Nairobi/Dodoma - Es sind die siebten Wahlen, seit in Tansania 1992 ein Mehrparteiensystem eingeführt wurde. Gewonnen hat allerdings bisher immer die Partei CCM, die das ostafrikanische Land seit der Unabhängigkeit 1961 regiert. Offiziell sind am Mittwoch darüber hinaus 16 Kandidatinnen und Kandidaten weiterer Parteien zugelassen. Doch die beiden Oppositionsparteien, die am ehesten Anhänger mobilisieren könnten, sind von der Abstimmung ausgeschlossen.
Unterdessen ist die "Mutter der Nation" überall präsent: Plakate von Präsidentin Samia Suluhu Hassan säumen die Straßen und Plätze. Quer durchs Land wirbt sie für sich und ihre Errungenschaften. "Sie schützt die Mädchen" steht da, oder: "Sie stärkt internationale Zusammenarbeit".
Samia Suluhu Hassan ist die erste Frau an der Spitze Tansanias. Nach den Wahlen 2020 machte der immer autoritärer regierende John Magufuli sie zu seiner Vizepräsidentin. Als er im März 2021 plötzlich starb, übernahm Suluhu das Amt und änderte die rhetorische Richtung: Versöhnung, Reformen und Wiederaufbau - das waren zentrale Politikversprechen.
Doch die Realität sieht aktuell anders aus. "Es fällt mir schwer, das Ganze wirklich Wahlen zu nennen”, sagt Mary Ndaro, Sozialwissenschaftlerin und Entwicklungsberaterin aus der Hafenmetropole Daressalam. Deus Valentine von der Rechtshilfeorganisation "Centre for Strategic Litigation" nennt den Zustand des Landes "eine Demokratie in der Pubertät".
Nach ersten liberalen Öffnungen im vergangenen Jahr füllt Suluhu wie ihr Vorgänger ihr Amt immer autoritärer aus. So ist der Vorsitzende der Oppositionspartei Chadema, Tundu Lissu, wegen Hochverrats angeklagt und sitzt in Haft. Seit Monaten werden immer wieder Anhänger seiner Partei willkürlich verhaftet. Auch Kritiker innerhalb der Regierungspartei können sich nicht sicher fühlen. Der ehemalige Botschafter in Kuba und Parlamentsabgeordnete Humphrey Polepole stellte sich mehrfach offen gegen Suluhu - und verschwand Anfang Oktober. Bis heute ist unklar, was mit ihm passiert ist.
Das Land komme vom demokratischen Kurs ab, sagt der Politikwissenschaftler Nikodemus Minde vom afrikanischen Institut für Sicherheitsstudien ISS. 37,6 Millionen Tansanierinnen und Tansanier sind zur Wahl registriert, 2020 waren es 29 Millionen. Umfragen des ISS zufolge will aber nur knapp die Hälfte ihre Stimme auch wirklich abgeben. Das Land hat die fünftgrößte Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent.
"Die Wahl ist wichtig, denn Tansania war bisher immer ein Anker des Friedens in der Region der Großen Seen in Ostafrika", sagt Politikforscher Valentine. Auch aktuell gibt es in den Nachbarländern Demokratische Republik Kongo und Mosambik bewaffnete Konflikte, die politische Lage in Burundi ist fragil. Deshalb müsse die Regierung aufpassen, dass die Stimmung im Land nicht kippt.
Wirtschaftlich macht Tansania unter Präsidentin Suluhu Fortschritte: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von knapp 70 Milliarden US-Dollar 2021 auf rund 79 Milliarden Dollar 2023. Dazu beigetragen hat die Modernisierung der Landwirtschaft und die Aufhebung von Handelseinschränkungen. Doch 2024 stagnierte die Wirtschaft und die Lebenshaltungskosten stiegen. Zudem stoßen Regierungsprojekte wie die Vergabe der Hafenverwaltung an ein Unternehmen aus Dubai oder Zwangsvertreibungen wegen umstrittener Naturschutzgebiete im Norden auf scharfe Kritik. Viele Menschen im Land stehen dennoch hinter "Mama Samia" und ihrer Partei.
Hilfe kommt zudem von Kulturschaffenden und der sogenannten "Chawa-cracy”, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Chawa heißt Laus in der Landessprache Kisuaheli - und beschreibt das Phänomen, dass beliebte Musikerinnen und Musiker die Präsidentin in ihren Videos loben und dafür bezahlt werden. Die Clips laufen auf Instagram und Tiktok - die Internetplattform X und der Messenger Telegram sind gesperrt, um die Koordination der Opposition einzuschränken.
Zwei Faktoren könnten der Präsidentin laut Deus Valentine in die Quere kommen: die politische Stimmung auf der Insel Sansibar, mit der Tansania gemeinsam eine Republik bildet. Und die "Generation Z" der unter 30-Jährigen mit mehreren Millionen Erstwählerinnen und -wähler. "Die GenZ macht die Wahl unvorhersehbar", sagt Valentine. Die jungen Leute hätten keine Nostalgie und dafür neue Ideen für Widerstand.
