Ohne Bankpleiten kein stabiler Finanzmarkt

Seit das Weltfinanzsystem im Jahr 2008 kurz vor dem Kollaps stand, hat sich in den Industrieländern die Einsicht durchgesetzt, dass nicht laxere, sondern strengere Regeln für die Finanzmärkte nötig sind. Einige Vorschriften wie die Eigenkapitalanforderungen an Banken sind tatsächlich verschärft worden. Doch das System ist noch immer nicht krisenfest; gerade Europa findet kein überzeugendes Reformkonzept.

Der Ausbruch der Finanzkrise 2008 in den USA hat viele Beobachter überrascht. Gerade die vermeintlich gut regulierten Finanzsektoren der führenden Industrieländer gerieten in schwere Turbulenzen. Dadurch gewannen zum einen Staaten, die in Boomzeiten häufig als überflüssig oder lästig galten, für Banken und andere am Finanzmarkt Tätige wieder an Bedeutung. Getreu der Devise, dass Banken im Ausland wachsen, aber im Heimatland sterben, waren besonders in Ländern mit überproportional vergrößerten Finanzsektoren die Regierungen wieder gefragt. Zum anderen wurde die internationale Kooperation zur Eindämmung der Krise und zur Regulierung der Finanzmärkte verstärkt. Das Ziel war eine strukturelle Stabilisierung der Finanzmärkte. Mitte 2012 hat die Politik dieses Ziel indessen noch nicht erreicht. Einzelne Staaten, allen voran die USA, haben einseitig Fakten geschaffen. Die Europäische Union (EU) hat sich bislang – nicht zuletzt wegen der anhaltenden Finanzkrise einiger Mitgliedsländer – als unfähig erwiesen, ein überzeugendes Konzept für die Reform der Finanzmärkte vorzulegen.

Für die internationale Zusammenarbeit der nationalen Finanzmarktaufsichten ist der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht die vermutlich wichtigste Institution. Der bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich angesiedelte Ausschuss ist nach einer früheren Bankenkrise entstanden: dem Bankrott des Bankhauses Herstatt 1974. Im Basler Ausschuss tauschen sich Bankenaufseher der 27 wichtigsten Finanzplätze aus und vereinbaren Richtlinien für die Regulierung. Diese Maßnahmenbündel – Basel I von 1988, Basel II von 2004 und jüngst Basel III – durchzusetzen, obliegt den nationalen Behörden. Der Basler Ausschuss ist ein Dialogforum ohne Weisungsbefugnis.

Unter Basel II wurden lediglich einzelne Institute geprüft, nicht die Risiken für das Gesamtsystem. Dem versucht Basel III dadurch Rechnung zu tragen, dass nicht nur die Stabilität der einzelnen Bank, sondern auch die des gesamten Finanzsystems untersucht werden soll. Damit wollen die Aufseher möglichen Schieflagen von einzelnen, im Grunde stabilen Banken infolge von Ansteckungseffekten entgegentreten.

Autor

Heribert Dieter

arbeitet in der Forschungsgruppe "Globale Fragen" der Stiftung Wissenschaft und Politik und ist Privatdozent an der Freien Universität Berlin.

Mit Basel III sind auch die Anforderungen an die verschiedenen Arten von Eigenkapital, die Banken halten müssen, deutlich angehoben worden. Aus Sicht der Bankenaufsicht gilt es, den Banken eine möglichst hohe Eigenkapitalquote vorzuschreiben. Denn je höher das Verhältnis des eigenen Kapitals zum Geschäftsvolumen ist, desto leichter kann eine Bank ohne fremde Hilfe eine Krise meistern. Banken haben aber kein Interesse an hohem Eigenkapital, weil es die Rendite des eingesetzten Kapitals vermindert: Entweder wird das mögliche Geschäftsvolumen kleiner oder bei gleichem Volumen ist mehr Eigenkapital vorzuhalten.

Unmittelbar nach den schweren Turbulenzen in den USA und Europa ist es den Bankaufsehern leicht gefallen, die Standards zu erhöhen. Laut Basel III sollen Banken gezwungen werden, Eigenkapital im Umfang von 10,5 Prozent der risikobehafteten Geschäfte bereitzuhalten. Zusätzlich können die nationalen Bankenaufsichten eine Erhöhung der Eigenkapitalausstattung um 2,5 Prozent in Phasen hohen Kreditwachstums verordnen. Mit anderen Worten: Wenn Bankiers allzu leichtfertig neue Kredite vergeben, kann die Bankenaufsicht antizyklisch die Eigenkapitalanforderungen erhöhen. Diese Maßnahmen werden einen Teil des Finanzsektors, nämlich die Banken, krisenfester machen. Unklar bleibt, ob das Finanzsystem insgesamt stabiler wird, weil eine Reihe von wichtigen Mitspielern – etwa Hedgefonds – nicht erfasst werden. Eine wichtige Innovation von Basel III sind die besonderen Eigenkapitalanforderungen an Großbanken. Bislang mussten diese Institute, etwa die Deutsche Bank oder die Credit Suisse und die UBS in der Schweiz, den gleichen Anteil ihrer Geschäfte als Eigenkapital vorhalten wie eine Sparkasse in Schleswig-Holstein.

Die jüngsten Krisen haben aber deutlich gemacht, dass von Großbanken Gefahren für die Stabilität des gesamten Finanzsystems ausgehen. Deshalb werden diese Geldinstitute mit Basel III verpflichtet, ihre Eigenkapitalausstattung in den kommenden Jahren deutlich zu erhöhen. Dies stärkt die Stabilität der Großbanken, verringert aber ihre Profitabilität. Möglicherweise wird diese Auflage deshalb dazu führen, dass sich Großbanken in kleinere Institute aufspalten. Ein grundsätzliches Problem jeder staatlichen Finanzmarktregulierung, auch von Basel III, ist, dass es allein damit kaum gelingen kann, Finanzkrisen ganz zu vermeiden. Diese Versuche sind nur dann erfolgversprechend, wenn Banken nicht um jeden Preis gerettet werden. Zusammenbrüche von Banken zu verhindern, ist in einer kapitalistischen Ordnung nicht die Aufgabe des Staates und führt zu Fehlanreizen. Der Staat kann und soll Sparer schützen, aber nicht die Aktionäre einer Bank vor den Folgen zu riskanten Verhaltens bewahren. Wie das funktioniert, zeigen ausgerechnet die USA: Dort werden Aktionäre von Banken sehr viel schneller zur Verantwortung gezogen als in Europa. Gerät eine Bank in Schieflage, dann verlieren die Aktionäre ihr Kapital und die „Federal Deposit Insurance Corporation“ (FDIC) schließt die Bank komplett oder verkauft vermarktbare Teile weiter. Zugleich werden die Einlagen der betroffenen Sparer bis zu einer Höhe von 250.000 Dollar geschützt. Allein seit 2008 hat die FDIC 445 marode Banken geschlossen – auch größere Banken wie die damals sechstgrößte Bank Washington Mutual im September 2008. Damit trägt die amerikanische Bankenaufsicht zur Disziplinierung des Finanzsektors bei.

Immobilienkredite erwiesen sich als wenig krisensicher 

Im Gegensatz dazu zeigt sich in Europa eine Präferenz, marode Institute zu retten, etwa in Spanien. Regierungen und Organe der Europäischen Union wie die Europäische Zentralbank kommen dem Finanzsektor regelmäßig zu Hilfe. Dies führt nicht nur zu einer Belastung der Steuerzahler, sondern auch zu neuen Fehlanreizen zugunsten von weniger umsichtigem Verhalten der Marktteilnehmer. Die Rettungsaktionen werden dann von Mal zu Mal umfangreicher, weil die am Finanzmarkt Beteiligten immer größere Risiken eingehen – in der Erwartung der nächsten Rettungsaktion. Basel III wird daher nur erfolgreich sein, wenn die Regeln für die Banken begleitet werden von der Bereitschaft, schlecht wirtschaftende Institute in den Konkurs zu entlassen.

Nicht nur die Bankenaufsicht, auch die internationale Politik befasst sich mit der Finanzmarktregulierung. Im November 2008 tagte deswegen die Gruppe der 20 (G-20), zu der die 19 größten Volkswirtschaften sowie die EU gehören, erstmals auf Ebene der Staats- und Regierungschefs. Die erste Konferenz der G-20-Finanzminister hatte schon Ende 1999 in Berlin stattgefunden – nach den schweren Finanzkrisen in Asien, Russland und Brasilien und dem Beinahe-Zusammenbruch des amerikanischen Hedgefonds LTCM. Schon damals setzte sich die Einschätzung durch, dass die heftiger werdenden Finanzkrisen koordiniert bekämpft werden müssten.

Allerdings dominierte bis 2008 die Ansicht, strengere Regeln müssten vor allem in den Schwellenländern der G-20 wieder eingeführt werden. Die Politiker und Finanzmarktaufseher der alten Industrieländer glaubten, ihre eigenen Finanzmärkte seien gut und krisenfest reguliert. Die Finanzminister der G-20 taten nichts Nennenswertes, um das internationale Finanzsystem auf eine Krise vorzubereiten. Im Gegenteil: Einzelne Schritte, die auf Druck aus dem Finanzsektor zurückgingen, führten dazu, dass die Krisen später verheerende Wirkung entfalten sollten. So legten Bankenaufseher in den USA fest, dass Immobilienkredite mit weniger Eigenkapital unterlegt werden mussten als etwa Unternehmensanleihen. Bis 2007 erschien dies angemessen: Seit der großen Depression ab 1929 waren die Immobilienpreise in den USA real nicht mehr gefallen. Doch 2008 zeigte sich, dass Immobilienkredite weniger krisenfest waren als gedacht. Und die europäischen Bankaufseher hatten so viel Vertrauen in die Staatsfinanzen in Europa, dass Kredite an Staaten gar nicht mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. Ein gewünschter Nebeneffekt war, dass die Kosten für die Finanzierung der Staatsdefizite sanken.

Die Finanzminister der G-20 haben die Gefährlichkeit dieser Politik nicht erkannt oder nicht erkennen wollen. Hier zeigt sich ein Strukturproblem der internationalen finanzpolitischen Zusammenarbeit im Allgemeinen und der G-20 im Besonderen: Die Finanzpolitik beruht stets auf den Erfahrungen früherer Finanzkrisen und versucht, deren Wiederholung zu verhindern. Leider hilft das wenig. Finanzkrisen ändern stets ihre Form und sind deshalb mit fein kalibrierten Instrumenten schwer zu verhindern. Deshalb sollte die von der Politik kontrollierte Bankenaufsicht sehr viel weniger als bisher auf die Forderung der Banken eingehen, verschiedene Eigenkapitalanforderungen je nach Kreditrisiko vorzusehen. Das älteste und beste Mittel gegen eine Bankenkrise ist und bleibt ein hohes Maß an Eigenkapital.

Im November 2008 legte die G-20 dann weitreichende Konzepte zur Krisenprävention vor.  Zu den Kernelementen gehörte, dass Finanzmarktteilnehmer die Folgen riskanten Verhaltens selbst tragen sollten. Transparenz und Rechenschaftslegung sollten deutlich verbessert werden und die internationale Zusammenarbeit zur Stabilisierung der Märkte und zur Harmonisierung der Finanzmarktaufsicht gestärkt werden. Kein Finanzplatz sollte unreguliert bleiben.

Im Prinzip waren diese Vorschläge richtig und sinnvoll. Der Wettlauf um möglichst niedrige Regulierungsstandards, der vor 2007 zu beobachten war, sollte beendet werden. Eine solide Bankenaufsicht sollte auch gegen unmittelbare, kurzfristige Interessen der Finanzindustrie tätig werden können. Allerdings hat die G-20 sich seit 2008 wieder sehr deutlich von den sinnvollen Zielen der ersten Gipfel entfernt, vor allem auf zwei Feldern: der Koordinierung der Regulierung und der Durchsetzung klarer Marktdisziplin.

Alleingänge bei der Finanzmarktregulierung sind möglich

Besonders die USA haben seit 2008 wichtige Gesetze verabschiedet, um die Finanzmärkte stärker zu regulieren – in erster Linie das Dodd-Frank-Gesetz, das Präsident Obama im Juli 2010 unterzeichnet hat. Das Ziel des umfangreichen Reformpakets ist ausdrücklich nicht die Stärkung des internationalen Finanzsystems, sondern die Stabilisierung des amerikanischen Finanzmarktes. Dabei hat die Regierung Obama, dem klassischen unilateralen Politikstil der USA folgend, die Reformen vo­rangetrieben, ohne sich mit den Partnern in der G-20 abzustimmen. Sie wollte der verbreiteten Kritik an der amerikanischen Finanzindustrie Rechnung tragen und möglichst rasch Reformen auf den Weg bringen. Die innenpolitischen Gründe für dieses Vorgehen sind nachvollziehbar, aber geschadet hat die Methode der Idee gemeinsamer Politik gleichwohl. Auch in Hinblick auf die Durchsetzung von Marktdisziplin hat die G-20 die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht. Nach wie vor sind vor allem in Europa umfangreiche Rettungsmaßnahmen für den Finanzsektor zu beobachten. Auch die bisherigen Hilfen für das überschuldete Griechenland waren letztlich ein Beitrag zur Rettung der Gläubiger Griechenlands auf Kosten der Steuerzahler. Fast vier Jahre nach Beginn der Diskussion in der G-20 zeigt sich, dass von ihr keine wichtigen Impulse für die Krisenprävention zu erwarten sind. Ihre Stärke bleibt das Krisenmanagement, nicht die Vorbeugung.

Auf den ersten Blick scheint es, als ob die Blockade in der G-20 die Bemühungen um eine schärfere Bankenaufsicht und konsequentere Finanzmarktregulierung torpediert und Regierungen zur Tatenlosigkeit verdammt. Das wäre indes eine Fehlinterpretation. Erstens zeigt das Beispiel der USA, dass Alleingänge bei der Finanzmarktregulierung möglich sind. Auch kleinere Ökonomien außerhalb der G-20 haben sich unter dem Eindruck der schweren Krise vom Ideal einheitlicher Regulierungsstandards verabschiedet. Die Schweiz etwa stand vor dem Problem, dass sie zwei Großbanken, die Credit Suisse und die UBS, beheimatet, die so groß sind, dass die Regierung sie bei einer künftigen Krise nicht mehr retten könnte. Die Schweiz hat deshalb den beiden Banken die Auflage gemacht, nicht nur die Standards von Basel III für systemrelevante Banken zu erfüllen, ab 2018 also 13 Prozent Eigenkapital vorzuhalten, sondern sie hat noch ein sogenanntes Swiss Finish von weiteren 6 Prozent hinzugefügt. 2018 werden die Credit Suisse und die UBS also 19 Prozent Eigenkapital vorweisen müssen.

Zweitens wird in der Wissenschaft und von einigen Bankenaufsehern zunehmend die Frage diskutiert, ob nationale Alleingänge nicht sinnvoll und segensreich sind. In Analogie zu komplexen Ökosystemen nimmt diese Forschungsrichtung an, dass Vielfalt Systeme stabilisiert und Homogenität sie schwächt. Ein Mischwald ist resistenter gegen Krankheiten als eine Monokultur. Übertragen auf das internationale Finanzsystem heißt dies, dass Bankenaufseher nicht versuchen sollten, einem einheitlichen, weltweiten Modell zu folgen, sondern nationale und regionale Wege einschlagen sollten.

Das ist gerade für die zersplitterte Finanzindus­trie in Deutschland, aber auch in einigen Schwellenländern sinnvoll. Von den drei Säulen der deutschen Finanzindustrie haben zwei, die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken, nicht entscheidend zur Finanzkrise beigetragen, blendet man die Landesbanken einmal aus. Es ist wenig plausibel, von regional tätigen Geldinstituten die Einhaltung globaler Standards zu fordern. Wenn Vielfalt stabilisiert, verlieren auch die Vorbehalte gegen die nationale oder regionale Einführung von Einzelmaßnahmen, etwa eine Finanzmarkttransaktionssteuer, an Gewicht.

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Roller aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
erschienen in Ausgabe 9 / 2012: Südliches Afrika: Wohlstand nur für wenige
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!