"Das ist alles Bastelei"

Neue Gentechnik
CRISPR/Cas, TALENs, RdDM: Komplizierte Kürzel, die für neue Verfahren in der Gentechnik stehen. Anders als bei den alten Methoden wird kein neues Genmaterial in die Pflanze oder das Tier eingeführt, sondern das vorhandene Erbgut gezielt so verändert, dass es die gewünschten Merkmale hervorbringt. Mutation im Zeitraffer – und deshalb ungefährlich, sagen die Befürworter. Der Agrarexperte von Greenpeace Deutschland, Dirk Zimmermann, sieht das ganz anders.

Was ist das neue an der neuen Gentechnik?
Hinter dem Begriff verbergen sich eine Reihe von Verfahren, die mit der alten Gentechnik eines gemeinsam haben: Es wird genetisches Material so verändert, wie es auf natürliche Weise nicht passiert. Das ist der zentrale Punkt. Die neuen Methoden sind im Detail etwas anders: Man glaubt, dass man viel präziser eingreifen kann.

Aber die Befürworter der neuen Verfahren sagen, dass anders als früher das Genmaterial einer Pflanze nur so verändert wird, wie es auch durch natürliche Mutation passieren könnte. Die so hergestellten Pflanzen seien deshalb sicher und müssten nicht wie die nach den alten Methoden hergestellten Produkte jahrelang getestet werden.
Richtig ist, dass das Ergebnis der Manipulation auch durch natürliche Mutation vorkommen kann. Aber für die Frage, was Gentechnik ist und was nicht, geht es um das Verfahren, nicht darum, was am Ende dabei herauskommt. Für die Regulierung ist das entscheidend, denn einer unserer zentralen Kritikpunkte ist, dass die klassischen gentechnischen Verfahren längst nicht so präzise sind, wie das immer behauptet wird: Es gibt unerwartete Nebeneffekte. Und noch weniger können wir die neuen Verfahren abschließend bewerten. Wir wissen gar nicht genau, was da passiert. Deshalb fordern wir, dass auch die neuen Verfahren der Gentechnik-Regulierung unterworfen werden.

Die klassische Gentechnik wird in der Landwirtschaft seit zwanzig Jahren angewendet. Da sind mögliche Risiken und Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt doch längst bekannt.
Was mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit betrifft, wissen wir noch gar nichts. Da fehlen Langzeitstudien; zwanzig Jahre sind viel zu kurz, um mögliche Effekte überhaupt sehen zu können. Es sind Wirkungen denkbar, etwa auf das Erbgut oder die Fruchtbarkeit, die sich erst über mehrere Generationen zeigen. Die erkennt man nicht in einem 90 Tage dauernden Fütterungsversuch bei Mäusen. Das wäre zu untersuchen, ist aber nicht verpflichtend und wurde in der Vergangenheit auch nicht gemacht.

Sie sagen, über die neuen Verfahren wüssten wir noch weniger. In einer Pressemitteilung von Greenpeace und anderen Umweltorganisationen heißt es trotzdem jetzt schon, die neue Gentechnik berge Risiken für Umwelt und menschliche Gesundheit.
Genau, deshalb müssen wir die neuen Methoden und Produkte prüfen und das gesamte Regulierungsverfahren durchlaufen lassen. Gentechnik ist eine Risikotechnologie, die unter das Vorsorgeprinzip fällt. Wenn wir Risiken nicht ausschließen können, müssen wir davon ausgehen, dass es welche geben könnte. Gentechnik in der Landwirtschaft ist eine Einbahnstraße: Genetisch veränderte Pflanzen oder Tiere, die einmal in die Umwelt entlassen wurden, lassen sich nicht einfach wieder einfangen.

Wo werden die neuen gentechnischen Verfahren derzeit schon angewendet?
Das ist nicht wirklich transparent, weil die Firmen nichts anmelden müssen. Bezeichnend ist, dass sich die Debatte in Europa an einem konkreten Projekt entzündet hat, bei dem es um nichts anderes geht als in der klassischen Gentechnik: Die US-amerikanische Firma Cibus hat eine herbizidtolerante Rapssorte entwickelt. Ansonsten herrscht eine ähnliche Goldgräberstimmung wie vor dreißig Jahren in der klassischen Gentechnik: Die Befürworter glauben, man könne alles erreichen mit den neuen Techniken, weil sie so präzise sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass das ebenso ein Irrtum ist wie im Falle der alten Gentechnik. Man kann auch mit der neuen Technik nur ganz punktuell eingreifen. Das wird der Komplexität der Genetik nicht gerecht. Für die Landwirtschaft interessante Eigenschaften wie erhöhte Stress­toleranz oder der Ertrag sind das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels sehr vieler Gene einer Pflanze – und der Interaktion der Pflanze mit der Umwelt. Da greifen die alte und die neue Gentechnik zu kurz.

Der Leiter des Schweizer Forschungsinstitutes für biologischen Landbau, Urs Niggli, sagt, die neuen Methoden seien vielleicht kein Allheilmittel, aber sie könnten Teil einer angepassten Landwirtschaft sein. Was halten Sie davon?
Damit steht Niggli in der ökologischen Landwirtschaft ziemlich allein da. Ich glaube nicht, dass die neue Gentechnik Lösungen bereithält, die für eine nachhaltige Landwirtschaft attraktiv sind. Die einschlägigen Verbände habe klar entschieden: Wir brauchen das nicht.

Sind Sie prinzipiell gegen gentechnische Eingriffe, oder ist es denkbar, dass in Zukunft Verfahren erfunden werden, die sicher sind und die auch für Sie akzeptabel wären?
Nein, das sehe ich nicht. Wir sind prinzipiell gegen die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, weil nicht klar ist, welche Risiken bestehen. Es ist nicht absehbar, dass sich das in Zukunft ändert.

Es werden seit Menschengedenken neue Verfahren der Pflanzenzüchtung entwickelt und ausprobiert, mit und ohne Gentechnik. Können Sie eine Grenze definieren, die für Sie nicht überschritten werden darf?
Zunächst einmal: Gentechnik ist keine Züchtung, sondern Bastelei. Bei der Züchtung werden natürliche Prinzipien zugrunde gelegt. Die sind für uns erst einmal alle akzeptabel. Dabei können auch moderne Verfahren zum Einsatz kommen, wie etwa bei der Marker-gestützten Züchtung: Da wird das Erbgut analysiert, um zu prüfen, ob über Züchtung hergestellte Nachkommen eine gewünschte Eigenschaft mitbringen könnten. Das funktioniert und ist eine großartige Methode, die nicht manipulativ ins Erbgut eingreift. Die traditionelle Züchtung hat mit klassischen Methoden und über moderne Verfahren wie der Marker-gestützten Selektion viele Ergebnisse erzielt, die die Gentechnik bislang nur versprochen hat. Aber alle haben sich auf die Gentechnik gestürzt und viele Milliarden investiert. Dasselbe sehe ich jetzt auch wieder bei den neuen Techniken.

Urs Niggli sagt, der Vorteil der neuen Gentechnik sei, dass sie billig und einfach ist – und deshalb nicht nur von kommerziell orientierten Großkonzernen genutzt werden kann. Wenn mehr und auch kleine Labore daran arbeiten, könnten doch auch mehr brauchbare Ergebnisse erzielt werden, oder?
Nein, denn die Methoden sind nicht dazu geeignet. Das hat nichts mit dem Preis oder der Zahl der Forscher zu tun. Es steckt im Übrigen ein großes Risiko darin, eine noch weitgehend unbekannte Technik jedem verfügbar zu machen. In den USA kann man heute schon Bausätze bestellen, mit denen jeder seine Küche zum Gentechnik-Labor machen kann.

Die Europäische Union wollte schon im vergangenen Jahr entscheiden, ob mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellte Produkte ebenso streng geprüft und reguliert werden wie die klassischen Gentechnik-Pflanzen. Das ist immer noch offen. Warum die Verzögerung?
Brüssel hat das nicht begründet. Aber uns liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass sowohl US-amerikanische als auch europäische Lobbyorganisationen im Rahmen der TTIP-Verhandlungen erheblichen Druck aufgebaut haben, um eine strenge Regulierung zu verhindern. Wir gehen davon aus, dass die EU die Entscheidung auch deshalb verschoben hat. Die Kommission steckt in einem Dilemma: Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass auch die neuen technischen Verfahren unter die Gentechnik-Regulierung der EU fallen. Wenn die Kommission aus politischen Gründen anders entscheiden würde, würde sie gegen ihre eigenen Vorgaben verstoßen. Und das müsste sie gut begründen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2016: Sicherheit: Manchmal hilft die Polizei
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