Segen fürs Geschäft

Werden Christen schneller reich als Muslime? Helfen religiöse Überzeugungen, den Wohlstand gerechter zu verteilen? Nicht unbedingt. Aber eins ist sicher: Religionen können eine gute Grundlage für die Wirtschaft schaffen – Vertrauen.

Entwicklungsminister Gerd Müller hat im Frühjahr eine neue Arbeitsgruppe ins Leben gerufen: die „Task Force ‚Werte, Religion und Entwicklung‘“. Sie soll sich alle zwei Monate treffen und der Frage nachgehen, welches Potenzial die Religion für globale nachhaltige Entwicklung birgt und wie es genutzt werden kann. Wie können staatliche Entwicklungszusammenarbeit und Religionsgemeinschaften stärker zusammenarbeiten und wo liegen die Grenzen einer solchen Kooperation? „Religion kann Brücken bauen und Menschen motivieren, sich für andere und die Umwelt einzusetzen“, sagt Minister Müller.

Kann sie, muss sie aber nicht, „die Religion“. Gelegentlich motiviert sie genau zum Gegenteil. Unterschiedliche Glaubensüberzeugungen lassen sich nicht ohne Weiteres zur Ressource erklären, weder für ein übergeordnetes Ziel Mitmenschlichkeit noch für den Umweltschutz. Auch nicht für eine gerechtere Ökonomie. Ganz abgesehen davon, dass es „die Religion“ nicht gibt. Trotzdem ist in den vergangenen Jahrzehnten das Interesse gewachsen, die Glut des Glaubens auf ihr Problemlösungspotenzial für globale Aufgaben abzuklopfen – oder zumindest die Netzwerke der Glaubensgemeinschaften dafür zu nutzen. Da installiert das Weltwirtschaftsforum in Davos ein „Global Agenda Council on the Role of Faith“, die Vereinten Nationen stärken die Zusammenarbeit mit den „faith-based organizations“ und die Weltbank lädt Vertreter der Weltreligionen ein, mit ihr über die Bekämpfung der Armut zu diskutieren.

Autor

Axel Reimann

ist freier Journalist in Hamburg und beschäftigt sich unter anderem mit wirtschaftsethischen und weltanschaulichen Themen.
Selbstverständlich halten die säkularen Institutionen dabei strenge Äquidistanz zu allen Glaubensrichtungen – allein der Verdacht, man finde die eine oder andere Religion besser geeignet, um die globale Wohlfahrt zu steigern, wäre tödlich. Ein Weltbankpräsident darf zwar Max Webers Analyse der protestantischen Ethik im Kapitalismus loben, aber er muss sofort hinterherschicken, dass es gefährlich sei, zu sehr zu verallgemeinern. "Verschiedene Religionen führen je nach Umständen zu ganz unterschiedlichen wirtschaftlich erfolgreichen Ergebnissen“, merkt  Weltbankpräsident Jim Yong Kim im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an. Das ist zwar richtig (und weise), aber etwa so hilfreich wie die Aussage, dass aus verschiedenen Zutaten je nach Zubereitungsart ganz unterschiedlich schmeckende Speisen entstehen können.

Interessanter wäre die Antwort auf die Frage, ob eine bestimmte Glaubensrichtung die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Anhänger eher behindert oder begünstigt; ob eine Religion besser geeignet ist als andere, die Armut zu bekämpfen, den Wohlstand zu mehren, die Welt gerechter zu machen. Es müsste zumindest möglich sein, die eine oder andere religiöse Lebensäußerung auf ihre ökonomischen Ergebnisse hin zu bewerten. Entsprechende Versuche gibt und gab es genug. Schon Adam Smith, der Vater der klassischen Wirtschaftswissenschaft, hat im 18. Jahrhundert darüber nachgedacht, wie Religionen in einem Gemeinwesen am sinnvollsten organisiert sein sollten, um die Wohlfahrt zu steigern. Und seit Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts das moderne Wirtschaftsgebaren sezierte und dort vor allem auf die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus stieß, werden ökonomisch vorteilhafte Eigenschaften wie Arbeitseifer, methodische Lebensführung, Sparsamkeit oder die Anhäufung von Kapital auf ihre spezifisch religiösen Quellen hin untersucht.

Meist sind das Versuche, mit Hilfe der Religionssoziologie und der Wirtschaftsgeschichte den Entwicklungssprung, oder -vorsprung, Europas in den vergangenen Jahrhunderten zu verstehen und damit die Voraussetzungen für den modernen Kapitalismus. „Allein den abendländischen Völkern ist es gelungen, einen Wirtschaftsstil von unvergleichlicher Kraft zu schaffen“, konstatiert der Ökonom Alfred Müller-Armack, der Erfinder der Sozialen Marktwirtschaft, in seiner Genealogie der Wirtschaftsstile Mitte des 20. Jahrhunderts und dekliniert dann jene politischen, geistesgeschichtlichen und vor allem religiösen Voraussetzungen durch, die dieses Wunder seit dem Mittelalter ermöglicht haben.

Kann man die Nützlichkeit von Religion bewerten?

Ein Blick auf fremde Kulturen, „welche die Arbeit Arbeit sein ließen, ohne ihr einen tieferen religiösen Sinn zu geben“, zeige, „dass wir es hier mit einer europäischen Besonderheit zu tun haben“, schreibt er. „Den Weg zur religiösen Energisierung der Arbeit haben nur die europäischen Völker gefunden.“ Inzwischen sind noch ein paar Völker hinzugekommen, die diesen Weg beschreiten. Aber der Verdacht ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass besonders das abendländische Christentum in der Vergangenheit für wirtschaftliche Entwicklungen sehr hilfreich war.

Anderen Weltreligionen mit Ausnahme des Judentums wird dagegen in der Regel oft unterstellt, dass sie die ökonomische Dynamik ihrer Gläubigen eher gebremst als gefördert hätten: wegen ihrer Abkehr von der Welt beispielsweise, ihres Ritualismus oder eines zyklischen Zeitverständnisses (in den asiatischen Religionen zum Beispiel). Oder weil sie das Individuum geringschätzten oder auch, weil die jeweilige Glaubensgemeinschaft insgesamt antirational ausgerichtet sei.

Selbst die von der „Händlerreligion“ des Islam geprägten Weltteile entwickelten sich nach dem 13. Jahrhundert ökonomisch nicht mehr weiter, obwohl sie vorher wirtschaftlich erfolgreicher waren als das christliche Abendland. Oft wird als Begründung dafür das Festhalten am Zinsverbot genannt, das sowohl Christen als auch Juden aufgegeben haben. Andere vermuten, dass im Islam die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion irgendwann steckengeblieben ist, die Aufklärung im Islam ausgefallen sei und deshalb islamisch geprägte Regionen hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben sind. Umgekehrt sehen sich viele derart Gescholtene als Opfer des westlichen Kolonialismus.

Nur: Was sagen solche historischen Erklärungsversuche darüber aus, welchen Einfluss eine Religion gegenwärtig auf die wirtschaftliche Entwicklung hat oder künftig haben wird? Natürlich wirken religiöse Traditionen fort, aber sind ihre gegenwärtigen Erscheinungsformen noch ebenso ökonomisch wirkmächtig? Und was ist überhaupt der Maßstab, um die Nützlichkeit der Religionen zu bewerten? Das Wirtschaftswachstum? Der materielle Wohlstand des Einzelnen? Der Erhalt der Naturressourcen? Die Bekämpfung der Armut? Die Freiheit der Individuen?###Seite2###

Die Verbindung zwischen Religion und Ökonomie ist inzwischen doppelt fragwürdig geworden. Erstens haben sich die Religionen genauso dramatisch verändert wie die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen die Gläubigen heute ihr Leben gestalten. Da feiert der Ministerpräsident Indiens, ein frommer Hindu, die erfolgreiche Marsmission und sagt, sein Land werde „noch mehr Herausforderungen“ suchen. Da macht der strenge Muslim dank Scharia-konformem Banking auch ohne Kreditzinsen einen hervorragenden Schnitt und akkumuliert Kapital. Und der Calvinist – wenn es ihn denn überhaupt noch irgendwo in Reinform gibt – wird von niemandem mehr zur „Energisierung“ der Erwerbsarbeit gebraucht und schon gar nicht, um der Welt beizubringen, dass Zeitvergeudung die schlimmste Sünde ist.  

Zweitens streiten sich die Experten, was als Steigerung der Wohlfahrt angesehen werden kann. Nicht nur der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen sagt, dass es schlicht unangemessen sei, einzig die Maximierung von Einkommen und Reichtum zum grundlegenden Ziel von gesellschaftlicher Entwicklung zu machen. Ungebremstes Wirtschaftswachstum ist für viele – gerade im „christlichen Abendland“ – angesichts der damit verbundenen ökologischen Schäden kein erstrebenswertes Ziel mehr. Auf der anderen Seite stehen die Wünsche und Hoffnungen all jener Menschen, die materiell noch aufholen wollen und ungern gerade jetzt mit dem Konsumverzicht beginnen würden.    

Womit der Ball wieder im Spielfeld der Religionen landet, zu deren ureigenen Aufgaben die Produktion von letzten Begründungen und ethischen Prinzipien gehört. Aber auch die können mehrdeutig ausfallen. „Sich die Erde untertan machen“ oder „Schätze im Himmel sammeln“ ist interpretationsbedürftig; damit hängt die Bedeutung von der Zeit ab. Genauso wie es nicht ganz unwichtig ist, zu welcher Art von Dschihad gerade in der Moschee aufgerufen wird. Selbst so klare Ansagen wie die aus der Bibel, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr passe als ein Reicher in den Himmel komme, haben nicht verhindern können, dass ausgerechnet das Christentum dem Kapitalismus den Weg gebahnt hat.

Die Kirche verhält sich oft ambivalent

Die sozialen Prinzipien des Christentums haben jetzt achtzehnhundert Jahre Zeit gehabt, sich zu entwickeln“, ätzte einst Karl Marx, der bekanntermaßen in der Religion ein Problem und nicht eine Lösung auf dem Weg zu einer gerechteren Ökonomie sah. „Die sozialen Prinzipien des Christentums haben die antike Sklaverei gerechtfertigt, die mittelalterliche Leibeigenschaft verherrlicht und verstehen sich ebenfalls im Notfall dazu, die Unterdrückung des Proletariats, wenn auch mit etwas jämmerlicher Miene, zu verteidigen.“ Und nicht weniger ambivalent fällt die Bilanz anderer Religionen aus. Doch andererseits handeln Menschen gerade aus religiöser Überzeugung heraus oft selbstlos, setzen sich für andere ein und akzeptieren, dass es Wichtigeres geben kann als den eigenen Konsum. Das wird dringend gebraucht in einer Welt mit über 7,2 Milliarden Menschen und immer knapper werdenden Ressourcen.

Ist eine gerechtere Ökonomie also eher mit den Religionen erreichbar – oder eher trotz ihres Fortbestands? Auch hier fällt die Antwort ambivalent aus: Wenn Papst Franziskus die Stimme gegen die ungleiche Verteilung des Reichtums erhebt und auf die Schattenseiten unseres ökonomischen Systems hinweist („Diese Wirtschaft tötet“), mag das die einen ermutigen, die anderen ärgern.Ändern an der Armut auf der Welt würde es hingegen etwas, wenn er das katholische Verhütungsverbot lockerte. Genauso gilt: Wenn animistische Heiler in Afrika ihre Besucher daran erinnern, im Einklang mit der Natur zu leben, sollte man ihnen auch im aufgeklärten Westen zuhören. Warnen würden dagegen die meisten, wenn ein Heiler Krankheiten wie Ebola mit Ziegeninnereien behandeln will.

Wer die Nützlichkeit der Religionen misst, offenbart also vor allem seine eigenen Glaubensüberzeugungen und Werte – und stellt diese im Zweifel über seine Untersuchungsobjekte. Das wird gerne vergessen, auch bei den wissenschaftlichen Studien, die seit einigen Jahren den Zusammenhang von Religion und Wirtschaft mit statistischen Hilfsmitteln zu erhellen suchen.

Ein prominentes Beispiel sind die Forschungsergebnisse von Robert Barro und Rachel McCleary von der Universität Harvard. Sie haben unter anderem herausgefunden, dass es eine positive Korrelation gibt zwischen Wirtschaftswachstum und einem starken Glauben an die Hölle. Andererseits ist der häufige Besuch von Gottesdiensten oder ähnlichen Versammlungen negativ mit dem Wirtschaftswachstum korreliert. Die Interpretation der Forscher: Der Glaube, insbesondere in seiner eher düsteren Ausprägung, hilft, weil er zu Ehrlichkeit, Arbeitsethik und Sparsamkeit motiviert und die Menschen produktiver macht. Versammlungen der Gläubigen dagegen sind Ressourcenverschwendung und im schlimmsten Fall wachstumsfeindlich, weil organisierte Religionen gelegentlich auf die Idee kommen, eine stärkere Marktregulierung zu fordern, zum Beispiel Restriktionen für Finanzprodukte.

Eine statistische Korrelation – das heißt eine Beziehung zwischen zwei Beobachtungsmerkmalen – belegt aber noch keine Kausalität; vielleicht treiben Wirtschaftskrisen die Menschen in die Kirchen oder die Schattenseiten des Wirtschaftswachstums lassen sie häufiger an die Hölle glauben.

Abgesehen davon zeigt dieses Beispiel, dass es schwer ist, einen neutralen Beobachtungsstandpunkt einzunehmen. Zu eng sind Religion und Ökonomie miteinander verwoben, zu stark die ideologischen Brillen. Der heute 70-jährige Robert Barro gehört seit Jahrzehnten zu jenen neoklassischen Ökonomen, für die der Markt göttliche Qualitäten hat und Staatsausgaben vom Teufel sind. Für sie sind Religionen nur ein weiteres Anwendungsgebiet für die überlegene Marktrationalität oder eine Variable in einem ökonomischen Wachstumsmodell.

Unbestritten ist, dass Religionen einen wertvollen Grundstoff für jede wirtschaftliche Tätigkeit produzieren können: Vertrauen. Die Gebote und Tabus der Religionen, ihre gemeinsamen Werte und Normen erleichtern Geschäfte und Vertragsbeziehungen. Sie sichern das Eigentum des Einzelnen wie der Gemeinschaft, sie stabilisieren die Gesellschaft und das Leben der Individuen. Wer aber versucht, sie als Mittel für andere Zwecke einzusetzen, hat nichts von ihrem Wesen verstanden.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2014: Der Glaube und das Geld
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