Wie Gewalt die Menschen verformt

Der autobiografische Roman des salvadorianischen Schriftstellers Horacio Castellanos Moya ist die Beichte eines Mannes, der an seiner geschundenen Heimat ebenso verzweifelt wie an dem, was dieses Land aus ihm gemacht hat.

Die Geschichte spielt im Jahr 1991 in Mexiko-Stadt.  Erasmo Aragón, Journalist aus El Salvador, der seit Jahren im Exil lebt, entschließt sich, in seine Heimat zurückzukehren. Dort wütet zwar noch der Bürgerkrieg, aber ein Friedensvertrag zwischen der ultrarechten Regierung und der linken Guerilla ist bereits absehbar. Aragón will in San Salvador an der Gründung einer Zeitschrift mitwirken. Und doch ist es nicht die berufliche Aussicht, die ihn nach Hause treibt. Auch nicht Nostalgie oder Heimweh. Vielmehr geht ihm die salvadorianische Exilgemeinde in Mexiko-Stadt auf die Nerven, seine Ehe ist zerrüttet, er trinkt zu viel, leidet an Darmbeschwerden. Die geplante Heimkehr erscheint eher wie eine Flucht.

Einzig eine Hypnose-Behandlung bei einem alten salvadorianischen Arzt – auch er im Exil – schafft dem Ich-Erzähler Linderung. Dass aber eben dieser Arzt unvermittelt in die Heimat zurückkehrt, verunsichert Aragón zutiefst: Was, wenn der Arzt ein Spion der rechten Regierung ist? Oder wenn er verhaftet und gefoltert wird? Was könnte er über ihn erzählen?

Erasmo Aragón ist ein komplizierter Mensch: Ein Hypochonder, der sich im Selbstmitleid suhlt. Ein lateinamerikanischer Macho, ein Aufschneider, der gerne Rocker oder Guerillero geworden wäre, aber es zu keinem von beidem gebracht hat. Denn er ist ein jammernder Feigling, und er weiß es. Erasmo Aragón ist Horacio Castellanos Moya. Der elfte Roman des salvadorianischen Autors ist eng an dessen eigenem Leben entlang geschrieben. Vielleicht ist er deshalb sein bislang bestes Buch geworden. Er ist schonungslos offen gegen sich selbst, hat sich nur einen anderen Namen gegeben, hier ein Detail erfunden, dort eines ins Absurde überspitzt. Man kann das Buch als Beichte eines Mannes lesen, der an seiner geschundenen Heimat genauso verzweifelt wie an dem, was dieses Land aus ihm gemacht hat.

Castellanos Moya wurde 1957 in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa geboren, kam aber mit vier Jahren nach El Salvador und hat dieses Land immer als seine Heimat begriffen. Zum ersten Mal ging er 1981, nach dem Ausbruch des offenen Bürgerkriegs, ins Exil nach Mexiko-Stadt. 1991 kehrte er nach San Salvador zurück und arbeitete zunächst journalistisch. Seit 1995 schreibt er nur noch Fiktion. Zunächst waren seine Romane fast journalistisch anmutende Portraits und Sittengemälde, oft ins Absurde überdreht. Dann wurden seine Sujets immer autobiografischer. „Der Traum von Rückkehr“ ist sein bislang persönlichstes Buch. Es gibt nur wenige historische Andeutungen und Bezüge. Aber darum geht es ihm nicht. Es geht darum, wie Gewalt die Menschen, die mit ihr leben müssen, verformt.

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