Verstörender Neuanfang

Der ehemalige Kindersoldat Ismael Beah nimmt seine Leser mit auf eine Reise nach Sierra Leone, das nach jahrelangen Gewaltexzessen in einem schwierigen Wiederaufbau steckt.

Dieses Buch rüttelt wach und verstört durch die Beschreibung der Kriegsfolgen und der neuen Gewalt, die sich in einer abgelegenen ländlichen Siedlung unkontrolliert ausbreitet. Aber der 1980 in Sierra Leone geborene Autor lädt auch zu einer literarischen Annäherung an seine Heimat ein. Ursprünglich hat er den Text auf Mende geschrieben, und seine Sprache ist sehr bildreich. Brüche zwischen einer betont ästhetischen Wortwahl und Darstellungen von Gewaltformen, die eigentlich die menschliche Vorstellungskraft übersteigen, durchziehen den Roman. So widersprüchlich sind die Kriegserfahrungen von Jugendlichen, die einen Neuanfang versuchen müssen. Und so zerrissen ist die zutiefst erschütterte Gesellschaft.

Ausgangspunkt ist die Rückkehr einer im Krieg geflohenen alten Frau in ihr Heimatdorf. Dort sammelt sie die zahllosen Knochen verwester Leichen zusammen, um ihnen einen halbwegs würdevollen Abschied zu bereiten. Ein mühevolles Unterfangen, weil überall, wirklich überall Schädel und Gebeine herumliegen. Selbst nach Wochen fallen am nahe gelegenen Fluss Leichenteile aus Sträuchern, als zurückgekehrte Kinder dort baden gehen.

Ishmael Beah weiß, wovon er spricht, schließlich war er selbst Kindersoldat – einer von rund 70.000. Er wurde unter Drogen gesetzt; Marihuana, Kokain sowie Amphetamine ließen ihn vergessen, wie viele Menschen er umbrachte. In dem grenzübergreifenden Bürgerkrieg zwischen 1991 und 2002 starben schätzungsweise 100.000 Menschen, über eine Millionen waren auf der Flucht. Davon handelt bereits Beahs autobiographische Erzählung „Rückkehr ins Leben“. Das Buch hat er geschrieben, nachdem er unter einem UNICEF-Reintegrationsprogramm Zugang zu Schulbildung bekommen hatte. Nicht zuletzt deshalb setzt er sich seit Jahren für Ex-Kindersoldaten ein, die oft ein jämmerliches Dasein als städtische Arbeitslose fristen. Auf internationaler Ebene wirkt Beah der Rekrutierung von Jugendlichen entgegen.

Für eine wirkliche Reintegration ist die ganze Gesellschaft gefordert, das illustriert sein neuer Roman. Denn die Alten sind skeptisch gegenüber jungen Ex-Kämpfern, die sich in zerstörten Häusern niederlassen. Manche der früheren Killer unterstützen jedoch alte Leute – es ist das Leuchten von Morgen, die Wiederkehr des friedlichen Zusammenlebens, das der Autor hier beschwört. Eine Traditionshüterin dankt mit dem Gemeinschaft stiftenden Erzählen von Geschichten, die vor allem Kinder in ihren Bann ziehen. Zwei zurückgekehrte Lehrer mühen sich trotz des korrupten Schuldirektors um Bildung für die Heranwachsenden.

Dieser Hoffnungsschimmer wird aber jäh zerstört, als eine Bergbau-Firma in die Gegend einfällt. Fremde Arbeiter verwüsten das Land und vergewaltigen Mädchen. Sabotageakte der Ex-Kindersoldaten können den Raubbau nicht aufhalten. Als Arbeiter umkommen, der Minenbetreiber aber ihren Tod verheimlicht, ziehen einzelne Familien aus dem Dorf fort. Doch auch in der Hauptstadt sind sie mit Ausbeutung und Korruption konfrontiert. Trotz allem schreibt Beah vom Lebensmut, immer wieder auf das Leuchten von Morgen zu hoffen.

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