Die Last des kolonialen Erbes

Bernhard Schmid
Frankreich in Afrika
Eine (Neo)Kolonialmacht in der Europäischen Union zu Anfang des 21. Jahrhunderts

Unrast-Verlag, Münster 2011,
312 Seiten, 19,80 Euro


Gut informiert, süffisant und streckenweise polemisch: Fünf Jahrzehnte nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft zieht Bernhard Schmid eine kritische Bilanz der Beziehungen der „Grande Nation“zu Afrika.

14. Juli 2010, französischer Nationalfeiertag. Ein halbes Jahrhundert nach der Entlassung von vierzehn afrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit feiert Paris deren Befreiung. Während Tiefflieger über die Champs-Élysées donnern, beklagen aufgebrachte Demonstranten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massaker und Deportationen, für die auch Frankreich verantwortlich ist. Eliteeinheiten der ehemaligen Kolonien sind geladen. Ihre Regierungen entsenden je vierzig Soldaten, Benin eine reine Frauentruppe. Kommentar des Autors: Die Ziele und Mittel der französischen Afrikapolitik bleiben die gleichen, „einige Züge und Funktionsmechanismen“ausgenommen.

Bernhard Schmid versteht es, trotz mitunter flapsiger Einlassungen der Komplexität seines Gegenstandes sachlich und diff erenziert gerecht zu werden. Was auf den ersten Blick als feuilletongeneigte Pauschalkritik erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als seriös recherchierte und im Urteil nüchterne Analyse. Dem seit Jahren in Paris lebenden Autor kommt zugute, dass er die öffentlichen Selbsterklärungen des Élysée-Palastes zu interpretieren weiß und die sie begleitenden Gerüchte und Verdächtigungen aus der Nähe kennt. Der jüngste Regierungswechsel in der Elfenbeinküste, die französische Ruandapolitik, die Machenschaften um den Mineralölkonzern Elf, Präsident Sarkozys unvollendete EurAfrika-Pläne, verdeckte Interventionen (Tschad), die neue Generation von Verteidigungsabkommen (seit dem 1. August 2011 hat Frankreich nur noch zwei große Militärbasen auf dem afrikanischen Kontinent) und die Afrikastrategien Chinas und der USA werden kritisch analysiert und beschrieben.

Vor allem zwei Einsichten überzeugen und stimmen nachdenklich. Zum einen scheint das französische Vorgehen in Afrika weniger einvernehmlich als gemeinhin angenommen. In Paris konkurrieren –auch und gerade innerhalb des konservativen Lagers– zwei Fraktionen: Jene, die glauben, „alte afrikanische Freunde“ müssten sich auch künftig auf Frankreich verlassen können, und jene, die Paris – das Afrika wirtschaft lich nicht mehr benötige – einen der Vergangenheit verhaft eten, korruptionsgeneigten Klientelismus attestieren. Zum anderen wird deutlich, dass es sich bei den freundlichen Beziehungen zu afrikanischen Diktaturen häufig um eine Abhängigkeit auf Gegenseitigkeit handelt. Die Passagen des Buches, wie das Regime von Gabun aus taktischen Gründen zeitweise aus der Sonderbeziehung zu Frankreich ausgebrochen ist, lesen sich mit großem Gewinn.

Folgt man Bernhard Schmid, dann bedarf das französische Afrikaengagement einer normativ grundierten Generalüberholung. Bekenntnisse zu Demokratie und Menschenrechten seien zu Worthülsen verkommen, nationale Interessen wichtiger als Ethik und Moral. Mit den demokratiegespeisten Selbstansprüchen französischen Afrikahandelns sollten sich daher keine überzogenen Erwartungen verbinden. Vom Élysée gewünschte Selbstblockaden der französischen Justiz (Stichwort: Immobilienbesitz afrikanischer Staatschefs in Frankreich) seien ebenso problematisch wie die historisch überkommene Akzeptanz präsidialer Machtfülle. Unklar bleiben indes die Alternativen. Wie schreibt Frédéric Charillon, der Leiter des Institut de Recherche Stratégique de l’Ecole Militaire: Kritische Einwände „bilden das Fundament einer notwendigen Revision der strategischen Analyse, die spannend, aber nicht einfach werden wird“.


Stefan Brüne

 

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