Ein Fall von schädlicher Klimakompensation

das Ergebnis des gerade beendeten UN-Klimagipfels ist besser als befürchtet – aber ist es gut, speziell beim Kernthema Verringerung der Treibhausgase? Ja, es gibt  zum ersten Mal einen Konsens, sich  auch von Erdöl und Erdgas zu verabschieden: Der Beschluss ruft die Staaten auf, die Kohleverstromung herunterzufahren und sich vom Einsatz „fossiler Energien“ im Energiesystem „wegzubewegen“. Ein Zeitplan dafür fehlt aber und die Schlupflöcher sind riesig. Eines ist, dass auch die Abscheidung und Speicherung von CO2 empfohlen wird – besonders, aber nicht nur für schwer zu dekarbonisierende Sektoren. Damit kann man weiter in Öl und Gas investieren mit dem irrigen Argument, man könne ja alles Treibausgas auffangen, sobald die Technik reif ist. Ein anderes Schlupfloch bieten Kohlenstoffmärkte, auf denen ein Land Emissionsminderungen anderswo kaufen und gegen eigene Emissionen verrechnen kann, das sogenannte Offsetting. Auf Regeln dafür, etwa für Transparenz und gegen Doppelzählungen, konnte sich die Konferenz gerade nicht einigen. Wie problematisch das ist, zeigen Johannes Greß und Christof Mackinger an einem Fall von freiwilligem Offsetting: Boehringer Ingelheim nutzt Zertifikate aus einem Naturschutzprojekt in Kenia, um mit "klimaneutral" zu werben. In dem Projekt waren sexuelle Übergriffe verbreitet – und der Klimanutzen ist fragwürdig. 

Ich wünsche anregende Lektüre – und leiten Sie diesen Newsletter gerne an andere Interessierte weiter! Falls Sie übrigens noch ein Weihnachtsgeschenk suchen: Wie wäre es mit einem Geschenkabo von "welt-sichten"? 

Mit den besten Wünschen für die Weihnachtszeit,

Bernd Ludermann

Das bewegt die Redaktion

Laut einer alten These kann die Öffentlichkeit immer nur eine große Krise zugleich zur Kenntnis nehmen. Das stimmt anscheinend nicht ganz: Zurzeit dominiert der Krieg in Gaza die Berichterstattung (weshalb wir dazu nicht auch noch beitragen müssen), aber die Kämpfe in der Ukraine kommen weiter vor und auch die Erderhitzung hat mit dem Klimagipfel wieder Schlagzeilen erzeugt. Tatsächlich aus dem Blick gerückt sind jedoch andere grausame Kriege wie im Sudan, im Jemen und in Myanmar und auch die schwelende Gewalt etwa im Ostkongo und in Haiti. Da immer wieder hinzublicken, ist ein Anliegen und ein Auftrag unserer Redaktion. Die Zahl der Kriege und Kriegsopfer nimmt nach einem starken Rückgang seit Mitte der 1980er Jahre leider wieder zu. Obwohl jeder Krieg seine eigenen Ursachen hat, kann man für diesen traurigen Trend gemeinsame Ursachen benennen. Für die nächste Ausgabe bereiten wir einen Artikel vor, der das tut und über Gegenmittel nachdenkt. Sagen Sie uns inzwischen gern, was Sie von unseren Berichten über aus dem Blick geratene Krisen halten.

Neu auf welt-sichten

Gespaltenes Land: Omar Alshogre ist 2015 aus Syrien geflohen, als Teenager hatte er Haft und Folter durchlebt. Von Schweden aus setzt er sich für Menschenrechte im Heimatland ein. Wir haben ihn nach seiner Geschichte gefragt, nach der Lage in Syrien heute und wie er Europas Haltung zu dem Land findet.

Gegenwind für den Grenzausgleich: Auch auf der Weltklimakonferenz in Dubai musste sich die EU Kritik an ihrem Klimaschutzinstrument CBAM anhören, wonach für klimaschädlich produzierte Importe Abgaben fällig werden. Brüssel ist hingegen überzeugt, dass der Mechanismus mit den Regeln der Welthandelsorganisation vereinbar ist, schreibt Tillmann Elliesen.

Standhaft: Frauen haben in der Demokratiebewegung im Sudan eine wichtige Rolle gespielt – und leiden nun besonders unter dem Krieg. Die Hoffnung auf Frieden geben sie trotzdem nicht auf, berichtet Birte Mensing und stellt eine Aktivistin im Exil vor.

Was tut sich…in Chile? Im September 2022 haben 62 Prozent der Chileninnen und Chilenen den Entwurf einer ökologischen, feministischen und inklusiven Verfassung abgelehnt. Am 17. Dezember steht nun der neue, deutlich konservativere Entwurf zur Abstimmung. Umfragen deuten darauf hin, dass auch er durchfällt, berichtet Margarita Pastene.

Noch immer interessant

Stillstand bei der grünen Gentechnik: Die EU-Agrarminister konnten sich im Dezember nicht einigen, wie die Regeln für den Einsatz neuer gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft gelockert werden sollen – unter anderem weil ungeklärt ist, ob neue Sorten patentierbar sein sollen und dies Monopole fördert. Um welche Technik es hier geht und warum auch kritische Geister eine gewisse Lockerung akzeptieren, hat mein Kollege Tillmann Elliesen vor zwei Jahren erklärt.

Medienschau: Was andere berichten

Megatrends Afrika: Afrika und seine Rohstoffe werden für die deutsche Politik wichtiger und der geostrategische Wettbewerb um den Kontinent wird schärfer. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat daher eine Podcast-Reihe zu großen Umbrüchen in Afrika begonnen. Die erste Folge blickt auf Veränderungen der deutschen Afrikapolitik.

Nicht mit Win-Win-Thesen Entscheidungen meiden: Die Industrie subventionieren und so Klimaschutz, Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze zugleich sichern – das ist die Strategie in den USA, Europa und China. Aber Win-Win ist oft eine Illusion und verhindert nötige demokratische Entscheidungen, mahnt das "IPG-Journal".

Warum beschäftigt sich der UN-Sicherheitsrat nicht mit Darfur? Während die paramilitärischen RSF weiterhin Gräueltaten an Zivilisten dort begehen, blickt die Weltöffentlichkeit über die humanitäre Katastrophe hinweg, berichtet "The New Humanitarian".

Tolle Geschichte aus Nord-Nigeria: Warum hat ein Mann dort 20 Kinder, wie kommt die Familie über die Runden, wie macht Boko Haram das schwerer und wie geht es in Koranschulen zu? Die "Süddeutsche Zeitung" erzählt all das schön und mit Empathie (und leider mit Paywall).

Denkfabrik: Was Fachleute sagen

Lebensmittel klimafreundlich produzieren: Die Herstellung von Lebensmitteln verbraucht laut einer neuen Studie 15 Prozent der weltweit genutzten fossilen Brennstoffe. Das meiste beansprucht die Düngemittelproduktion. Um das zu ändern, seien Schritte gegen das Oligopol der den Sektor beherrschenden Großunternehmen nötig. Barbara Erbe fasst das Papier zusammen.

Antisemitismus ist überall gleich? Nein, erklärt Aleida Assmann in "Geschichte der Gegenwart": Man muss rechten, rassischen und linken, antinationalen Judenhass vom muslimischen, israelbezogenen unterscheiden und sollte nicht deutschen Antisemitismus auf Muslime projizieren. Danke für diese notwendige Differenzierung!

PPPs jetzt auch aus Peking: Auch China setzt jetzt beim Bau von Infrastruktur für seine neue Seidenstraße auf Partnerschaften mit Privatfirmen (PPPs). Die Kreditfinanzierung hat sich als riskant erwiesen. Das GIGA-Institut analysiert, was Peking mit der Umstellung bezweckt und was sie für Afrika bedeutet.

Ausblick

Strafgerichtsbarkeit im Ukraine-Krieg: Können die im russischen Angriffskrieg in der Ukraine begangenen Verbrechen in absehbarer Zeit geahndet werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich kommende Woche online das Käte Hamburger Kolleg/Centre for Global Cooperation Research der Universität Duisburg-Essen. Details und das Anmeldeformular hier.

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