Es ist ein Beschluss mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen: Im Juni beschloss der Ständerat, also die Parlamentskammer, die die Kantone repräsentiert, weitgehende Lockerungen des Kriegsmaterialgesetzes. Demnach sollen Exporte von Rüstungsgütern in 25 Staaten, die die Schweiz als vertrauenswürdig einstuft, grundsätzlich erlaubt werden. Zudem dürfen eben diese Länder das Material ohne Einwilligung der Schweiz an Drittstaaten weitergeben.
Der Entscheid des Ständerats komme einem Kahlschlag bei der Exportkontrolle gleich, sagte Evelyne Schmid, Professorin für Völkerrecht an der Universität Lausanne, gegenüber dem Tagesanzeiger. 2024 gingen rund 85 Prozent der Schweizer Waffenexporte in diese 25 Staaten, zu denen auch zahlreiche europäische Länder zählen, sowie die USA, Japan oder Argentinien.
Menschenrechtler: "Ein völlig falsches Signal"
Auch kommt der Vorschlag einer Kehrtwende gleich. Erst 2021 hatte das Parlament in einem indirekten Gegenvorschlag zur „Korrekturinitiative“, einer Bürgerinitiative, die sich gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer gestellt hatte, beschlossen, die Regeln für Kriegsmaterialexporte zu verschärfen. Damals wurden vier Ausschlusskriterien für Waffenexporte festgelegt: wenn das Empfängerland in einen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, wenn es systematisch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begeht, wenn die gelieferten Waffen gegen Zivilisten eingesetzt werden könnten oder wenn ein hohes Risiko besteht, dass das Material an unerwünschte Dritte weitergegeben werden könnte.
Menschenrechtsgruppen begrüßten damals die Verschärfung. Das Parlament habe einen „wichtigen Entscheid“ getroffen, schrieb Amnesty Schweiz in einer Mitteilung. Dementsprechend scharf kritisiert deren Pressesprecher Beat Gerber nun die geplanten Lockerungen: „Es ist ein völlig falsches Signal, wenn ein Staat, der sich rühmt, internationales Recht hochzuhalten, mit Waffenexporten schwere Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt“, sagt Gerber.
Mit dem Vorschlag des Ständerats würde die Logik grundsätzlich umgedreht: Die Regel, dass Exporte in Länder, bei denen es menschenrechtliche Bedenken gebe, grundsätzlich verboten seien, sei nun bei 25 Staaten außer Kraft gesetzt worden. Bei ihnen kann der Bundesrat nur noch in Ausnahmefällen, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen oder die Ausfuhr die Interessen der Schweiz gefährden, eingreifen und eine Lieferung untersagen.
Gefahr, dass Schweizer Waffen in Kriegsgebiete gelangen
Besonders bedenklich sei, dass es diesen Empfängerstaaten erlaubt wäre, ohne Einwilligung der Schweiz diese Waffen an Dritte weiterzugeben. Dabei habe die Schweiz sich stets gerade ihrer sorgfältigen Exportkontrollen gelobt: So habe sie bisher auch immer nachkontrolliert, dass Waffen nicht weitergegeben würden, so Gerber. Nun aber bestehe die reale Gefahr, dass Schweizer Waffen in Kriegsgebiete gelangen, wo sie gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. „Sie wird bewusst in Kauf genommen.“
Unter den 25 Staaten sind auch die USA, die in den letzten zwei Jahren Waffen in Milliardenhöhe an Israel geliefert habe, die wiederum im Krieg in Gaza eingesetzt worden seien, kritisiert Gerber. Oder der Fall des Bürgerkriegslands Sudan, wo französische Waffen über die Vereinigten Arabischen Emirate in die Hände der paramilitärischen RSF gelangten, die für Kriegsverbrechen bekannt ist.
Kurz: Schweizer Waffen könnten über zahlreiche Wege in Konfliktgebiete gelangen, in denen Zivilisten im Visier stehen. Damit gehe die Schweiz, so Gerber, leider mit dem Trend: Immer mehr Unterzeichnerstaaten des Waffenhandelsabkommens ATT setzten sich über dessen Regeln hinweg. Der Vertrag verlangt eine Risikoprüfung vor jedem Export, damit Waffen nicht bei schweren Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen eingesetzt werden.
Die antimilitaristische Organisation Schweiz ohne Armee (GSoA) hat denn auch angekündigt, zusammen mit anderen Organisationen das Referendum, ein politisches Instrument in der Schweiz, mit dem ein Gesetzesartikel zur Volksabstimmung gebracht werden kann, gegen die Lockerung zu ergreifen, sollte diese auch vom Nationalrat angenommen werden. Der Ständerat nutze die aktuelle geopolitische Lage und den Krieg in der Ukraine als Vorwand, um die Kriegsmaterialausfuhrbestimmungen zu lockern, schreibt Noemi Buzzi von der GSoA auf Anfrage. „Wir fordern, dass die Schweiz klare Leitlinien und ethische Standards hat beim Export von Kriegsmaterial. Die Schweiz soll ihre humanitäre Tradition respektieren und sich mit der ganzen Welt solidarisch zeigen.“
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