Fisch essen mit gutem Gewissen

In Europa bevorzugen viele Verbraucher ihr Lachs- oder Pangasiusfilet mit Umweltsiegel. Die Standards dafür setzen Umweltverbände und die Industrie gemeinsam. Doch sie tragen nur wenig dazu bei, die Fischzucht nachhaltig zu machen.

Fische, Meeresfrüchte und Algen, die weltweit auf den Tisch kommen, stammen zum immer größeren Teil aus Aquakultur; sie ist die global am schnellsten wachsende Form der Nahrungserzeugung. Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) liefert sie bereits knapp die Hälfte des gesamten Fischverzehrs, und dieser Anteil wird steigen. Nach der jüngsten Prognose der Weltbank soll er 2030 bei 61 Prozent liegen. In Europa könnten es sogar noch mehr sein.

Autor

Simon R. Bush

ist außer­ordentlicher Professor in der Environmental Policy Group an der Universität Wageningen in den Niederlanden.
Bei den europäischen Verbrauchern wächst zugleich die Sorge, ob diese Industrie sozial und ökologisch nachhaltig ist. Weil der Großteil der gezüchteten Fische und Meeresfrüchte aus Entwicklungsländern importiert wird wie aus Vietnam und Indonesien, sind globale Instrumente notwendig, wenn Forderungen der Verbraucher nach umwelt- und sozialverträglicher Produktion etwas bewirken sollen. Ein solches Instrument sind von Privaten vergebene Siegel für gute Fischzucht.

Inzwischen gibt es mehr als 30 solche Zertifizierungssysteme für Fische und Meeresfrüchte. Sie ermöglichen die Kommunikation und Regulierung über globale Lieferketten hinweg, indem sie eine Verbindung zwischen Konsumenten in Europa und den Pangasius- oder Tilapia-Züchtern in Südostasien herstellen. Als marktbeherrschend haben sich die Zertifizierungssysteme Global G.A.P., Global Aquaculture Alliance/Best Aquaculture Practices (GAA/BAP) sowie der Aquaculture Stewardship Council (ASC) erwiesen. Es ist Zeit, darüber nachzudenken, was sie tatsächlich zur Steuerung Richtung Nachhaltigkeit beitragen.

Ein Instrument, das ethischen Konsum gestattet

Die Zertifizierung gilt als Instrument, das einen ethischen Konsum gestattet. Doch der Erfolg der Zertifizierung von Aquakultur basiert mehr auf dem Engagement von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) bei Händlern in der Europäischen Union (EU) und in den USA als ihrer Ansprache gegenüber Verbrauchern.

Nach ersten Erfolgen übten NGOs wie Greenpeace weiter Druck auf Händler auf, indem sie deren Einkaufspolitik für Fisch bewerteten. Die Händler sahen ihre Marken bedroht und reagierten auf diese Kampagnen mit der Erklärung, ab 2015 nur noch Fisch aus zertifizierter, nachhaltiger Fischerei zu verkaufen – in der Regel mit dem Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) für Fisch aus Wildfang und einem GAA- oder ASC-Zertifikat für solchen aus Aquakultur. Die Zertifizierung hat es den Händlern ermöglicht, die Risiken für ihren guten Ruf auszulagern; dadurch haben sie eine Nachfrage nach nachhaltigen, zertifizierten Produkten geschaffen.

Produzenten für Zertifizierung zu gewinnen, ist schwieriger. NGOs forderten, dass angesichts der inzwischen gut belegten ökologischen und sozialen Probleme bei Arten, die im Welthandel wichtig sind wie Garnelen und Lachs, die Aquakultur besser geregelt werden müsse.

Die Zertifizierung gab ihnen ein Mittel an die Hand, eine Regelungslücke in Ländern zu schließen, die als unfähig gelten, die Ausweitung der Aquakultur wirksam zu steuern. Umgekehrt wurde die Zertifizierung auch von der Industrie unterstützt, die fürchtete, Regierungen könnten die Produktion zu stark regulieren.

Die Zertifizierung dient also beiden: den NGOs für ihre Lobbyarbeit und den Fischproduzenten und -händlern in der Steuerung ihrer Lieferketten. Und beide sehen sie als einen Mittelweg im Nachhaltigkeitsmanagement, der an die Stelle der Suche nach einem radikalen ökologischen Wandel getreten ist. Nun gilt es, dafür zu sorgen, dass der Mittelweg keinen Kompromiss in punkto Nachhaltigkeit bedeutet und dass die Zertifizierung nicht zum Ersatz für wirksame staatliche Regulierung wird.

Die Versicherungen der Händler, nur noch zertifizierte Produkte zu verkaufen, müssen im Verhältnis zum Gesamtmarkt betrachtet werden. Der MSC, der Marktführer bei der Zertifizierung von Fisch aus Wildfang, siegelt zurzeit zwölf Prozent der weltweiten Fischfänge. Global G.A.P., GAA/BAP und der ASC zertifizieren gegenwärtig ungefähr fünf Prozent der globalen Aquakultur-Erzeugnisse. Zusammen bewerten sie rund 16 Prozent oder 20,8 Millionen Tonnen der weltweiten Fischproduktion.###Seite2###

Um mit der Prognose der Weltbank von 95 Millionen Tonnen Aquakultur-Erzeugnissen im Jahr 2030 mitzuhalten, müsste die Zertifizierung um rund zwei Prozent pro Jahr ausgeweitet werden – ein machbarer Plan. Aber wenn der Anteil von zertifiziertem Zuchtfisch entsprechend der Nachfrage der Händler und in seinem Gewicht erhöht werden soll, müsste die Zertifizierung viel schneller ausgeweitet werden.

Angesichts des anhaltenden Aquakultur-Booms kann die Zertifizierung weiter eine wichtige Rolle spielen. Doch dazu muss sie nicht nur das ungeplante Wachstum der Industrie angehen, sondern auch die Veränderungen in der Landnutzung, die wirtschaftlichen Risiken sowie die Zunahme von Umweltzerstörung und sozialer Ausgrenzung, die Folgen schwacher Regulierung sind.

Mangrovengebiete an der Küste wurden zerstört

In den 1990er Jahren hatte die Hochkonjunktur für die Züchtung der schwarzen Tigergarnele in Aquakultur solche Folgen: Mangrovengebiete an der Küste wurden zerstört und in Teiche verwandelt. Zur späteren „Shrimps-Pleite“ kam es wegen Krankheiten und weil die Produktivität aufgrund von Umweltschäden zurückging und ein globales Überangebot dazu führte, dass die Preise verfielen.

Es ist wahrscheinlich, dass man bei Tilapia, Karpfen und Wels – den drei Arten, bei denen in Südostasien und China das stärkste Wachstum erwartet wird – ähnliche Schwierigkeiten bekommen wird.

Die Zertifizierung von Aquakultur steckt in einem Dilemma. Einerseits ist sie gut geeignet, die Auswirkungen der umweltschädigenden Praktiken während eines Booms zu lindern. Die Fischzucht-Systeme haben technische Fortschritte gemacht, ausgehend von Ländern wie Thailand, Taiwan und Vietnam, die in der Vergangenheit unter Umweltschäden gelitten hatten.

Zudem zeichnet sich wachsende Übereinstimmung über die Probleme ab. In den „Aquakultur-Dialogen“ unter Führung des WWF, in denen die Standards für das ASC-Siegel ausgearbeitet werden, haben mehr als 2000 Vertreter der verschiedenen Interessensgruppen ihre Anregungen eingebracht.

Andererseits müssen aber weitere Hürden überwunden werden, wenn die Zertifizierung Einfluss auf die langfristige Nachhaltigkeit von Aquakultur haben soll. Die erste betrifft den Einbezug von Kleinerzeugern. Wissenschaftliche Studien haben nachgewiesen, dass nichtstaatliche Regulierung enge Grenzen beim Einbezug von Kleinbetrieben hat, von denen es laut der FAO mehr als 50 Millionen in der Zuchtfisch-Branche gibt.

Nach außen hin hat die Inklusivität des vom WWF geführten Dialogs ihm die Glaubwürdigkeit verliehen, private Standards zu setzen. Aber dann kamen Zweifel daran auf, wie inklusiv und repräsentativ diese Plattformen wirklich waren. Den Tilapia-Dialog etwa hat die Industrie an sich gerissen; und bei den Gesprächen über die Pangasius-Zucht wurden Kleinbetriebe an den Rand gedrängt.

In beiden Fällen wurden Standards entwickelt, die eher für die Fischzucht in großem Stil relevant sind als für Kleinbetriebe. Und die Festlegung von Standards für Lachs und Shrimps verzögerte sich, weil eine stärkere Einbindung von zivilgesellschaftlichen Gruppen, die unter anderem Interessen der Kleinerzeuger vertreten, Konflikte hervorrief.###Seite3###

Nicht nur beim Setzen, sondern auch beim Durchsetzen von Standards ist es schwierig, Kleinproduzenten zu beteiligen. Sie müssen hohe Hürden überwinden, um zertifiziert zu werden. Die Kosten sind hoch, sie sind oft nicht in der Lage, den Berichtspflichten nachzukommen, und sie haben nicht die wirtschaftlichen Vorteile einer Massenproduktion.

Im Sinne der Umwelt mag es hilfreich sein, Großproduzenten einzubinden: So können wenige Firmen mehr Kapital investieren, um ihre Produktion zu modernisieren. Doch Kleinbetriebe von Anfang an außen vor zu lassen, gefährdet die soziale Nachhaltigkeit in den Küstengebieten und eine inklusive wirtschaftliche Entwicklung. In Sektoren wie Shrimps- und Tilapia-Zucht in Vietnam, in denen Kleinbetriebe eine große Rolle spielen, muss man sie einbinden, wenn die Zertifizierung die Nachhaltigkeit wirklich verbessern soll.

Standards müssen auch auf Kleinproduzenten anwendbar sein

Die wichtigsten Organisationen zur Zertifizierung haben deshalb spezielle Programme entwickelt, die Zusammenschlüsse von Farmern zum Ziel haben. Sie mögen langfristig erfolgreich sein. Doch wenn Standards in erster Linie für die industrielle Massenproduktion entwickelt werden, wird es immer schwierig bleiben, sie auch auf Kleinproduzenten anzuwenden. Das zeigt sich auch in anderen Lebensmittelbranchen.

Eine zweite Hürde ist, dass die Zertifizierung das Erreichen allgemeiner ökologischer Ziele nur begrenzt beeinflusst. Denn sie konzentriert sich auf die Auswirkungen einzelner Fischfarmen, nicht darauf, welche Folgen es für die Umgebung oder für bäuerliche Gemeinschaften hat, wenn sich an einem Standort gleich mehrere Farmen befinden. Die Regulierung auf der Ebene des Einzelbetriebs beschränkt sich auf Futter und Jungfische sowie Schlamm- und Wassermanagement.

Zwar verbessern diese Standards die Bedingungen, unter denen Aquakultur-Arten gezüchtet werden, aber sie tragen nicht per se zur Nachhaltigkeit insgesamt bei. Tatsächlich vermeiden die Aquakultur-Standards den Begriff „nachhaltig“ und verwenden die Bezeichnungen „bessere“ und „verantwortliche“ Produktion.

Auch die mit der Aquakultur verbundenen sozialen Probleme betreffen nicht nur die Farmen, sondern auch ihre Umgebung. Das zeigen die Konflikte um die Shrimps-Zucht in den 1990er Jahren, als Shrimps-Farmen die Existenzgrundlage benachbarter Gemeinschaften zerstörten. Nachhaltig kann eine Aquakultur nur produzieren, wenn die landwirtschaftlichen Ökosysteme der umgebenden Fluss- und Küstengebiete, in die sie integriert ist, insgesamt Regeln unterworfen wird. Führende Wissenschaftler und Institutionen wie die Weltbank schenken dem regionalen Aquakultur-Management in jüngster Zeit mehr Aufmerksamkeit.###Seite4###

Ein drittes Problem: Zertifizierung als private Form der Regulierung setzt eine Nachfrage auf dem Markt voraus. Nur ein begrenzter Teil des Zuchtfisches kann zertifiziert werden, denn  die Nachfrage nach Fisch mit Siegel beschränkt sich zurzeit auf die USA und die EU. Die meisten Fische und Meeresfrüchte werden jedoch auf anderen Märkten, vor allem in China, gehandelt.

Die Grenzen der Zertifizierung von Aquakultur liegen in der Geografie von Angebot und Nachfrage. Unsere Berechnungen haben ein beträchtliches Zertifizierungspotenzial ergeben: 13 Arten, für die es zurzeit Standards gibt, machen 41,6 Prozent der weltweiten Aquakultur-Produktion aus. Berücksichtigt man, dass sich die Standards auf weitere Arten anwenden lassen, kann der möglicherweise zu zertifizierende Anteil bis zu 73,5 Prozent betragen.

Doch dafür müsste eine Nachfrage bestehen – und das ist in großen Verbraucherländern wie China nicht der Fall. Deshalb schätzen wir, dass das Zertifizierungspotenzial tatsächlich nur 14 Prozent der globalen Produktion beträgt.

Wie aufgeschlossen ist der asiatische Fischmarkt?

Zwar wird die Nachfrage nach Fischen und Meeresfrüchten aus nachhaltiger Aquakultur zweifellos steigen. Doch für welche Arten? In die EU und die USA werden vor allem Garnelen, Pangasien und Tilapien exportiert. Sie machen nur elf Prozent der weltweiten Produktion aus. Die Vorlieben in China und in Südostasien sind vielfältiger und schließen eine Reihe von Süßwasserfischen wie Karpfen sowie Muscheln und Algen ein. Um die langfristigen Auswirkungen der Zertifizierung zu ermessen, muss man nicht nur die Produktionsbedingungen für diese Arten näher betrachten. Man muss auch die Frage klären, wie aufgeschlossen der Fischmarkt in Asien für eine private Regulierung der Nachhaltigkeit ist.

All das bedeutet, dass die Zertifizierung nur als eine von mehreren Strategien gesehen werden darf, eine nachhaltige Produktion zu fördern. Die Annahme, die Länder im globalen Süden seien nicht bereit oder nicht fähig, die Aquakultur zu regulieren, trifft längst nicht mehr überall zu. Viele von ihnen haben Erfahrung mit internationalen Vorschriften zur Sicherheit von Lebensmitteln und zählen zu den wichtigsten Inlandsmärkten für Aquakultur-Erzeugnisse weltweit.

Damit die Nachhaltigkeitszertifizierung wirklich Einfluss auf die Produktionsmethoden gewinnt, muss sie auf den asiatischen Märkten mit dem höchsten Fischkonsum in größerem Umfang eingeführt werden. Die Zertifizierung durch Dritte, die in Europa erfolgreich eingesetzt wird, weil die Staaten die Regulierung an den Privatsektor ausgelagert haben, muss den dortigen sozialen und politischen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Ob das möglich ist, ist offen. NGOs und die Industrie müssen darüber nachdenken, wie ihre Investition in die Zertifizierung die Nachhaltigkeitsprogramme nationaler Regierungen ergänzen kann, statt sie zu ersetzen. Die Fischzucht umweltgerechter zu machen, kann nur mit neuen Mischformen des Umweltmanagements erreicht werden. Sie dürfen die Zertifizierung nicht überbetonen und müssen die vereinte Kraft von Staaten und Industrie nutzen, um langfristige Strategien zu entwickeln. Angesichts des erwarteten Wachstums der Aquakultur bis 2030 sind solche Innovationen eher früher als später gefordert.

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2014: Durchlass hier, Mauer dort
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