Bericht aus der syrischen Hölle

Zwischen 1981 und 1994 saß Mustafa Khalifa als Mitglied einer linken Organisation in syrischen Gefängnissen. Sein 2007 erstmals im französischen Exil veröffentlichter Roman schildert die Brutalität des Assad-Regimes.

Khalifas Roman ist in Tagebuchform verfasst und setzt Anfang der 1980er Jahre ein. Der junge Ich-Erzähler, ein Absolvent der Pariser Filmhochschule, kehrt nach sechs Jahren in sein Heimatland Syrien zurück. Schon am Flughafen wird er verhaftet und in die Geheimdienstzentrale in Damaskus gebracht, wo er gefoltert und immer wieder verhört wird. Man will von ihm Namen wissen, von „Hintermännern“, „Mitstreitern“, Assad-Gegnern. Vier Tage später verschleppt man ihn ins Wüstenlager Tadmor, wo er für 13 Jahre ohne öffentliche Anklage, Verhandlung oder Urteil „verschwindet“. Obwohl er christlich getauft und Atheist ist, beschuldigt man ihn, der Muslimbruderschaft anzugehören.

Im Lager gerät der junge Mann, dessen Name nie genannt wird, zwischen die Fronten der brutalen Kerkermeister und der Muslimbrüder, von denen einige ihn als Ungläubigen und Spion töten wollen. Er zieht sich zurück in sein Schneckenhaus, verstummt und beobachtet seine Mithäftlinge sowie durch ein kleines Loch in der Zellenwand die Hinrichtungen im Gefängnishof. Von seinen Mitgefangenen lernt er das Memorieren seiner Erlebnisse, das „Schreiben im Kopf“. Erst nach seiner Entlassung transkribiert er sein „Kopftagebuch“.

Obwohl der junge Mann es ablehnt, ein Dankestelegramm an Assad zu schicken und eine Verpflichtung zu unterschreiben, sich nicht politisch zu betätigen, kommt er schließlich dank des Einflusses eines Onkels frei. Seine Eltern sind mittlerweile gestorben. Er kommt bei einer Nichte unter, lebt abgesondert und apathisch. Er fühlt sich fremd und von den Mitmenschen überfordert, bis eines Tages ein ehemaliger Mitgefangener auf ihn zukommt. Gemeinsam besuchen sie Nassim, einen engen Freund aus dem Wüstengefängnis, den das Lager psychisch zerstört hat und der sich bald umbringen wird.

In Teilen ist der Roman autobiografisch. Alle Protagonisten seien Kompositionen von Menschen, die Khalifa im Gefängnis kennengelernt habe, schreibt die Übersetzerin Larissa Bender in ihrem aufschlussreichen Nachwort.

Khalifas Bericht aus der Hölle legt ein eindrückliches Zeugnis von der Barbarei des Assad-Re­gimes ab, das sich nunmehr seit 50 Jahren durch Terror, Folter und Mord an der Macht hält. Die arabische Fassung von „Das Schneckenhaus“ ist in Syrien trotz offiziellen Verbots zu einem Bestseller avanciert. Die ebenso grausame wie spannende Lektüre fesselt den Leser bis zum Schluss. Die arabische Fassung war ein Weckruf für die syrische Jugend und hat nach Meinung vieler zu den Protesten im Arabischen Frühling und der Revolte von 2011 beigetragen. Es ist Larissa Bender und dem Weidle Verlag zu verdanken, dass dieses „Evangelium der syrischen Revolution“ jetzt im deutschsprachigen Raum bekannt wird.

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