„Unterschiedliche Aufgaben, aber kein Gegensatz“

Debatte zum Verhältnis von Mission und Entwicklung

Gruppenfotos der beiden Konferenzen wären wohl der augenfälligste Beweis für den Wandel, den Mission in den letzten hundert Jahren erlebt hat. Während 1910 fast nur weiße, protestantische Männer nach Edinburgh gekommen waren, war die Konferenz 2010 bunt gemischt. Frauen und Männer aus allen Erdteilen und allen Konfessionen haben Anfang Juni fünf Tage lang über Wesen und Aufgabe von Mission diskutiert. „Früher war Mission eine Einbahnstraße. Das Evangelium wurde vom reichen Norden in den armen Süden gebracht“, sagt Claudia Währisch-Oblau von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). „Heute dagegen gibt es Missionsbemühungen in alle Richtungen, vom Süden in den Norden, von den Rändern in die Zentren, von den Armen zu den Reichen.“ Als Beispiel nennt die Leiterin der Abteilung Evangelisation der VEM die größte Kirchengemeinde in Kiew (Ukraine), eine Pfingstkirche, die von einem Nigerianer gegründet wurde.

Den Missionsgesellschaften im 19. Jahrhundert ging es vor allem darum, vom Norden aus im Süden Seelen für Christus und Mitglieder für die eigene Konfession zu gewinnen. Heute hingegen heißt es in Missionskreisen, Kirchen in allen sechs Kontinenten wollten den Menschen gemeinsam zeigen, dass Gott „Leben in Fülle für alle“ will. „In Edinburgh waren sich alle über die Konfessionsgrenzen hinweg einig, dass Gott im Zentrum von Mission steht“, sagt Ulrike Schmidt-Hesse, die für das Evangelische Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS) bei der Konferenz dabei war. „Mission wird nicht von Menschen gemacht. Gott ist der Missionar, der sich der Welt in leidenschaftlicher Liebe zuwendet und sie verwandelt.“

Die Hilfswerke plädieren für eine klare Arbeitsteilung

Man sei sich ebenfalls darin einig, sagt Schmidt-Hesse, dass Mission Verkündigung und den Kampf für soziale Gerechtigkeit umfasse. „Das hätte vor zwanzig Jahren so noch nicht von allen unterschrieben werden können.“ Dieses ganzheitliche Verständnis von Mission, das auch viele Kirchen im Süden teilen, stellen kirchliche Entwicklungswerke in Deutschland allerdings in Frage. Sie plädieren für eine klare Arbeitsteilung: Die Hilfswerke sollen sich auf klassische Entwicklungsprojekte konzentrieren, während die Missionswerke ihre Partner im Süden in der Verkündigung des Evangeliums unterstützen, wie zum Beispiel im Gemeindeaufbau oder in der Ausbildung von Theologen.

Diese Aufgabenteilung sowie die Unterscheidung in Missionswerke und kirchliche Hilfswerke haben ihre Wurzeln in der Geschichte. Vor hundert Jahren war das Missionsverständnis stark vom europäischen Kolonialismus geprägt, in dessen Dienst sich viele Missionsgesellschaften gestellt hatten. Mit dem Ende der Kolonialzeit in den 1950er und 1960er Jahren begannen die Missionskreise in Deutschland sich mit ihrem unrühmlichen Erbe auseinanderzusetzen. Die Selbstkritik ging so weit, dass die deutschen Missionsgesellschaften sich 1960 (erfolglos) gegen das Angebot des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer aussprachen, die Kirchen und insbesondere die beiden neu gegründeten Werke „Brot für die Welt“ und Misereor in ihrer entwicklungspolitischen Arbeit mit Bundesmitteln zu unterstützen. Die Missionsgesellschaften befürchteten, dass die unheilvolle Verknüpfung von Missionsarbeit und Politik wieder aufleben könnte.

Dass in Deutschland die kirchlichen Hilfswerke und die Missionswerke getrennt voneinander arbeiten, hat aber auch praktische Gründe: Hilfswerke wie der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) oder Misereor erhalten für ihre Projekte in erheblichem Umfang Zuschüsse vom Bund. Mit diesen staatlichen Mitteln dürfen die kirchlichen Entwicklungsdienste keine missionarischen Projekte der Partner fördern. Die Missionswerke hingegen finanzieren ihre Arbeit nur aus Kirchensteuermitteln und Spenden.

Ums Geld gibt es eine „gewisse Konkurrenz“

Auch beim EED betont man die unterschiedlichen Aufgaben von Mission und Entwicklungsdienst, sieht darin aber keinen Gegensatz. „Vielmehr ist ihr Dienst komplementär zu verstehen“, sagt EED-Vorstandsmitglied Rudolf Ficker. EED und Missionswerke arbeiten laut Ficker deshalb eng zusammen. So fördert das Hilfswerk derzeit 46 Fachkräfte, die von Missionswerken in entwicklungspolitische Projekte entsandt wurden, erklärt Wilfried Neusel, der theologische Grundsatzreferent des EED. Laut Ficker gibt es allerdings zugleich „eine gewisse Konkurrenz zwischen Missionswerken und Entwicklungsdienst im Blick auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen“. Das dürfe jedoch nicht überbewertet werden.

erschienen in Ausgabe 8 / 2010: Metropolen: Magnet und Molloch
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