Politik der Widersprüche

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Südafrikanische Blauhelme
Kohlebergbau in Südafrika
Südafrikas Regierung setzt angeblich auf Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien. In der Praxis herrschen Konzerne, Kohle und Korruption.

Alle zehn Minuten donnert ein Kohlelaster an den winzigen Häusern vorbei. Dann legen sich schwarze Staubwolken über die gesamte Umgebung. Grau gefiederte Hühner laufen umher, ein dürrer Hund stöbert im Abfall. Es stinkt nach Kohle. „Ich kann meinen Finger hier durchstecken“. Ein alter Mann mit wirrem Haar greift durch ein Loch im Wellblechdach seiner Behausung. Das Dach ist verrottet, der Boden verschmutzt. Seit 30 Jahren lebt Andris  im „MNS Settlement“, einer informellen Siedlung direkt neben einer ehemaligen Mine. Ein hartnäckiger Husten quält ihn und seine beiden Enkel. „Was kann man tun?“, fragt er, und gibt sich selbst die Antwort: „Nichts.“

160 Bergwerke haben rund um eMalahleni, den „Ort der Kohle“, aufgerissene Gruben, Abraumhalden und verschmutztes Wasser hinterlassen. Rund um die 100.000-Einwohner-Stadt in der südafrikanischen Provinz Mpumalanga, „da wo die Sonne aufgeht“, reiht sich Tagebau an Tagebau. Der Energiereichtum hat Stahlhütten und zwölf kolossale Kohlekraftwerke mit qualmenden Schloten angezogen.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist Südafrikas Wirtschaft eng mit der Gewinnung von  Bodenschätzen verbunden, die Kohle liefert die Energie dafür. Zwei Drittel des Stroms werden für den Abbau von Gold, Diamanten, Platin, Eisenerz und Kohle verbraucht. Und 90 Prozent davon stammen aus den Kohlekraftwerken des staatlichen Energie-Monopolisten Eskom. Nach dem Ende der Apartheid nehmen nun auch die Regierungen der früheren Befreiungsbewegung Afrikanischer Nationalkongress (ANC) die Nebenwirkungen des Kohlebergbaus in Kauf: gefährliche Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, Landenteignung und Vertreibung, chronische Atemwegserkrankungen und eine immense Umweltzerstörung.

Umweltverschmutzer haben wenig zu befürchten

Die zahlreichen Gesetze, die die Parlamentarier des ANC zur Reinhaltung von Luft und Wasser und zum Schutz von Flora und Fauna verabschiedet haben, stehen nur auf dem Papier. So ist seit 2004 gesetzlich geregelt, dass Emissionsquellen unabhängig identifiziert und die Emissionen gemessen, dass Höchstwerte festgelegt und Informationen öffentlich zugänglich gemacht werden. Bis heute aber gäben sich die staatlichen Organe mit Selbstauskünften auch der größten Luftverschmutzer Eskom und SASOL, einem Unternehmen der Erdöl- und chemischen Industrie, zufrieden, kritisiert die Umweltschützerin Carol Ntaopane von der internationalen Organisation Action Aid.

Oder das Wassergesetz von 1998. Das dort vorgeschriebene Verursacherprinzip – Bergwerksbetreiber müssen für die Beseitigung der von ihnen verursachten Schäden aufkommen – scheint bloß Makulatur. Überall in den Flüssen von eMalahleni finden sich dicke, gelblich-weiße Krusten aus saurem Grubenwasser und einer von Schwermetallen vergifteten Brühe, die Böden, Flüsse und Seen zerstört. Wie belastet die Gewässer genau sind, ist Verschlusssache. 120 Kohlebergwerke operierten sogar ohne die gesetzlich vorgeschriebene Wasserlizenz, sagt Viktor Munnik, Geograf und Dozent an der Johannesburger Universität Witwatersrand.

Der Staat lässt die Kohleunternehmen gewähren, darunter internationale Rohstoffgiganten wie die britisch-südafrikanische Anglo American und die schweizerische Glencore. Durch die Politik, den wirtschaftlichen Aufstieg schwarzer Südafrikaner zu fördern, sei zudem eine schwarze Elite entstanden, die dem ANC sehr nahe steht, erklärt Munnik. Dass ANC-Führer Vorstands- und Aufsichtsratsposten innehaben, „vermischt Politik und Geschäft mit der Folge, dass Umweltverbrechen häufig nicht verfolgt werden“.

Nur große Unternehmen erhalten zuverlässig Strom

Laut Schätzungen ist bis 2014 ein Viertel des Bergbaus – Anteile und ganze Firmen – in den Besitz schwarzer Südafrikaner übergegangen. Das dürften allein im vergangenen Jahr umgerechnet knapp 424 Millionen Euro gewesen sein. Korrupte Netzwerke reichten bis auf die lokale Ebene, betont Munnik. Das Ministerium für Wasserangelegenheiten werde niemals einen politischen Verbündeten wegen mangelnder Sorgfalt vor Gericht bringen.

Eine besonders unrühmliche Rolle spielt der staatliche Strommonopolist Eskom, der allein in eMalahleni zwölf Kraftwerke betreibt. Seit 2008 lebt die südafrikanische Bevölkerung mit immer wiederkehrenden Stromausfällen; Eskom stellt einzelnen Regionen abwechselnd und stundenweise den Strom ab. Groß- und Kleinunternehmer, Handwerker, Restaurants und Selbstständige behelfen sich deshalb mit teuren Dieselgeneratoren. Die rund 30 Mitglieder des einflussreichen Zusammenschlusses von energieintensiven Unternehmen erhalten dagegen Elektrizität verlässlich zu einem Achtel des üblichen Verbraucherpreises. Der Allianz gehören die meisten Bergbauunternehmen und Aluminiumschmelzen an, sie verbrauchen 44 Prozent des produzierten Stroms.

Für den Energienotstand sind Misswirtschaft, Inkompetenz und haarsträubende politische Fehlentscheidungen verantwortlich. Seit 1990 wurde aus kurzfristigem Kalkül kaum in Kraftwerke investiert. Erst 2005 wurden wieder Mittel für Investitionen und überfällige Reparaturen freigegeben. Zu spät, sagen Experten. Das Stromnetz ist vielerorts immer noch marode und überlastet.

Dabei hatte sich Südafrika schon Anfang des Jahrtausends in einem Weißbuch zu erneuerbaren Energiequellen bekannt. 2010 folgte der Integrated Ressource Plan (IRP). Danach sollten Windkraft, Fotovoltaik und konzentrierte Solarkraftprojekte, Biogas und kleine Wasserkraftwerke bis 2030 ein Fünftel der Stromversorgung bereitstellen. Dafür sollten mit einem Programm für unabhängige Stromerzeuger (Independent Power Producer Procurement Programme – IPP) private Investoren gewonnen werden. Tatsächlich wurden bis August 2014 nur 60 Projekte mit einer Leistung von insgesamt 3900 Megawatt bewilligt.

Gute Windbedingungen

Eins dieser Projekte betreibt Thomas Siepelmeyer. Der Geologe und Entwickler von Windkraftanlagen hat seine Erfahrungen im Münsterland gesammelt. „Seine“ Anlage liegt in Saldhana Bay, 130 Kilometer nördlich von Kapstadt. „Es war nicht schwierig, Land von den überwiegend weißen Farmern zu pachten“, sagt er. Denn die Böden dort hielten wenig Wasser und erlaubten nur extensive Viehwirtschaft; Windkraft bringe da einen guten Nebenverdienst.

Auf dem höchsten Punkt des weiten Geländes – rotbrauner, knochentrockener Boden – ist in fünf Kilometern Entfernung der Atlantik zu sehen. Nichts stellt sich dem Blick in den Weg. Nichts wird den Wind für 197 Rotoren aufhalten, die bis zu 590 Megawatt Strom liefern sollen. Thomas Siepelmeyer gerät ins Schwärmen: „Die Windbedingungen hier an der Westküste sind sehr gut, vergleichbar mit Nordsee-Standorten.“ Er nimmt an dem öffentlichen Ausschreibungsverfahren des IPP teil und hofft auf den Zuschlag im kommenden Jahr. „Wenn die Erneuerbaren in fünf bis sieben Jahren drei Prozent der Stromerzeugung übernehmen, ist das eine sehr gute Leistung für Südafrika“, meint der Entwickler und schränkt ein: „Wenn die Pläne so wie angekündigt durchgesetzt werden.“

Andere Experten sind skeptisch. Selbst wenn Südafrika seine ambitionierten Ziele bei den Erneuerbaren erreichte, bliebe das Land über den Limits der Treib-hausgasemissionen, schreibt die belgische Umweltwissenschaftlerin Miriam Buck in ihrer Studie „South Africa’s Energy Crisis and the Role of Renewable Energy“. Denn zwei Drittel der Energie würden immer noch aus Kohle gewonnen. Auch der zu Jahresbeginn von Präsident Jacob Zuma angekündigte neue Plan zur Behebung der Energiekrise „folgt, wenig überraschend, einem ‚business-as-usual‘-Modell“.

Die Energiebranche wird von Skandalen erschüttert

Die jüngsten Planungen der Regierung Zuma haben den Anteil der erneuerbaren Energien am Versorgungsmix auf zehn Prozent bis 2030 reduziert. Derzeit entstehen in den Provinzen Limpopo und Mpumalanga zwei trockengekühlte Kohlemeiler, die zu den größten der Welt gehören sollen. „Medupi“ und „Kusile“ werden von der Weltbank mitfinanziert und sollen ab 2019 je 4800 Megawatt und damit ein Viertel des derzeit in Südafrika verbrauchten Stroms erzeugen – falls sie jemals fertiggestellt werden. Denn auch hier attestieren Experten einen katastrophalen Mangel an Expertise und Missmanagement.

Dazu kommen Skandale, die hartgesottene Südafrikaner banale Korruption nennen. So hat die US-amerikanische Börsenaufsicht aufgedeckt, dass der japanische Mischkonzern Hitachi der südafrikanischen Investitionsgesellschaft Chancellor House „irreguläre Zahlungen“ überwiesen hat, um an Aufträge für Kessel für die Dampferzeugung von umgerechnet rund 2,7 Milliarden Euro zu kommen. Chancellor House ist eine Stiftung zur Finanzierung des ANC und besaß zeitweise 25 Prozent von Hitachi Südafrika. 2014 verkaufte sie diesen Anteil an Hitachi zurück, zu einem sehr viel höheren Preis, als sie sieben Jahre zuvor gezahlt hatte. Hitachi schweigt zu den Vorwürfen, der ANC weist die Anschuldigungen zurück.

Südafrikas Kohlekraftwerke gehören zu den größten Klimakillern weltweit, das Land ist der größte Treibhausgas-Produzent des Kontinents. Die deutsche Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Schwellenland beim Eintritt in ein klimafreundliches Zeitalter zu unterstützen. Programme aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollen Knowhow in der Umwelt- und Energietechnik liefern, etwa beim Anschluss von Wind- und Solaranlagen an das Stromnetz. Im April genehmigte die deutsche Entwicklungsbank KfW im Auftrag des BMZ einen Förderkredit von 300 Millionen Euro an Eskom.

Das deutsche Wirtschaftsministerium pflegt eine deutsch-südafrikanische Energiepartnerschaft zur Erschließung des „großen Potenzials für deutsche Technologieanbieter“. Ähnlich gelagert ist die Partnerschaft zwischen Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit sieben der neun größten deutschen Kohlekraftwerke, und der südafrikanischen Kohleprovinz Mpumalanga. Abgesehen von einigen recht erfolgreichen Projekten nichtstaatlicher Organisationen geriet die Kooperation immer wieder ins Stocken. Herbert Jacoby, Leiter der Abteilung Außenwirtschaft im Wirtschaftsministerium des Bundeslandes, hat Mpumalanga mehrfach besucht und stieß bei seinen südafrikanischen Gesprächspartnern auf Zurückhaltung: „Die wollten nicht.“ Ebensowenig die Stadträte vor Ort. Nun liegt die Partnerschaft seit einem Jahr auf Eis. Die Fachleute aus Nordrhein-Westfalen wissen, dass viele in Mpumalangas Behörden der Korruption verdächtigt werden.

Deutschland importiert schmutzige Kohle vom Kap

Dabei gilt Südafrika als zahlungskräftiges Land, das in der Lage wäre, „in gewissem Umfang die Schäden, für die niemand mehr haftbar gemacht werden kann, anzugehen“, sagt Jacoby. „So wie wir das hier im Ruhrgebiet mit der Sanierung von Altlasten und mit der Begrünung von Halden gemacht haben.“ Das wäre ein Markt für die vielen nordrhein-westfälischen Bergbautechnik-Unternehmen, die mit dem Auslaufen des Steinkohlebergbaus 2018 vor dem Nichts stehen werden. „Die müssen, wenn sie weiter existieren wollen, exportieren“, erklärt Jacoby, der mit diesen Zulieferern „sehr eng“ zusammenarbeitet, „um ihnen genau diese Märkte neu zu erschließen“.

Autorin

Birgit Morgenrath

ist freie Journalistin in Köln und berichtet seit vielen Jahren aus afrikanischen Ländern.
Energieriesen in Deutschland importieren Kohle aus den südafrikanischen Gebieten, die vom Kohleabbau zerstört werden. Südafrika exportiert ein Drittel seiner hochwertigen Kohle und ist auf diese Deviseneinnahmen dringend angewiesen. Fünf Millionen Tonnen jährlich, etwa ein Zehntel des gesamten deutschen Kohleimports, stammen vom Kap. Auf Anfrage verweisen die Stromriesen allesamt auf interne und externe internationale Verhaltenskodizes zur Einhaltung von Menschen- und Arbeiterrechten, sozialen und ökologischen Standards. Die Menschenrechtsorganisation urgewald hatte aber bereits in ihrer Studie „Bitter Coal“ vor zwei Jahren kritisiert, dass das höchste Entscheidungsgremium der Industrieinitiative ausschließlich aus Vertretern der Energiekonzerne bestehe.

Universitätsdozent Viktor Munnik stellt fest, dass Südafrika in den Klimaverhandlungen aufseiten der „Wachstumslobby“ stehe: Die Länder der „Dritten“ Welt sollen nicht auf Wohlstand verzichten und sich erst später mit den Folgen für die Umwelt beschäftigen. „Davon zeugt auch unsere enge Beziehung zu China.“ Der Umweltforscher sieht nur einen Ausweg: „Wir als normale Bürger müssen den Ernst des Klimawandels verstehen, damit unser Küstenstrich nicht fortgespült wird.“

Er unterstützt eine Koalition von Landrechtsbewegungen, Umweltorganisationen und Gewerkschaften, die 2011 die „One Million Climate Jobs Campaign“ ins Leben gerufen haben: für Arbeitsplätze in einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in öffentlicher Hand. Es sei schwierig, arme und Hunger leidende Menschen für den Kampf gegen  den Klimawandel zu mobilisieren. Darum müsse man den Klimaschutz mit der Aussicht auf Arbeitsplätze verbinden, „an denen Emissionen reduziert und Ressourcen geschützt werden“.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2015: Agrarindustrie: Vitamine aus der Tüte
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