Landraub für den Klimaschutz

Liebe Leserinnen und Leser,

kürzlich hat die EU-Kommission ein neues Zwischenziel für Europas Weg zur Klimaneutralität vorgeschlagen: Bis 2040 soll der Treibhausgasausstoß gegenüber 1990 um 90 Prozent sinken. 3 Prozent der Emissionen – von Stand 1990, der Prozentanteil wächst also mit dem Rückgang der Emissionen stark – dürfen europäische Verschmutzer jedoch über den internationalen Emissionshandel ausgleichen. Sie werden dann außerhalb der EU eingespart, worüber dort Staaten, typischerweise Entwicklungsländer, Zertifikate verkaufen. Dieser im Pariser Klimaabkommen vorgesehene Handel läuft gerade an, Länder wie die Schweiz und Singapur wollen ihn in großem Umfang nutzen. Aus vielen Gründen ist das fragwürdig – nicht zuletzt wegen des enormen Landbedarfs für CO2-Bindung in Pflanzen und Böden. Das zeigt der schon länger florierende Markt für freiwillige Klimaschutz-Kompensation, mit dem große Firmen ihre Emissionen „ausgleichen“. Viele tun das in Kenia. Ein riesiges Projekt zum Bodenschutz, das Zertifikate für gebundenen Kohlenstoff verkauft, hat sich Ismail Einashe dort genauer angesehen. Der Klimanutzen, findet er, ist zweifelhaft – aber sicher ist, dass das Projekt auf Kosten der Massai geht, die auf dem nun geschützten Land leben. Viele Jüngere wollen das allerdings nicht länger hinnehmen und wehren sich.

Anregende Lektüre wünscht

Das bewegt die Redaktion

Dass Journalistinnen und Journalisten vom Staat schikaniert und ins Exil gejagt werden, ist in El Salvador unter Präsident Nayib Bukele nicht Neues. Nun hat es unsere Kollegin Cecibel Romero getroffen, die von San Salvador aus lange auch für „welt-sichten“ aus Mittelamerika berichtet hat: Sie hat das Land verlassen. Das hat ihr Kollege Toni Keppeler mitgeteilt, mit dem sie das Medienkollektiv „latinomedia“ gegründet hat. Danach hatte Cecibel Romero immer wieder Korruptionsskandale der Regierung Bukele recherchiert und die Shitstorms, die das zur Folge hatte, vorbeigehen lassen. Zuletzt aber hat in El Salvador die Repression gegen alle Kritiker Bukeles noch zugenommen –Menschenrechtsanwälte etwa wurden verhaftet – und es gab Hinweise, dass die Regierung Cecibel Romero im Visier hatte. Wie vor ihr viele andere ist sie deshalb geflohen, zunächst nach Guatemala. Ein Einkommen hat sie dort bisher nicht. Wir hoffen natürlich, dass diese kluge und zuverlässige Kollegin bald wieder für uns und für andere aus Mittelamerika berichten kann. Ihr Fall erinnert uns an Abdalle Ahmed Mumin, der aus Somalia für uns geschrieben hat und 2023 nach einer Verhaftung und üblen Haftbedingungen ebenfalls sein Heimatland verlassen hat. Ohne mutige Journalisten wie ihn und Cecibel Romero, die unter ständiger Bedrohung arbeiten, würden wir im sicheren Deutschland vieles aus anderen Weltteilen gar nicht erfahren.

Neu auf "welt-sichten"

Die Religion missbraucht: Nigeria wird von einer Gewaltwelle erschüttert, viele Opfer sind Christen. Doch das ist keine Christenverfolgung, sagt ein Erzbischof aus Nigeria; er fürchtet eher, dass nun Muslime Opfer von Hass und Vergeltung werden, berichtet Katja Dorothea Buck.

Den Status quo bemäntelt: In Sevilla haben die Staaten im Juli verhandelt, wie das für nachhaltige Entwicklung nötige Geld aufgebracht werden kann. Auch ohne die USA konnten sie nicht zu echten Reformen finden, kommentiert Patricia Miranda vom lateinamerikanischen NGO-Netzwerk Latindadd.

Eigene Haltung gefragt: Beim Hype um künstliche Intelligenz bleiben Probleme oft unterbelichtet – etwa die Gefahr, dass der globale Süden digital weiter abgehängt wird. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss sich damit beschäftigen, schreibt Claudia Mende.

Was Sie verpasst haben könnten

Wie stark ist die Hamas noch? Max Rodenbeck von der International Crisis Group erklärt im Interview, wie sich die Organisation nach fast zwei Jahren Krieg in Gaza mit Zehntausenden Todesopfern immer wieder regeneriert und warum Israel sie nicht komplett vernichten kann. 

Ideen von gestern zur Entwicklungsfinanzierung: Bei der UN-Konferenz FfD4 in Sevilla hat die Bundesregierung die zehn Jahre alte Addis Tax Initiative hervorgeholt, statt neue Konzepte voranzutreiben, um die Einnahmen ärmerer Länder zu steigern. Kritiker sind enttäuscht, berichtet Marina Zapf.

Noch immer interessant

Nun also Sudan: Auf der Jagd nach dem Friedensnobelpreis will Donald Trumps Afrika-Berater Massad Boulos im Juli mit Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein Ende des Krieges im Sudan aushandeln. Ohne diese Staaten kann man tatsächlich kaum die brutalen Kämpfe anhalten, denn während Saudis und Ägypter die Armee des Sudan unterstützen, bewaffnete die Emirate die andere Kriegspartei – das hat Hala al-Karib vor einem Jahr in „welt-sichten“ geschildert. Noch immer lesenswert! Eine Kampfpause auf Drängen der USA wäre in der Tat eine große Erleichterung für die Menschen im Sudan. Allerdings: Ob es zu Frieden führen kann, wenn konkurrierende äußere Mächte das Geschäftsfeld Sudan untereinander aufteilen, ohne dass Sudanesen oder Länder Afrikas mitreden, muss man leider bezweifeln.

Buchtipp

Zwiespältiger Eindruck: Nadine Pungs beschreibt in ihrem Buch Saudi-Arabien als Gesellschaft zwischen Aufbruch und alten Traditionen. Dabei liefert sie eher Impressionen als Analysen, findet unsere Rezensentin Claudia Mende.

Medienschau: Was andere berichten

Es war Ihnen zuletzt zu heiß? Wie die mit dem Klimawandel wachsende Hitze einen Kurierfahrer in Karatschi, Pakistan, bloß noch vegetieren lässt, schildert eine eindrückliche Reportage in der "New York Times" – und auch, wie die Bebauung sowie Regierungsversagen das Problem verschlimmern.

Auf Kosten der Gesundheit: Laut einer gemeinsamen Recherche des International Consortium of Investigative Journalists und des Magazins "Mother Jones" haben von der Weltbank-Tochter IFC geförderte profitorientierte Krankenhäuser in Ostafrika Patienten festgesetzt, weil sie ihre Rechnungen nicht zahlen konnten.

Denkfabrik: Was Fachleute sagen

Baumwolle grüner machen: Auf 2,5 Prozent aller Ackerflächen weltweit wird Baumwolle angebaut. Kleinbauern arbeiten dabei umweltschonender und effizienter als industrielle Betriebe, betont eine aktuelle Studie. Barbara Erbe stellt sie vor.

Podcast-Tipp: Macht KI die Medien kaputt? Im Übermedien-Podcast erklärt Sebastian Esser, wie ChatGPT die Inhalte von Medien plündert und Google in Bedrängnis bringt, so dass sie dasselbe versuchen. Und er überlegt, wie seriöse Medien verhindern können, dass sie schon wieder „von Plattformen verarscht werden“. Sehr anregend.

Wer regiert Kamerun? Roger Peltzer erklärt in seinem Blog, warum der 92-jährige Präsident Paul Biya wiedergewählt werden will, welche seiner Getreuen jetzt von der Fahne gehen und wieso das Land dringend eine bessere Regierung braucht.

Aus dem Partnernetzwerk

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