Kinder so stark wie Staaten

Somalia, Sudan und die Vereinigten Staaten – diese drei Länder haben die UN-Konvention über die Rechte des Kindes bislang nicht anerkannt. Außer ihnen haben alle UN-Mitglieder das Abkommen ratifiziert. Dennoch werden die Rechte von Kindern in vielen Ländern mit Füßen getreten. Bislang konnten die Opfer sich nicht dagegen wehren. Das ändert sich hoffentlich bald.

Der Titel dieser Kolumne erinnert an die Geschichte von David und Goliath. „Kinder so stark wie Staaten“ – das verweist auf einen Weg, der noch nicht zu Ende ist; auf ein Ziel, das noch aussteht. Seit 2001 begleiten diese Worte programmatisch die Initiativen und Organisationen, die sich für das Individualbeschwerdeverfahren für Kinder einsetzen. Wer den Begriff zum ersten Mal liest, mag an ein Nischenproblem denken. Wer sich auf seine Geschichte einlässt, kommt zu einem Kernproblem der Kinderrechte.

Als die UN-Vollversammlung am 20. November 1989 das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die UN-Kinderrechtskonvention, beschloss, war nach jahrzehntelangem politischem Ringen ein Meilenstein im Blick auf ein neues Verständnis von Kindsein und Kinderrechten erreicht. Der Vorrang des Kindeswohls war damit für alle politischen und administrativen Entscheidungen gesetzt wie auch der Anspruch, jedes Kind als handelndes Subjekt wahrzunehmen. Artikel 12 sichert das Recht auf Beteiligung und freie Meinungsäußerung „in allen das Kind berührenden Angelegenheiten“ zu, entsprechend seinem Alter und seiner Reife.

Autor

Jürgen Thiesbonenkamp

war bis 2014 Vorstandsvorsitzender der Kindernothilfe in Duisburg.

Fast alle Staaten der Welt haben die Kinderrechtskonvention ratifiziert. Damit verpflichten sie sich, Kinder zu schützen, zu fördern und zu beteiligen. Doch ein Blick in die Welt – auch in die Industriestaaten – zeigt, dass noch viel Arbeit ansteht, damit die Rechte von Kindern etwa bei Bildung oder Gesundheit Wirklichkeit werden können. Zwar gibt es nach Artikel 44 mit der Berichtspflicht der Vertragstaaten gegenüber den UN ein wichtiges Kontrollinstrument, das in den vergangenen Jahren seine Relevanz gezeigt und zur Umsetzung der Konvention beigetragen hat. Doch fehlt das Instrument der Individualbeschwerde, wie sie in einigen anderen Menschenrechtsverträgen vorgesehen ist. Dieses Verfahren soll Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel in ihren Heimatländern Verletzungen der Kinderrechte vor einem internationalen Gremium anzuzeigen und ihre Rechte einzufordern. Kinder sind damit als vollberechtigte Inhaber von Rechten anerkannt. Das stärkt ihre Position gegenüber den Staaten und verweist diese erneut auf internationaler Ebene auf ihre Pflichten. Deshalb ist das Beschwerdeverfahren ein wichtiger Baustein zur Durchsetzung der Kinderrechte.

Nach über zehn Jahren politischer Lobbyarbeit unter anderem auch in Deutschland beschloss die UN-Vollversammlung im November 2011 das sogenannte 3. Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention und machte den Weg frei, das Individualbeschwerdeverfahren von den Staaten ratifizieren zu lassen. Dieser politische Erfolg verdankt sich nicht zuletzt der Beharrlichkeit einzelner Personen, die sich mit aller Kraft für dieses Ziel eingesetzt haben.

Das Beschwerdeverfahren verweist die Staaten erneut auf ihre Pflichten

Zu ihnen gehörte in ganz besonderer Weise die Kinderrechtsexpertin Barbara Dünnweller, die sich als Referentin der Kindernothilfe dieser Aufgabe viele Jahre lang gewidmet hat. An ihrem Todestag am 8. November 2012 stimmte der Bundestag dem Zusatzprotokoll zu. So erfüllte sich ihr Lebenswerk, auch wenn sie selbst nicht mehr an diesem Erfolg teilhaben kann. Das Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse hat viele Menschen in ihrer Trauer um Barbara Dünnweller sehr bewegt. Es verbindet das Todesdatum von Barbara Dünnweller mit einer Entscheidung, auf die sie immer gehofft und für die sie gearbeitet hat.

Auf dem Weg sind wir seither vorangekommen. Ende 2012 wurde die Ratifizierung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Insgesamt haben bis Ende Februar 35 Staaten das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Nun steht die Ratifizierung an, damit es international in Kraft treten kann. Dazu sind nach UN-Vorgaben zehn Ratifizierungen erforderlich. Nach Thailand und Gabun hat Deutschland als dritter Staat die Ratifizierungsurkunde Ende Februar bei den UN in New York hinterlegt.

Erst wenn sich die Staaten der Welt wirklich für die Kinder und ihre Zukunft stark machen und ihre Rechte durchsetzen, werden Kinder stark wie Staaten sein. Es wäre viel gewonnen, wenn die Staaten und damit die politisch Verantwortlichen merkten, welche Kraft darin liegt, wenn sich Kinder und ihre Initiativen für ihre Rechte einsetzen. Denn im demokratischen Sinn machen sie sich damit auch für den Rechtsstaat stark und bringen zum Ausdruck, dass sie ihn als ihre politische Zukunft wollen.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2013: Wasser
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