Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

im vergangenen Jahrhundert ist die Opiumproduk­tion weltweit deutlich gesunken: von 24,5 Gramm pro Kopf im Jahr 1907 auf nur noch 1,9 Gramm 2007. Die UN-Behörde zur Bekämpfung von Drogen und Kriminalität (UNODC) bezeichnet das in ihrem diesjährigen Weltdrogenbericht als beeindruckenden Erfolg internationaler Drogenpolitik. Aber ist es das wirklich?

Das nichtstaatliche Transnational Institute in Amsterdam, das auf Drogenfragen spezialisiert ist, weist auf zwei Punkte hin, die UNODC ignoriere: Zum einen wurden Opiate wie Opium, Morphin oder Heroin vor dem Zweiten Weltkrieg viel häufiger als Schmerzmittel genutzt als heute. In dem Maße, wie die Opiumproduktion seitdem gesunken ist, ist die Herstellung alternativer schmerzstillender Medikamente gestiegen. Zum anderen geriet nach 1945 das traditionelle Opiumrauchen im damals wichtigsten Verbraucherland China mehr und mehr außer Mode: Die Chinesen griffen fortan lieber zur Zigarette.

Der internationale Kampf gegen Drogen begann fast genau vor einhundert Jahren. Im Februar 1909 gründeten dreizehn Länder in Schanghai die Internationale Opium-Kommission. Drei Jahre später verabschiedeten sie die erste zwischenstaatliche Konvention zur Kontrolle von Opium. Bis dahin war der Stoff aus der Mohnpflanze in vielen Weltregionen ein alltägliches und gesellschaftlich akzeptiertes Rauschmittel - nicht anders als heute Alkohol. Zudem war Rohopium Grundstoff für viele Medikamente, unter anderem für Heroin: 1896 ließ die heutige Bayer AG das Verfahren zur Herstellung des Präparats patentieren und vermarktete es unter diesem Namen als Husten- und Schmerzmittel.

Die steigende Zahl von Opiumabhängigen vor allem im Fernen Osten war ein Grund für das wachsende Engagement gegen die Droge - wenn auch nicht der wichtigste. Angetrieben wurde der Kampf vor allem von puritanischen und kirchlichen Lobby-Gruppen in Europa und Nordamerika, die den Drogenkonsum aus moralischen Gründen verurteilten. Anfangs ging es noch darum, die Produktion, den Handel und den Konsum zu regulieren und Missbrauch zu verhindern. Doch seit den 1960er Jahren setzt die internationale Drogenpolitik vor allem auf Repression.

Seinen vorläufigen Höhepunkt fand dieser Ansatz 1988 in der UN-Konvention gegen den illegalen Handel mit Drogen. Sie verpflichtet die UN-Mitgliedstaaten, jegliche Produktion sowie den Gebrauch von Kokain, Opiaten und Cannabis strafrechtlich zu verfolgen. Genutzt hat das nichts: In den vergangenen zwanzig Jahren ist weder die Herstellung von Opium und Kokain weltweit gesunken, noch hat sich die Zahl der Drogenkonsumenten verringert. Die Politik der Illegalisierung hat lediglich die Risikoprämien und damit die Gewinnaussichten der Drogenkartelle in die Höhe getrieben - mit der Folge eskalierender Kämpfe um Marktanteile wie in Mexiko oder der Infiltrierung des Staates durch Drogenbarone in Afghanistan. Und sie hat Kokain und Opium zu einem probaten Mittel der Kriegsfinanzierung gemacht.

Die repressive Politik gegen Drogen ist durch keinerlei Erfolge legitimiert. Sie stützt sich allein auf die Ideologie einer abstinenten, rauschmittelfreien Gesellschaft. Fortschritte bei der Eindämmung der Folgen des Drogenmissbrauchs gibt es nur dort, wo von dieser Ideologie abgerückt wird. In der Schweiz zum Beispiel sind die Beschaffungskriminalität und die Zahl der Drogentoten deutlich zurückgegangen, seit dort in den 1990er Jahren als erstem Land die Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige eingeführt wurde. Ende November stimmen die Eidgenossen darüber ab, ob dieser Ansatz Gesetz werden soll. Andere Länder sollten sich daran ein Beispiel nehmen.

Tillmann Elliesen Redakteur

welt-sichten 11-2008

 

erschienen in Ausgabe 11 / 2008: Drogen: Profit, Gewalt und Politik
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