Reden gegen die Angst

Zum Thema
Hilfe für Aktivisten
Wer sich für Menschenrechte einsetzt, achtet oft zu wenig auf die eigene psychische Gesundheit. Die Psychologinnen Vilma Duque (Guatemala) und Clemencia Correa (Mexiko) erklären, wie wichtig die Hilfe für Helfer ist – und wie sie sich selbst entlasten.

Sie beraten Menschenrechtsaktivisten, wie sie ihre Arbeit reflektieren und verbessern können. Wie und warum tun Sie das?

Vilma Duque: Wir begleiten Organisationen mit Supervision für Teams und für einzelne Mitarbeiter. Damit werden sie angeleitet, über sich nachzudenken. Wir besprechen die emotionale Dynamik von Konflikten und den Verschleiß durch die Arbeit, das sogenannte „Burnout Syndrom“. Ohne eine solche Reflexion kommt es gerade unter schwierigen Arbeitsumständen immer wieder zu Problemen, die das Team in seiner Arbeit lahmlegen können. Ziel ist es, dass die Organisationen eine Politik der Fürsorge für ihre Mitarbeiter und Teams entwickeln. Damit tragen wir dazu bei, die Auswirkungen der Gewalt auf diese Menschen abzufedern, die ihre Arbeit mit sich bringt.

Wird das in der Menschenrechtsarbeit vernachlässigt?

Vilma Duque: Ja, sehr häufig sogar. Wir haben Menschenrechtlerinnen gesehen, die zusammengebrochen oder krank geworden sind. Früher war es üblich, sich ganz einer Sache hinzugeben, bis zur totalen Erschöpfung. Das ändert sich erst langsam. Es wächst das Bedürfnis, über die eigenen Probleme zu reden. Denn sie haben gemerkt, dass sie dabei kaputt gehen. Viele Aktivisten sind selbst Gewaltopfer und es besteht die Gefahr, dass sie durch ihr Engagement mit diesen Erlebnissen wieder in Kontakt kommen. In Guatemala hat fast jeder unter der Militärdiktatur und dem Bürgerkrieg gelitten. Es ist einfach unmöglich, in einem gewalttätigen Umfeld gesund zu bleiben.

Frau Correa, arbeiten Sie in Mexiko ähnlich oder sind die Bedingungen anders als in Guatemala?

Clemencia Correa: Es gibt große Gemeinsamkeiten. Der Alltag ist stark von politischer Gewalt geprägt. Die ökonomischen Interessen von Staat und Unternehmen an Land und Ressourcen, etwa für Bergbau- oder Staudammprojekte, erzeugen gewaltsame Konflikte mit den lokalen Gemeinden. Der Drogenhandel unterwandert die staatlichen Strukturen, hinzu kommen Korruption und Straflosigkeit. Wir arbeiten mit Opfern von Repressionen, die sich organisiert haben, etwa Familien von Verschwundenen, mit Menschenrechtsverteidigern sowie mit Gemeinschaften, die von Vertreibung bedroht sind.

Was tun Sie konkret?

Clemencia Correa: Wir versuchen zunächst den Bedarf an Unterstützung zu verstehen und erstellen dann einen gemeinsamen Fahrplan für die Arbeit. Ein Beispiel: In das Büro einer Organisation wurde eingebrochen. Computer und Dokumente wurden gestohlen und Morddrohungen an den Wänden hinterlassen. Wir stellen nach, was das bei den Einzelnen und beim Team ausgelöst hat und wie sie damit am besten umgehen können, also mit Konflikten, mit Angst und Wut. Mit Hilfe von Gesprächen und Zeichnungen sollen sie das Risiko identifizieren, mit dem sie leben müssen, und nach Formen suchen, es so klein wie möglich zu halten. Gemeinsam erarbeiten wir nötige Sicherheitsmaßnahmen. Ziel ist es, das Bewusstsein für Sicherheit und mentale Gesundheit in ihre Arbeit zu integrieren.

Sie behandeln zum Teil sehr persönliche Themen. Wie hoch ist die Bereitschaft der Leute, sich darauf einzulassen?

Clemencia Correa: Menschenrechtsorganisationen leben mit einer ständigen Bedrohung – Telefonterror, Überwachung. Meist kommen sie zu uns, wenn etwas noch Schlimmeres passiert ist – einer ihrer Landwirtschaftsberater wurde ermordet oder ihr Büro mit Hassparolen beschmiert. Es hilft ihnen, sich zu öffnen, wenn sie verstehen, wer Gewalt gegen sie ausübt und warum. Und dass es nicht nur den Einzelnen betrifft, sondern die ganze Gesellschaft. Es ist auch wichtig zu durchschauen, welchen Schaden die Straflosigkeit anrichtet, wenn sie zu Resignation und zu Hilflosigkeit führt.

Vilma Duque: ECAP hat vor 18 Jahren klein angefangen, in einer Region, die vom Krieg betroffen war. Die Mitarbeiter sind dorthin gefahren und haben Unterstützung angeboten. Inzwischen kommen die Organisationen auf uns zu. Wir haben regionale Büros, die von Einheimischen geleitet werden. In Guatemala gibt es einige Organisationen, die psychosoziale Begleitung im Zusammenhang mit Menschenrechtsarbeit anbieten.

Clemencia Correa: In Mexiko ist ALUNA die einzige, die ausschließlich psychosoziale Begleitung anbietet. Aber immerhin beschäftigen inzwischen einige Organisationen selbst Psychologen. Mit denen arbeiten wir zusammen.

Wie finanzieren sich Ihre Organisationen?

Vilma Duque: Die Organisationen, mit denen wir arbeiten, bezahlen für die Beratung. Aber das meiste Geld kommt von Gebern aus dem Ausland. Manchmal erhalten wir darüber hinaus von der Regierung kleine Weiterbildungsaufträge. 

Clemencia Correa: Wir sind als Pilotprojekt von Brot für die Welt gefördert worden und sind jetzt dabei, neue Geldquellen zu erschließen.

Werden Ihre Organisationen ebenfalls bedroht – so wie Menschen, die Sie beraten?

Vilma Duque: Wir begleiten auch Zeugen für die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit, zum Beispiel in dem Prozess gegen den früheren General Ríos Montt. Die Kollegen, die vor Ort arbeiten, werden häufig bedroht.
Clemencia Correa: Nein. Unsere Arbeit findet ja eher in der zweiten Reihe statt. Bislang stehen wir nicht in direkter Konfrontation mit dem Staat oder anderen Akteuren.

Wie soll es mit Ihrer psychosozialen Arbeit weitergehen?

Vilma Duque: Der Ansatz müsste in alle Entwicklungsprojekte einbezogen werden – etwa im Bildungsbereich, aber auch in der Landwirtschaft. Wann sind Menschen in der Lage, etwas zu entscheiden, wann nicht? Woher kommt ihre Hilflosigkeit, ihre Angst, ihre Wut? Es geht darum, alle diese Gefühle wahrzunehmen, die an der Quelle vieler Konflikte zu finden sind. Dazu gibt es weltweit interessante Erfahrungen und wir müssen uns stärker vernetzen. Ich  merke, dass mit unserer Arbeit nicht nur die Menschen und die Organisationen verändert werden, sondern auch die Gesellschaft. Es ist ein Beitrag, um der Gewalt entgegenzutreten, Hoffnung und Vertrauen zu schaffen. Was ich in den Gruppen erlebe, begeistert mich. Ich hoffe, dass ich damit die Menschen bewegen kann, sich über ihre Lage und alternative Handlungsmöglichkeiten klar zu werden.

Clemencia Correa: Es ist nötig, dass wir die Schäden, die Gewalt seelisch und körperlich anrichtet, sichtbar machen, und die Konsequenzen für die Gesellschaft aufzeigen. Wir wollen dazu beitragen, Opfern von Gewalt und Vertreibung ein Leben in Würde zu ermöglichen. Gleichzeitig lernen wir so viel von ihnen – von ihrer Kraft, jeden Tag aufzustehen und den Alltag anzugehen, obwohl sie deprimiert und verzweifelt sind.

Und wie sorgen Sie für sich selbst?

Vilma Duque: Als Fachkraft von Brot für die Welt bekomme ich Supervision, das läuft in der Regel über Skype. In Guatemala bespreche ich einmal im Monat meine Fälle mit Kollegen.

Clemencia Correa: Bei ALUNA haben wir Sicherheitsbestimmungen und eine Politik der mentalen Gesundheit, aber wir haben für uns bislang noch keine Supervision. Wir sind auf der Suche, weil wir wissen, wie wichtig das ist. Für mich ist es schon eine große Entlastung, dass ich jetzt im Team arbeite. Mir ist es wichtig, Sinn in der Arbeit zu sehen und Erfolge zu haben. Außerdem gehe ich aus und fahre in Urlaub. Das entlastet mich auch!

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2015: Den Frieden fördern, nicht den Krieg
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