„Das sind Riesenhebel, die wir da haben“

Die Rewe-Gruppe ist nach Edeka der zweitgrößte Lebensmittelhändler in Deutschland, in Österreich ist sie sogar Marktführerin. Zu dem Konzern gehören neben den Rewe-Märkten unter anderem die Penny-Discounter sowie Toom und Nahkauf, in Österreich die Billa-Märkte. Das Unternehmen gilt als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit. Ludger Breloh, der für den Einkauf verantwortlich ist, erklärt, was hinter dem Siegel „Pro Planet“ steckt und warum ein grünes und faires Image gut fürs Geschäft ist.

Herr Breloh, bei meinem Biometzger ist das Biofleisch viel teurer als bei Rewe. Warum?

Ludger Breloh: Biofleisch ist im Vergleich zu anderen Produkten relativ teuer. Der Preisunterschied zu konventionellem Fleisch ist viel größer als der zwischen einer Biokartoffel und einer konventionellen Kartoffel. Die Nutztierhaltung im Ökobereich verlangt teure Zusatz­elemente: andere Haltungsbedingungen, ökologisches Futter, oft werden auch genetisch andere Tiere eingesetzt. Bei Obst, Gemüse, Milch und Molkereiprodukten haben Bioprodukte im deutschen Lebensmittelhandel bereits einen Umsatzanteil von bis zu 15 Prozent. Beim Fleisch ist das aufgrund des hohen Preises derzeit nur ein Prozent. Trotzdem bieten wir Biofleisch in allen Läden an, also nicht nur dort, wo wir aufgrund des sozialen Umfelds relativ hohe Nachfrage haben. Damit das funktioniert, müssen wir mit Mischkalkulationen arbeiten. Der Biometzger kann das nicht so machen. Das erklärt vielleicht, dass das Fleisch dort zum Teil mehr kostet als bei uns.

Ich kann mich also darauf verlassen, dass bei Ihnen Biofleisch drin ist, wenn es draufsteht?

Ja. Wir verkaufen unsere Bioprodukte unter einer Eigenmarke, und es gäbe für uns nichts Schlimmeres als einen Skandal bei einer Eigenmarke. Die Qualitätssicherung ist uns sehr wichtig. Unser Biofleisch entspricht nicht nur den Mindeststandards der EG-Ökoverordnung, sondern erfüllt den höheren Naturland-Standard.

Sie verkaufen Geflügelfleisch auch mit Ihrem eigenen Nachhaltigkeitslabel „Pro Planet“. Wie unterscheidet sich das von Biofleisch?

„Pro Planet“-Produkte werden konventionell hergestellt, sie sind nicht bio. Wir lassen unabhängige Institute den Herstellungsprozess einzelner Produkte analysieren, um herauszufinden, wo gravierende soziale oder ökologische Missstände liegen. Bei der Geflügelproduktion haben wir zwei solcher Hotspots gefunden: zum einen die Art der Haltung und das Tierwohl, zum anderen das aus Übersee importierte und unter problematischen ökologischen Bedingungen produzierte Eiweißfutter, oft hergestellt aus gentechnisch veränderten Sojabohnen.

Das heißt, das „Pro Planet“-Fleisch stammt von Hühnern, die im Stall mehr Platz hatten als in anderen Betrieben und die kein Soja aus dem Ausland bekommen?

Im Prinzip ja. Wir haben 2013 mit der Vorgabe angefangen, dass nur noch 20 Prozent gentechnikfreies Soja aus Übersee verfüttert werden dürfen; vor der Einführung des Labels waren es 25 Prozent. Seit Anfang 2015 dürfen es nur noch 12,5 Prozent sein. Wir rechnen damit, dass wir in drei bis fünf Jahren auf Soja aus Übersee komplett verzichten können.

Warum haben Sie mit „Pro Planet“ ein eigenes Nachhaltigkeitssiegel eingeführt? Es gibt doch bereits etliche Siegel.

Aber die beziehen sich entweder auf einen bestimmten Aspekt von Nachhaltigkeit – soziale Aspekte bei Fairtrade – oder auf bestimmte Warengruppen, wie das MSC-Siegel für Fisch. Wir wollen nachhaltig hergestellte Sortimente für die Kunden sichtbar machen, so dass sie bewusster einkaufen können. Die Idee war, eine Art Metakennzeichnung zu machen. Der Kunde, der ein „Pro Planet“-Produkt kauft, soll sicher sein können, dass wir die wesentlichen Missstände bei der Herstellung in irgendeiner Form angehen oder lösen. Die Hotspots beim Geflügel habe ich genannt, beim Apfel sind es ganz andere, etwa der Verlust von Artenvielfalt als Folge des Plantagenanbaus. Beim „Pro Planet“-Kakao ist der wichtigste Hotspot die Kinderarbeit bei der Kakaoernte. Wobei es uns vor allem um die Ursachen von Kinderarbeit geht, also um die Armut und den Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten.

Wie kommt „Pro Planet“ an beim Verbraucher?

Nehmen wir das Beispiel Hähnchen: Seit 2013 haben wir unser gesamtes Angebot von konventionellem Fleisch auf „Pro Planet“ umgestellt. Zugleich haben wir den Umsatz mit Hähnchen signifikant gesteigert. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das mit der Umstellung auf „Pro Planet“ zu tun hat oder ob die Leute einfach mehr Hähnchen essen. Es ist nicht so einfach zu quantifizieren, wie „Pro Planet“ auf die Konsumenten wirkt. Viel wichtiger finde ich indes, dass wir mit dem Label bei Verbraucherschützern, NGOs, aber auch bei Politikern und Wettbewerbern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Wenn wir bei „Pro Planet“ etwas tun, dann machen die Wettbewerber mit einer gewissen Verzögerung etwas Ähnliches nach. Das zeigt, dass wir damit nicht ganz verkehrt liegen. Natürlich sind wir auch an den Wettbewerbsvorteilen interessiert.

An „Pro Planet“-Geflügelfleisch wurde kritisiert, dass Sie die sogenannte Massenbilanzierung anwenden, also konventionelles mit gelabeltem Fleisch vermischen.

Das hat logistische Gründe. Derzeit können wir garantieren, dass 85 bis 90 Prozent der Packungen mit „Pro Planet“-Logo auch entsprechend hergestelltes Fleisch enthalten. In Deutschland werden gut 600 Millionen Hähnchen im Jahr gemästet. Mit „Pro Planet“ haben wir dazu beigetragen, dass 40 Millionen von ihnen auf eine geringere Besatzdichte umgestellt wurden, also mehr Platz haben. Das sind mehr, als wir rechnerisch übers Jahr brauchen, um die Nachfrage unserer Kunden zu befriedigen.

Warum schaffen Sie dann keine 100 Prozent?

Weil die Nachfrage bei Fleisch sehr stark und spontan schwankt. Wenn am ersten schönen Frühlingswochenende alle Leute ihre Grills aus dem Keller holen und Geflügelspieße grillen wollen, geht Ihnen die Nachfrage durch die Decke. Es ist unglaublich schwer, eine Hähnchenmast so zu steuern, dass sie genau an diesem Wochenende aus den eigenen Ställen ausreichend Tiere kriegen. Deshalb wird Massenbilanz gemacht. Ich bin ein Freund der Massenbilanz, aber nur, wenn man sie als Übergangslösung betreibt. Das Ziel muss die Trennung von konventionellem und „Pro Planet“-Fleisch sein. Für eine hundertprozentige Garantie müssten wir gut 65 Millionen Tiere auf „Pro Planet“-Bedingungen umstellen. Das ist möglich, kostet aber natürlich noch mehr Geld.

Warum ist die Rewe-Gruppe so interessiert an einer nachhaltigen Produktion?

Solche Paradigmenwechsel haben oft mit Personen auf wichtigen Positionen zu tun. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt 2006 startete unser Vorstandsvorsitzender Alain Caparros eine Diskussion, ob es nicht klug wäre, die Rewe-Group als das nachhaltigste Handelsunternehmen in Deutschland zu positionieren – auch vor dem Hintergrund, dass das langfristig gut für die Kundenbindung wäre. Hinzu kommt, dass in Deutschland der Wettbewerb im Lebensmittelbereich sehr stark über den Preis ausgetragen wird. Das hat bei den Verbrauchern die Mentalität befördert, dass Nahrung möglichst billig sein muss, zur Not auf Kosten der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit. Dagegen arbeiten wir mit unserem Engagement für Nachhaltigkeit.

Wie können Sie als Handelskonzern dazu beitragen, dass sich die Produktionsbedingungen für Ihre Waren verbessern, etwa für Kakao?

Wir haben mehr als hundert Eigenmarkenartikel mit Kakao, von der Tafel Schokolade bis zum Stracciatella-Joghurt. Unsere Lieferanten sind dazu verpflichtet, ihre Lieferkette zertifizieren zu lassen. Derzeit stammen bereits 86 Prozent des Kakaos in unseren Eigenmarkenartikeln aus zertifiziertem Anbau. Die drei von uns akzeptierten Siegel sind UTZ, Fairtrade und Rainforest Alliance. Ich gehe davon aus, dass wir bis Ende dieses Jahres zu 100 Prozent umgestellt haben.

Das Entwicklungsministerium hat ein Textilbündnis gestartet mit dem Ziel, die Textilproduktion nachhaltiger zu gestalten. Viele Unternehmen wollen nicht mitmachen, weil sie sagen, es sei nicht machbar, die gesamte Lieferkette zu kontrollieren. Stimmt das?

Bei Textilien ist die Lieferkette viel länger und komplizierter als etwa bei kakaohaltigen Lebensmitteln. Es gibt viel mehr Hotspots: vom Baumwollanbau über die Herstellung und das Färben von Stoffen bis hin zur Verarbeitung. Es ist schwierig, von einem Hersteller zu erwarten, dass er diese gesamte Lieferkette nachhaltig gestaltet. Das werden Sie so schnell nicht schaffen. Deshalb konzentrieren wir uns zunächst auf die Probleme, die mit der Verwendung giftiger Chemikalien zu tun haben. Wir wollen etwa verhindern, dass Chemikalien unsachgemäß entsorgt werden oder dass Arbeiter ungeschützt damit hantieren.

Braucht es gesetzliche Regelungen, um die Wirtschaft umwelt- und sozialverträglicher zu gestalten? Oder genügen freiwillige Initiativen der Unternehmen?

Es gibt drei wichtige Kräfte, die nachhaltige Produktion voranbringen: Erstens ist da der Verbraucher, der mit seinen Kaufentscheidungen wichtige Impulse gibt, was getan und was gelassen werden soll. Zweitens braucht es einen ordnungspolitischen Rahmen. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, alles muss freiwillig passieren. Viele nachhaltige Entwicklungen sind nur dann möglich, wenn die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Und drittens muss jedes Unternehmen anerkennen, dass es eine gesellschaftliche Verantwortung hat. Für die Rewe-Group war es wichtig, als großes Unternehmen diese Verantwortung zu übernehmen und in unseren Lieferketten die Dinge besser zu gestalten. Das sind ja Riesenhebel, die wir da haben. Zudem schaffen wir damit möglicherweise ein Image, das zu einer stabilen Kundenbindung beiträgt und uns als prosperierendes Unternehmen mit über 300.000 Angestellten erhält.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2015: Unternehmen: Fair bringt mehr
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