Schluss mit den Widersprüchen!

Zum Thema
Neue Nachhaltigkeitsziele
Indikatoren der SDGs
Billigfleischexporte nach Westafrika, Waffenexporte in Krisenregionen – oft konterkarieren wirtschaftliche Interessen die Bemühungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Um das zu ändern, müssen sich zivilgesellschaftliche Organisationen jetzt in die Debatte über eine neue Nachhaltigkeitsstrategie für Deutschland einschalten.

Die im vergangenen Herbst verabschiedeten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bieten eine Chance, der Forderung nach Kohärenz neuen Auftrieb zu geben. Entwicklungsförderndes Regierungshandeln ist selbst eines der Nachhaltigkeitsziele. Außerdem betreffen die SDGs etliche entwicklungspolitisch relevante Politikbereiche wie die Handels- oder die Sicherheitspolitik. Und schließlich liegt die Umsetzung der SDGs in der Verantwortung der gesamten Bundesregierung und erfordert, dass sich die Ressorts untereinander abstimmen.

Bis kommenden Juni werden in Deutschland wichtige Weichen zur Verwirklichung der 2030-Agenda gestellt. Gegenwärtig erarbeitet die Bundesregierung unter Federführung des Kanzleramtes einen nationalen Umsetzungsplan der Agenda; der Plan ist Teil der neuen nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die im Herbst verabschiedet werden soll. Die Zivilgesellschaft sollte diese Chance nutzen und sich aktiv in diese Arbeit einbringen, um ihr Anliegen nach entwicklungspolitischer Kohärenz voranzutreiben.

Wichtig für ambitionierte Nachhaltigkeitsziele und für die Kontrolle, ob sie erreicht werden, ist die Definition von angemessenen Indikatoren, denn nur was gemessen wird, wird auch erledigt. Es muss verhindert werden, dass die in harten Verhandlungen erreichten Kompromisse bei den Zielen durch die Indikatoren wieder aufgeweicht werden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um diese Diskussion von zivilgesellschaftlicher Seite mitzugestalten.

Im Gegensatz zu den langwierigen Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele stand die Definition der Indikatoren bisher kaum im entwicklungspolitischen Rampenlicht. Auf internationaler Ebene ist die Suche bereits weitgehend abgeschlossen. Eine kleine internationale Expertengruppe, die Inter-Agency and Expert Group on the SDG Indicators, hat nur vier Monate nach der Verabschiedung der 2030-Agenda einen Vorschlag von 229 Indikatoren an die UN-Kommission für Statistik übermittelt, von denen 80 noch weiter diskutiert werden sollen.

Positionspapiere zu SDGs reichen nicht

In Deutschland hingegen stehen wichtige Entscheidungen zu den Indikatoren auf nationaler Ebene noch an. Bislang haben alle Ministerien Indikatoren für die anstehende Nachhaltigkeitsstrategie vorgeschlagen. Die Zivilgesellschaft soll sich in einer öffentlichen Konsultation einbringen können, allerdings ohne die Vorschläge der Ministerien zu kennen, da diese nicht öffentlich sind. Sowohl die offiziellen Vorschläge als auch die Ergebnisse der Konsultation sollen im Sommer in eine Endfassung fließen, die dann im Oktober verabschiedet wird. Ob die Beteiligung der Öffentlichkeit großen Einfluss auf das Endergebnis haben wird, darf bezweifelt werden. Unter der Hand signalisieren Vertreter von Ministerien und Bundestagsabgeordnete, dass nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs für die Nachhaltigkeitsstrategie im Mai wesentliche Änderungen schwierig sein werden.

Bisher haben nichtstaatliche Organisationen verschiedene Positionspapiere zur 2030-Agenda und zur deutschen Umsetzung veröffentlicht. Das ist sinnvoll, reicht jedoch nicht. Das Kernstück der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sind die Indikatoren. Der Rechenschaftsbericht, den die Bundesregierung alle zwei Jahre zur Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht, heißt nicht ohne Grund „Indikatorenbericht“. Die Ministerien senden dem Kanzleramt gegenwärtig nicht irgendwelche Positionspapiere, sondern Vorschläge für maßgebliche Indikatoren. Sie sind das Herzstück einer ambitionierten 2030-Agenda. Und sie sind entscheidend dafür, die Regierung an ihren Zielen zu messen. Die Fachleute in den zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen sich deshalb in diese Debatte einbringen.

Gute Vorschläge für Indikatoren für die nächste deutsche Nachhaltigkeitsstrategie sind deshalb dringend nötig, weil der von der internationalen Expertengruppe vorgelegte Katalog völlig unzureichend ist. Knapp 30 der 229 Indikatoren beziehen sich auf Unterziele, die für Deutschland gar nicht relevant sind, beispielsweise der Indikator zur Anzahl der Bankautomaten pro 100.000 Erwachsene. Andere Indikatoren wiederum sind nicht sinnvoll auf nationaler Ebene, weil sie sich nur auf die internationale Ebene beziehen wie zum Beispiel der Indikator zur Anzahl der Länder mit Aktionsplänen zu nachhaltigem Konsum.

Was nicht von Indikatoren abgebildet wird, fällt unter den Tisch

Besonders problematisch ist, dass mehr als die Hälfte der Indikatoren die vereinbarten Unterziele nur teilweise abdeckt. So hat zum Beispiel Unterziel 16.4 zu illegalen Finanzströmen, zum Waffenhandel, zur Rückgabe gestohlener Vermögenswerte und zum organisiertem Verbrechen nur Indikatoren zu zwei dieser vier Punkte. Zahlreiche Indikatoren spiegeln zudem nicht die besondere Verantwortung von Industriestaaten wie Deutschland für die Erreichung der entsprechenden Ziele wider. Genau da, wo entwicklungspolitische Kohärenz anfängt, hören diese Indikatoren auf. Ein gutes Beispiel dafür ist das Unterziel 3.3 zur Bekämpfung tropischer Krankheiten. Die dazu vorgeschlagenen Indikatoren der internationalen Expertengruppe messen Gesundheitsdaten wie die Anzahl der Malariafälle auf 1000 Einwohner. Die Verantwortung von Industriestaaten, ärmeren Ländern Zugang zu erschwinglichen Medikamenten zu ermöglichen, findet hingegen keine Erwähnung.

Autorin

Claudia Schwegmann

ist Vorstandsmitglied der Open Knowledge Foundation Deutschland und leitet das Projekt 2030-Watch.de zum Monitoring der 2030-Agenda in Deutschland.
Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten deshalb eigene, anspruchsvollere Indikatoren vorschlagen. Drei Punkte sollten sie dabei beachten: Ersten sollten die Indikatoren so konkret wie möglich sein und Schwellenwerte enthalten, wann ein Wert als gut und wann als schlecht zu bezeichnen ist. Zweitens sollte die Zivilgesellschaft dem Ansinnen der Bundesregierung entgegentreten, die Zahl der Indikatoren für Deutschland möglichst klein zu halten.

Die 2030-Agenda ist hoch komplex, die 17 Nachhaltigkeitsziele haben 169 Unterziele. Themen, die nicht in Indikatoren abgebildet werden, riskieren unter den Tisch zu fallen. Drittens sollte die Zivilgesellschaft darauf drängen, dass auch von ihr erhobene Daten zur Kontrolle der 2030-Agenda berücksichtigt werden. Entwicklungspolitische Organisationen sammeln über ihre Projekte seit Jahren Daten, um Fortschritte in bestimmten Politikfeldern zu messen. Im Sinne der vielbeschworenen Multistakeholder Partnerschaft und der Effizienz ist es sinnvoll, auch solche Daten für die Kontrolle der 2030-Agenda heranzuziehen.

Über Indikatoren zu streiten, ist nicht besonders sexy. Aber angesichts der mageren Fortschritte in den vergangenen Jahren, entwicklungspolitisch kohärentes Regierungshandeln voranzubringen, und angesichts der großen Chance, die die Nachhaltigkeitsziele genau dafür bieten, muss sich die entwicklungspolitische Zivilgesellschaft jetzt in die Diskussion einmischen. In wenigen Monaten ist es zu spät.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2016: Flucht und Migration: Dahin, wo es besser ist
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