Schleichwege auf den Weltmarkt

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Markus Schönherr
Wie bestreiten Kleinhändler ihren Lebensunterhalt? Emmanuel holt das Holz für seine Schnitzereien aus Malawi.
Informeller Handel
Informelle Kleinhändler wickeln in Afrika einen Großteil des Außenhandels ab und schaffen Einkommen für Millionen Menschen. Dabei müssen sie ständig gegen bürokratische Hürden ankämpfen.

Willst du es in Afrika zu etwas bringen, gehe nach Johannesburg. Schon als Junge im ländlichen Simbabwe erkannte Tichaona Muguti die Wahrheit hinter diesem alten Credo. „Meine Mutter besorgte alle möglichen Waren in Simbabwe. Dann ging sie nach Südafrika und kam mit viel Geld wieder zurück. Von da an wusste ich, dass man in Südafrika besser etwas auf die Beine stellen kann.“ Seit 2004 hat der heute 33-Jährige regelmäßig seine Heimat verlassen, um mit seinen Freunden in Botsuana große Mengen an Sonnenbrillen und afrikanischen Holzschnitzereien zu organisieren, die er dann auf den Straßen von „Joburg“ und Kapstadt verkaufte. Mehrere Monate konnte so eine Tour durch das südliche Afrika dauern. „Da wir kein Geld hatten, fuhren wir per Anhalter in großen Trucks mit. 2008 hatte einer dieser Trucks einen schweren Unfall und alle Waren gingen zu Bruch – das war der Tag, an dem ich mein Geschäft verlor.“

Der Name dieser Händler erscheint in keinem Handelsregister, sie handeln unter dem Radar der Steuerbehörden, selten sind ihre Produkte mehr wert als ein paar Euro. Trotzdem versorgen sie den Großteil der Afrikaner mit Nahrung und Kleidung.  Laut offiziellen Schätzungen bestreiten informelle Kleinhändler bis zu 40 Prozent des grenzüberschreitenden Handels in den 15 Ländern der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC). Das entspricht einem Handelsvolumen von jährlich 16 Milliarden Euro. In weiten Teilen Afrikas schafft der informelle Handel eine Parallelwirtschaft mit größerem Einfluss als die formelle Wirtschaft. In Subsahara-Afrika verdanken laut dem International Centre for Trade and Sustainable Development in Genf 43 Prozent der Bewohner auf die eine oder andere Weise ihren Lebensunterhalt dem informellen Grenzhandel. Sie nutzen die Nischen überall dort, wo es keine Supermärkte gibt, die Regale wegen wirtschaftlichem Missmanagement leer bleiben oder den Menschen schlicht das Geld für Supermarktprodukte fehlt.

Das Herz von Afrikas informellem Handel ist Johannesburg. Zum einen nutzen Händler aus den Nachbarstaaten Südafrikas Wirtschaftszentrum, um Kleidung und Kunsthandwerk aus ihren Heimatländern zu verkaufen. Die Kunden sind Touristen und Zwischenhändler. Andererseits stocken auch die Händler in Johannesburg ihre Vorräte auf: Für schätzungsweise 290 Millionen Euro kaufen sie Jahr für Jahr Elektrogeräte, Haarpflegeprodukte, Kosmetika und Lebensmittel, um sie weiterzuverkaufen. Viele nutzen dabei mehrere Quellen: Laut einer Umfrage der Statistikbehörde der Provinzregierung von Gauteng (Johannesburg) beziehen knapp 60 Prozent einen Teil der Waren von Großhändlern, die Hälfte besucht von Chinesen betriebene Billigmärkte in Südafrika, 44 Prozent kaufen auch direkt in Fabriken und knapp ein Drittel bei Discountern.

Für Muguti war der Verlust seiner Waren mehr Segen als Fluch: Es spornte ihn an, nach Kapstadt weiterzureisen und seinen Traum einer Barkeeper-Karriere zu erfüllen. Das Dasein als Händler ist eher eine wirtschaftliche Notwendigkeit. In Südafrika, wo jeder Vierte ohne Job ist, ist der informelle Handel eine Alternative zu Arbeitslosigkeit. „Es ist schwer zu sagen, wie viel informelle Händler verdienen, da der Sektor vielschichtig ist und sich ständig verändert. Die Spanne reicht von 100 bis 650 Euro pro Monat“, sagt Dennis Webster, Sozialforscher am Institut für sozioökonomische Rechte (SERI) in Johannesburg. Das entspricht dem Einkommen eines südafrikanischen Arbeiters im formellen Arbeitsmarkt.

Proteste gegen Einfuhrverbot

Ein Extremfall ist Simbabwe, wo die Arbeitslosigkeit bei etwa 90 Prozent liegt. Dort baut ein ganzes Volk zum Überleben auf den informellen Sektor. Der Simbabwische Grenzhandelsverband (ZCBTA) rechnet mit drei Millionen Händlern, die jeden Tag nach Südafrika pilgern. Der wirtschaftliche Verfall in dem Land mit 14 Millionen Einwohnern hat auch viele Grundgüter zu Mangelware werden lassen.

Den Notstand versuchen nicht nur Kleinhändler aus Simbabwe auszugleichen. Auch ihre Nachbarn aus Sambia sehen ihre Chance – wie Judy Kasabo. Um vier Uhr verlässt sie jeden Morgen die Township Maramba am Rand der sambischen Grenzstadt Living­­stone, um am lokalen Markt Gemüse zu besorgen. „Ich überquere die Grenze an den Viktoriafällen zweimal pro Tag. In Simbabwe verkaufe ich Tomaten und kaufe Putzmittel, die ich dann später wieder in Livingstone verkaufe“, sagt Kasabo der sambischen Zeitung „Daily Mail“.

Entsprechend groß war der Zorn, als Simbabwes Präsident Robert Mugabe über Nacht die Grenzen dicht machte: Um die „lokale Industrie wiederzubeleben“, dürften Kosmetika, Kleidung, Möbel und Grundnahrungsmittel nur noch mit Sondergenehmigung eingeführt werden, befahl der greise Staatschef. In Beitbridge an der Grenze zu Südafrika beschlagnahmte die simbabwische Polizei im Zuge eines beispiellosen Einfuhrverbots, das Tausenden Kleinhändlern die Lebensgrundlage nahm, deren Waren. Aus Protest zündeten Händler im Juli die Asservatenkammer des Grenzpostens an. Sie war voll mit beschlagnahmten Grundgütern: Becher mit Erdnussbutter und Konfitüre, Säcke mit Maismehl, Gesichtscremes.

Im selben Monat schlossen Mitglieder des Grenzhandelsverbands des Südlichen Afrika (SACBTA), in dem 15.000 informelle Kleinhändler Mitglied sind, einen Tag lang den wichtigsten Grenzübergang zwischen Südafrika und Simbabwe. Jedoch ohne Erfolg. Die Grenzstadt Musina auf südafrikanischer Seite, vor dem Importbann ein Zentrum des intraregionalen Handels, gleicht nun ohne die Kleinhändler aus Simbabwe einer Geisterstadt. „Wir öffnen morgens den Laden. Um zehn machen wir meist wieder dicht, weil niemand kommt“, zitiert der südafrikanische Fernsehsender eNCA den Großhändler Bharucha Farouk.

Hürden für informellen Handel

Selbst ohne Importverbote müssen Afrikas Grenzhändler täglich gegen bürokratische Hürden kämpfen. „Oft dauert es drei Stunden, die Warenbündel für den Zoll aus- und wieder zusammenzupacken“, sagt die Kleinhändlerin Lucia Shungube aus Swasiland. Bei einer Umfrage unter 1200 Grenzhändlern in Südafrika nannte ein Großteil von ihnen die langen Schlangen an Grenzübergängen als größtes Hindernis. Dicht gefolgt von korrupten Grenzbeamten und hohen Einfuhrzöllen auf Produkte, die nicht unter das Freihandelsabkommen der SADC-Staaten fallen, etwa Elektronikprodukte. Laut der Weltbank zählen die Zölle innerhalb Afrikas zu den höchsten in Entwicklungsländern. Afrikas Grenzhändler zahlen ungefähr doppelt so hohe Steuern wie ihre Kollegen in Ostasien. Viele versuchen, den regulären Grenzübertritt zu umgehen, und durchqueren zum Beispiel den Grenzfluss Limpopo zwischen Südafrika und Simbabwe oder lassen sich samt ihrer Bündel gegen eine Gebühr von LKWs über die Grenze schmuggeln.

Darüber hinaus haben informelle Händler keinen Zugang zu Krediten, geschweige denn staatlichen Förderungen. „Die Finanzgesetze sind zu streng für Kleinhändler“, findet der Ökumenische Dienst für sozioökonomischen Wandel (ESSET). Die Organisation wurde 1996 von Südafrikas Kirchen gegründet und unterstützt Kleinhändler. „Weil sie im Ausland nicht so einfach ein Konto eröffnen können, müssen sie die Grenzen mit Bargeld überqueren.“ Dies mache sie anfällig für Schmiergeldforderungen und Diebstahl. Rund ein Drittel der afrikanischen Händler wurde in Südafrika bereits ausgeraubt. Auch sexuelle Ausbeutung ist ein Problem: 70 Prozent afrikanischer Kleinhändler, die täglich die Grenze überqueren, sind weiblich. Für einen Schlafplatz oder anstelle von Bestechungsgeld müssen sie oft andere Dienste anbieten.
 
Manche Behörden werfen informellen Händlern Steine in den Weg. 2013 startete die Verwaltung von Johannesburg die „Operation Clean Sweep“ mit der Absicht, das Stadtzentrum aufzuwerten. Die Kriminalität sei unter der wachsenden Zahl informeller Händler geradezu explodiert, argumentierte die Stadtregierung. Mit Gummikugeln, Tränengas und Prügel vertrieb die Polizei mehrere Tausend Händler von ihren Standorten, an denen diese zwanzig Jahre ihre Verkaufsstände aufgeschlagen hatten. Ihre Waren wurden beschlagnahmt, ihre Stände zerstört.

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„Während dieser Tortur wurden die Händler fortlaufend Opfer von ausländerfeindlichen Übergriffen“, so SERI. Die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Johannesburg wollte die „Säuberungsaktion“ vor ihrer Tür nicht tatenlos mit ansehen. Zusammen mit 1200 Vertriebenen zogen ihre Anwälte vor Südafrikas Verfassungsgericht – und bekamen Recht. Mit dem Richterspruch kehrten Johannesburgs Straßenhändler wieder an ihre Plätze zurück.
Informell, aber nicht unorganisiert – so müssten Afrikas Grenzhändler arbeiten, um ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit zu genießen, meint Pat Horn. Sie ist internationale Koordinatorin von StreetNet International, einer 2002 im südafrikanischen Durban gegründeten Informationsplattform für Straßenhändler weltweit. „Sie sind bereits mit einigen ihrer Kollegen und Transportunternehmen vernetzt. Wollen sie aber mit Behörden auf beiden Seiten der Grenzen verhandeln, dann müssen sie unabhängigen Arbeiterverbänden beitreten.“

Vorbild für den sinnvollen Umgang mit Kleinhändlern

Wie Zusammenschlüsse informelle Händler unterstützen können, beweist der Simbabwische Grenzhandelsverband: Er hat an seine Mitglieder EC-Karten verteilt, die auch als Mitgliedsausweis dienen. Derzeit funktioniert die Bankkarte nur in Simbabwe. Die Gewerkschaft verhandelt mit Banken, um das Kartensystem auch auf die Nachbarländer auszuweiten. Ein Kleinhändlerbund aus Sambia versucht, die medizinische Grundversorgung seiner Mitglieder zu verbessern: Mit Hilfe der Beiträge hat er ein Stück Land bei Kasumbalesa gekauft, dem wichtigsten Grenzübergang zwischen Sambia und der Demokratischen Republik Kongo. Hier sollen eine Unterkunft, Sanitäranlagen und ein Krankenhaus für Grenzhändler entstehen.

Pierre Heistein, Ökonom an der Uni Kapstadt, warnt Afrikas Regierungen davor, die Millionen Kleinhändler in der Region aus dem Geschäft zu drängen: „Der informelle Sektor schafft ein paralleles Sozialsystem. Er unterstützt Haushaltseinkommen, wo staatliche Hilfsprogramme und die formelle Wirtschaft an ihre Grenzen stoßen.“ Ein Vorbild für einen sinnvollen Umgang mit Kleinhändlern kann COMESA sein. Im Gemeinsamen Markt für das Östliche und Südliche Afrika haben die Regierungen den grenzüberschreitenden Handel 2011 vereinheitlicht. Produkte, die auf einer Liste stehen, dürfen die Händler bis zu einem Wert von 1000 US-Dollar ohne viel Papieraufwand über die Grenze bringen. Steuerfrei. An jedem größeren Grenzposten können sie sich über die Bestimmungen informieren.

Das Prinzip ist einfach, der Nutzen groß. „Früher kamen zwei Busse pro Woche, heute sind es acht pro Tag. Es ist ermutigend zu sehen, wie das System den Handel ankurbelt“, so der Beamte Sydney Mudenda am Grenzübergang Chirundu zwischen Sambia und Simbabwe. Immer noch huschen Menschen mit Bündeln durch den Busch, versuchen am Zoll vorbeizuschleichen. Für Händler, die weder lesen noch schreiben können, ist die vereinfachte Handelszone der COMESA keine große Hilfe, so die Kritiker. Doch sie ist ein Anfang.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2016: Welthandel: Vom Segen zur Gefahr?
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