen zu garantierten Preisen ins Netz einzuspeisen. Die Mehrkosten können auf die Verbraucher abgewälzt werden. Beeindruckend ist bereits das Wachstum der Windenergie, die bis 2020 verzwanzigfacht werden soll. Es gibt in China auch schon mehr Solarkollektoren als in ganz Europa. Auf dem Land soll die Biomasse stark ausgebaut werden.

Das alles bezieht sich auf die Energieerzeugung. Wie sieht es mit der Verwendung aus? Produziert die chinesische Industrie ineffizient, unter hohem Energieeinsatz?

Ein entscheidender Ansatz ist hier die industrielle Strukturpolitik. Die chinesische Regierung will den Anteil des Landwirtschafts- und Rohstoffsektors an der Volkswirtschaft senken. Die Industrie soll gestärkt, aber umstrukturiert werden und der Anteil der Dienstleistungen soll sehr stark ausgeweitet werden. Peking will von der Dominanz der chemischen Industrie und Schwerindustrie weg und hin zu Maschinenbau, Elektronik und Informationstechnologie. Bei den Dienstleistungen setzt sie vor allem auf Telekommunikation, Tourismus und Finanzdienste.

Das heißt energieintensive Sektoren sollen an Gewicht verlieren?

So ist es – auch wenn das natürlich nicht der einzige Zweck dieser Strukturpolitik ist. Sie hängt auch mit dem Versuch zusammen, technologisch interessante Industrien zu fördern. Chinas großes Vorbild ist Japan, wo die Industrie sehr energieeffizient produziert.

Ein Alptraum vieler Ökologen ist, dass alle Chinesen Auto fahren. Will China die Emissionen im Verkehr eindämmen?

Die Chinesen wollen technische Entwicklungsstufen überspringen – gerade bei Kraftfahrzeugen. 2007 gab es in China 53 Millionen Autos, bis 2020 erwartet man 140 Millionen. Schon heute ist China der drittgrößte Autoproduzent der Welt nach den USA und Japan. Deshalb will die Regierung nachhaltige Technologien einführen wie Autos mit Brennstoffzellen, die aus Wasserstoff elektrische Energie erzeugen. In keinem anderen Land der Welt gibt es dafür ein so großes Förderprogramm – unterstützt auch von ausländischen Unternehmen. Eine Einschränkung der Zahl der Kraftfahrzeuge hält die Führung angesichts des steigenden Wohlstands für politisch nicht durchsetzbar. Im Zusammenhang mit den olympischen Spielen hat man zwar in Peking viele Busse und Taxen durch gasbetriebene Fahrzeuge ersetzt und den öffentlichen Nahverkehr stark ausgebaut. Das soll auf ganz China ausgeweitet werden, aber ich bin sehr skeptisch, ob das in absehbarer Zeit gelingt.

Die Energiepreise werden in China künstlich niedrig gehalten. Will die Regierung das ändern, um Anreize zum Energiesparen zu geben?

Peking hat eine so genannte ressourceneffiziente Preispolitik deklariert, also einen Abbau der Subventionen für Kohle und andere Energieträger. Ich bin aber extrem pessimistisch, was die Umsetzung dieser Maßnahmen angeht. Wahrscheinlich wird die Preispolitik das schwächste Glied der Umweltmaßnahmen sein.

Fürchtet Peking, die ärmeren Schichten mit höheren Energiepreisen zu belasten?

Das scheint mir nicht der Grund zu sein. Die chinesischen Praktiker können sich das Instrument Preisanreize nicht wirklich aneignen. Es entspricht nicht der gewohnten sozialistischen Planungsideologie.

Wird das hohe Wirtschaftswachstum die geplanten Emissionseinsparungen nicht wieder zunichte machen?

Chinas Führung weist darauf hin, dass es in den vergangenen zehn Jahren gelungen ist, den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Das stimmt auch: Die Wirtschaft ist jährlich um zehn Prozent gewachsen, der Energieverbrauch nur um fünf Prozent.

Das heißt der Klimaschutzplan spart CO2 im Vergleich zum Weiter-so-Szenario, das führt aber nur zu einem langsameren Anstieg der Emissionen?

So ist es. Der Klimaschutzplan wird die Entkopplung verstärken. Dennoch wird die geplante Einsparung von knapp einer Milliarde Tonnen nach meiner Schätzung bestenfalls dazu führen, dass die Emissionen bis 2010 stagnieren. Bis 2020 dürften Chinas Emissionen auf acht Milliarden Tonnen steigen. Chinas Führung setzt weiter auf ein Wirtschaftswachstum von rund zehn Prozent im Jahr; sie sieht darin die Legitimation der Herrschaft der Kommunistischen Partei.

Steht die Partei unter Druck aus der Gesellschaft, die Umweltpro­bleme ernsthaft anzugehen?

Kaum. Druck üben ein paar tausend Umweltgruppen an Universitäten, einige hundert kleinere Umweltorganisationen und ein paar internationale Organisationen wie Greenpeace aus. Aber alle müssen immer sehr darauf achten, dass sie nicht an ihrer Arbeit gehindert werden, und befassen sich deshalb vor allem mit unkritischen Fragen wie Umweltbildung, Aufforstung oder Naturschutz. Erst in jüngster Zeit wagen sie es, sich auch kritisch etwa zu großen Staudämmen zu äußern. Über die Gefahren der Atomkraft gibt es bisher in China keinerlei Diskussion. Die Umweltpolitik ist nicht von unten gewachsen, sondern geht zurück auf Entscheidungen der Regierung – insbesondere des Ministerpräsidenten Zhu Jongji (1998-2003) und seines Nachfolgers Wen Jiabao. Sie haben beschlossen, dass der Ressourcenverbrauch vom Wachstum entkoppelt, die Umwelt zu einem mit dem Wachstum gleichrangigen Ziel gemacht und umweltpolitische Entscheidungen in das Gesamtkonzept der Wirtschaftspolitik integriert werden müssen.

Kann ein Partei-Apparat, dessen Funktionäre Jahrzehnte eine technokratische Wachstumsideologie verfolgt haben, jetzt die Umwelt zur Leitschnur machen?

Ja. Der Leidensdruck infolge von Umweltkatastrophen, der Luft- und Wasserverschmutzung ist offenbar so groß geworden, dass ein radikales Umschwenken beschlossen worden ist. Hinsichtlich der Umsetzung bin ich in einigen Bereichen optimistisch, in anderen nicht. Die chinesische Regierung ist meiner Ansicht nach fähig, in großem Stil auf Wissenschaft und Technologie zu setzen und mit Hilfe von Tausenden Universitäten technische Lösungen voranzutreiben. Ich bin aber pessimistisch, was die Fähigkeit zu einer ökologischen Preis- und Steuerpolitik angeht. Und ich bin unsicher bei der Frage, wieweit die Zentralregierung lokale Entscheidungen – namentlich die der Provinzen – an der neuen Umweltstrategie ausrichten kann. Die Widerstände in den Provinzen sind groß und die Fähigkeit der Zentralregierung, umweltpolitische Vorschriften auf der lokalen Ebene durchzusetzen, ist bis heute sehr begrenzt. Dort sind die Wirtschaftsinteressen stärker als die Umweltinteressen. Das erklärt, warum die Chinesen zwar gute Umweltgesetze haben, aber beim Zustand der Umwelt eines der Schlusslichter in der Welt bilden.

Wie soll der Widerstand in den Provinzen überwunden werden?

Die Umweltbehörde ist vor einigen Monaten in ein Umweltministerium umgewandelt worden – das war eine der Empfehlungen unseres Beirats. Dem Ministerium unterstehen die lokalen Umweltschutzbehörden. Zwischen diesen und den Behörden für Wirtschaftsförderung besteht aber natürlich ein Interessenkonflikt. Die Zentralregierung versucht nun, mit einem sehr interessanten Instrument den Umweltbelangen mehr politisches Gewicht zu geben: Sie will die lokalen Kader in Zukunft danach bezahlen, wie gut sie umweltpolitische Vorgaben erfüllen.

Kader können traditionell nur Karriere machen, wenn sie Zielvorgaben erfüllen, denen die Parteiführung hohe Priorität gibt. Dazu gehörte bisher der Erhalt der sozialen Ordnung, aber nicht der Umweltschutz. Ändert sich das jetzt?

Genau das ist seit einem Jahr neu. Es wird sicher Jahre dauern, das in die Praxis umzusetzen. Aber die Regierung versucht ernsthaft, Umweltschutz in den lokalen Behörden zu verankern. Im vergangenen Jahr haben die Umweltbehörden der Provinzen – dies ist die zweite Verwaltungsebene, vergleichbar mit unseren Ländern – immerhin rund zehntausend Industriebetriebe geschlossen, weil diese Umweltauflagen nicht eingehalten hatten.

Machen Medien und soziale Organisationen es bekannt, wenn Vorschriften missachtet werden?

Nein. Es gibt praktisch keine Beteiligung der Öffentlichkeit an der Umweltpolitik. Zwar gibt es nun mehr Umweltinformationen, aber Sanktionen aufgrund einer kritischen Öffentlichkeit habe ich in China bisher noch nicht feststellen können. Das ist ein großes Problem.

Sie beschreiben, wie die Führung einer leninistischen Partei ihre Kader auf die neue Linie „Klimaschutz“ bringt. Könnte China auf diese autoritäre Art ein schnelleres Umsteuern zustande bringen als wir mit unserer Demokratie?

Das würde ich eingeschränkt bejahen. In China bildet sich salopp gesagt ein autoritärer Kapitalismus heraus, der möglicherweise eher und schneller mit Umweltproblemen fertig werden kann als klassische rein marktwirtschaftlich-demokratische Systeme.

Auf Kosten der Freiheit, der politischen Partizipation und der Menschenrechte...

Allerdings. Das ist keine Win-Win-Situation. Die chinesische Führung hat erkannt, dass ein turbokapitalistisches System in China langfristig nicht möglich ist und es darauf ankommt, eine sinnvolle Kombination zwischen marktwirtschaftlichen Instrumenten und sozialistischen oder gemeinschaftlichen Vorstellungen umzusetzen. Das ist der Sonderweg Chinas, der inzwischen in anderen Ländern als Alternative zum westlichen Vorbild diskutiert wird. China strebt offiziell an, bis zum Jahr 2020 eine sogenannte sozialistisch-harmonische Gesellschaft zu schaffen.

Setzt sich China für internationalen Klimaschutz ein, etwa für ein Kyoto-Folgeabkommen?

Chinas Regierung hat während der Klima-Verhandlungen in Bali 2007 erstmals erklärt, dass es bereit ist, überprüfbare eigene Schritte zur Emissionsminderung zu ergreifen – freiwillige, selbst gesetzte Ziele wie im nationalen Klimaschutzplan. Sie will aber weiter keine bindenden, international festgelegten Ziele zur Emissionsreduktion akzeptieren. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass China – übrigens auch Indien – Obergrenzen für die eigenen Emissionen hinnimmt. Deshalb bin ich pessimistisch, ob ein starkes Kyoto-Folgeabkommen erreicht werden kann. China und die Vereinigten Staaten verursachen zusammen etwa 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen, beide müssten unbedingt eingebunden werden.

Aber China hat sich doch bereits Einsparziele gesetzt.

 Es wird aber nach meiner Kenntnis nicht bereit sein, das völkerrechtlich festzulegen. Das hängt mit dem starken Streben nach Autonomie zusammen – China will sich nicht in Blöcke einbinden lassen. Das konnte man auf allen internationalen Konferenzen beobachten.  Ich sehe nur einen möglichen Grund, warum das Land bindende Emissionsminderungen akzeptieren könnte: China achtet sorgsam auf seine internationale Reputation und will ein geachtetes Mitglied der internationalen Gemeinschaft sein.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

Michael Bohnet ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und war bis 2002 Ministerialdirektor im Bundesentwicklungsminis­terium. Er war leitendes Mitglied der deutschen Delegationen bei acht Weltkonferenzen. 2002 berief ihn Chinas Regierung in ihren Um­weltbeirat, dem er bis 2007 angehörte.

welt-sichten 10-2008

 

erschienen in Ausgabe 10 / 2008: Klimaschutz: Welche Instrumente wirken?
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