„Die Schüler müssen eine Leidenschaft für Geschichten haben“

Die Militärjunta in Myanmar hat das Land viele Jahre lang abgeschottet. Trotzdem hat sich in Rangun eine Filmhochschule etabliert. Die Dokumentarfilmerin Lindsey Merrison bildet dort junge Leute aus.

Warum bilden Sie Dokumentarfilmer aus?
Das war nicht meine Idee. Ich habe in Myanmar Filme gedreht über die verdrängte Geschichte meiner Familie und über den Nat-Kult, das ist eine animistische Kultur. Dazu war ich im Land unterwegs, und die Leute waren ganz interessiert und fragten: Filme drehen, wie geht das? Da habe ich leichtsinnigerweise versprochen: Okay, ich komme zurück und zeige es. Ich habe dann erst einmal vier Jahre lang Geld gesammelt, auch für Equipment, vor Ort gab es ja nichts. Dann habe ich erste Workshops gegeben. Neun Jahre später bin ich immer noch dabei.

Wer sind Ihre Schülerinnen und Schüler?
Anfangs kamen unsere Schüler aus Rangun, inzwischen kommen auch welche aus anderen Regionen und vom Land. Ich habe nur eine feste Vorgabe: In jedem Ausbildungsgang, also alle zwei Jahre, müssen es sechs Männer und sechs Frauen sein. Sie müssen eine Leidenschaft für Film und Kunst haben und vor allem für das Geschichtenerzählen. In Myanmar leben mindestens 136 Ethnien, wir bemühen uns, jedes Jahr eine multiethnische Gruppe zu bilden. Wir unterrichten rund fünf Monate am Stück mit Kollegen aus ganz Europa und Australien. Inzwischen lehren an unserer Schule auch ehemalige Schüler.

Wie läuft der Unterricht ab?
Wir beginnen mit einem Einsteiger-Workshop, danach kommt Schnitt, Filmgeschichte, ein Filmanalysekurs und Kurse für Drehbuch, Ton und Nachproduktion. Am Ende des Einsteigerkurses drehen unsere Schüler bereits einen eigenen Dokumentarfilm.

Welche Themen finden die Schüler spannend?
Sie finden alles Mögliche spannend! Sie erzählen von Rubinminen, deren Arbeiter mit Opium bezahlt werden, oder von einer Frau, die von Menschenhändlern nach Malaysia verschleppt wurde und da nun als alleinerziehende Mutter zu kämpfen hat. Es entstehen Porträts von Dichtern, die nach Jahren der Diktatur jetzt offen sprechen können, von Menschen, die in einem alten Kolonialhaus in Rangun wohnen oder von einem Mann, der als politischer Prediger, übers Land zieht.

Wie erleben Sie die politische Lage in Myanmar bei Ihrer Arbeit?
Zwischen 2005 und heute hat sich eine Menge getan. Anfangs war die politische Situation wirklich düster. 2007 wurde der Aufstand der Mönche niedergeschlagen, und die Leute hatten Angst, das hat man gespürt. Wir hatten damals auch einen Spitzel in unserer Schule, einer der Schüler war eine Art Informeller Mitarbeiter wie früher in der DDR. Dabei hatten wir die Schüler selbst ausgesucht! Wir wussten lange nicht, wer es war, aber wir hatten einen Verdacht. Als wir uns sicher waren, haben wir unsere Witzchen gemacht mit ihm, dass er auch alles schön mitschreiben soll.

Aber die Regierung hat Ihre Arbeit zugelassen?
Ich habe der Militärjunta eine Erlaubnis abgerungen. Ich musste mit der Regierung und den Behörden immer über Genehmigungen verhandeln. Die wollten uns anfangs sechs, sieben Leute schicken zur Beobachtung. Ich habe gesagt: Ich muss erst einmal sehen, wer von den Leuten geeignet ist.

Das konnten Sie verhandeln?
Es gab eben überhaupt kein Vorbild für das, was wir angeboten haben. Also habe ich das einfach so gefordert. Wir mussten immer transparent mit der Regierung arbeiten, sonst hätten die uns aus dem Land geworfen. Ausländer mit einer Kamera und vor allem gemeinsam mit einem Birmanen – das war ohne Absprachen nicht möglich. In der Schule haben wir nicht direkt über die Militärdiktatur gesprochen, aber über Politik allgemein schon. Und politisch ist vieles, ein Dokumentarfilm über Kinderarbeit ist natürlich ebenfalls ein Politikum.

Wie ist es heute?
Heute reden die Leute offener über Politisches, für Printmedien sind die Regelungen etwas gelockert worden. Aber es gibt noch Zensur und Journalisten müssen aufpassen, sonst kriegen sie Geldstrafen aufgedrückt. Für den Bereich Film gibt es noch kein Mediengesetz. Die Unesco berät gerade die Regierung bei der Gesetzgebung. Da haben auch wir Kontakte und versuchen zu vermitteln, dass Film etwas Positives ist und dem Land helfen kann.

Wo setzt die Zensur noch Grenzen?
Das weiß ich nicht genau. Bei jedem Projekt sprechen wir uns mit den Schülern ab, denn sie können die Situation besser einschätzen als wir. Einmal haben Schüler ohne Erlaubnis gedreht, für den Film „Nargis“ über den Wirbelsturm von 2008, bei dem weit über 100.000 Menschen gestorben waren. Damals hat die Regierung überhaupt keine Medien zugelassen. Die Schüler haben die Kamera in Hilfslieferungen versteckt. Auch beim Mönchsaufstand 2007 haben Schüler von uns gedreht und waren dafür rund einen Monat im Gefängnis.

Wo zeigen sie die Filme?
Es gibt mittlerweile drei Filmfestivals im Land, eins davon haben unsere Schüler ins Leben gerufen, es heißt „Wathann“, Monsun. Die Schüler organisieren auch Gesprächsrunden über Frauen im Film und andere Themen, es gibt eine Sektion „Memory“ mit alten Filmen, das ist richtig toll! Im Ausland laufen 25 Filme von uns auf 20 Festivals auf der ganzen Welt.

Wie ist die Arbeit mit den Schülern?
Unsere ersten Schüler waren anfangs sehr zurückhaltend und haben sich vor mir verneigt. Dazu muss man sagen, dass Lehrer im buddhistischen Sinne als eines von fünf Juwelen hoch verehrt werden, ebenso wie Eltern und Mönche. Dadurch, dass die Schüler über Wochen bei uns bleiben wie im Internat, ist der Unterricht sehr intensiv. Die Schüler lernen, mit uns über Filme zu diskutieren und die Worte zu finden um zu bewerten und zu kritisieren.

Ist nicht die Art, Filme zu machen, durch Ihren Unterricht europäisch geprägt?
Natürlich. Das wäre ja naiv und falsch zu behaupten, dass wir nichts hinterlassen. Wir zeigen den Schülern Kino aus der ganzen Welt, alle möglichen Formen. Wir sagen aber auch immer: Zeigt ihr es, wie ihr denkt.

Wie sind die Berufsaussichten Ihrer Schüler?
Im Moment ganz gut. Sie können zum Beispiel Filme für die UN und für Hilfsorganisationen drehen, die ihre Arbeit im Land dokumentieren wollen. Wir hatten schon Kooperationen mit der BBC und mit dem WDR, und einige Absolventen arbeiten bei TV-Sendern in Myanmar. Wir versuchen jetzt, mit denen eine Kooperation aufzubauen, um unsere Dokumentarfilme im Fernsehen zu zeigen.

Was zeigt das Fernsehen denn sonst?
Seifenopern aus Südkorea und aus Myanmar, ungefähr wie Telenovelas. Das staatliche Fernsehen soll jetzt so ähnlich organisiert werden wie das öffentlich-rechtliche in Deutschland. Und es soll ein gemeinsamer Kanal gegründet werden, mit Sendeplatz für die verschiedenen Ethnien. Es gibt Privatsender, zumindest quasi-privat, weil man immer eine Erlaubnis vom Staat braucht. Diese Sender zeigen deutlich mehr Gewalt als früher.

Und gibt es Kinos?
Na klar, früher noch mehr als heute. Es waren einmal an die 200, heute sind es um die 70. Viele Leute schauen lieber DVDs. In den Kinos laufen mittlerweile Filme aus Indien und den USA. Kino in Myanmar ist ein Erlebnis: Die Leute essen die ganze Zeit und alle unterhalten sich.

Das Gespräch führte Felix Ehring
 

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erschienen in Ausgabe 9 / 2013: Solidarität: Was Menschen verbindet
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