Vom Geld überrollt

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Aufbau in Afghanistan
Mit enormem Einsatz will die Staatengemeinschaft Frieden und Entwicklung nach Afghanistan bringen. Das ist bisher fehlgeschlagen. Eine Suche nach den Ursachen.

Noch herrscht kein Frieden in Afghanistan – das haben die Anschläge auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif und den US-Stützpunkt Bagram im November noch einmal deutlich gemacht. Vor 15 Jahren hat die von den USA geführte Intervention in dem Land am Hindukusch einen Krieg in Gang gesetzt, der die internationale Gemeinschaft am Ende Tausende Menschenleben und Billionen Dollar gekostet haben wird – für das Militär, aber auch für humanitäre Hilfe und Entwicklung. 2009 hatte Präsident Barack Obama Truppen und Finanzhilfen noch einmal aufgestockt. Was ist schief gegangen und wo ist das Geld gelandet?

Bei verschiedenen Reisen durch das Land und im Gespräch mit Afghanen und Ausländern hat sich für mich ein Bild davon ergeben, wie die Intervention in Afghanistan unter der Last ihrer Bürokratie und dem Fehlen einer klaren Mission zusammengebrochen ist. Besonders anschaulich wird das am Beispiel von zwei Menschen, die sich für den Aufbau des Landes engagiert haben: Peter, ein Brite, ließ nichts unversucht, ein Windenergieunternehmen zu finanzieren, das er mit drei afghanischen Freunden aufgebaut hatte. Und der afghanische Geschäftsmann Ismael wollte sein Geld mit dem Bau von Einrichtungen im Umfeld des Luftwaffenstützpunktes Bagram verdienen.

Ihr Hintergrund könnte nicht unterschiedlicher sein – doch beide waren zu Beginn optimistisch, dass die Wende in der US-amerikanischen Afghanistan-Strategie Gutes bewirken würde. Das Geld, das ins Land zu fließen begann, verhieß ihnen große Chancen. Trotzdem gerieten sie in Schwierigkeiten – schuld waren falsch gesetzte Anreize, Gebäude ohne Fundament und andere unausgereifte Pläne. An ihren Erfahrungen lässt sich zeigen, wie die Intervention aus dem Ruder gelaufen ist.

Peter kam kurz nach dem Einmarsch der US-Truppen nach Afghanistan. Der Ingenieur gründete ein florierendes Unternehmen zur Erzeugung sauberer Energie. Er hatte eine windgetriebene Pumpe entwickelt, die bestens für die Landwirtschaft in vielen Teilen Afghanistans geeignet war, wo Bewässerung nötig ist, aber der Wind nicht beständig genug bläst, um Strom für ganze Städte zu erzeugen.

Verträge nur ab zehn Millionen Dollar

Seine kleinen Turbinen boten vielen Afghanen die Möglichkeit, ihr Einkommen zu erhöhen, und seine afghanischen Partner hatten die nötigen Kontakte, um die Anlagen im ganzen Land installieren zu lassen.  Peter stand allerdings vor dem Problem, dass sein kleines Unternehmen keine Beziehungen zu großen Geldgebern hatte und auch nicht wusste, wie es sie herstellen sollte. Zu diesem Zeitpunkt begann die US-Regierung, sich für die Finanzierung genau solcher Projekte zu interessieren. Die US-amerikanische Entwicklungsorganisation USAID verwirklichte zu diesem Zeitpunkt kaum noch selbst Projekte, sondern vergab vor allem Aufträge an andere.

Die Mitarbeiter wurden größtenteils nach der „Umschlagsgeschwindigkeit“ beurteilt, also danach, wie viel Geld sie so zügig wie möglich unter das Volk bringen konnten. Das Personal war knapp, der Ausgabendruck hoch, und so waren alle daran interessiert, möglichst große Aufträge zu vergeben.

Peters Unternehmen hätte einen Zuschuss von mehreren Hunderttausend US-Dollar brauchen können. Die Botschaft teilte ihm jedoch mit, man sei nicht bereit, einen Vertrag über weniger als zehn Millionen Dollar abzuschließen. Um einen Betrag in dieser Höhe zu verwalten, hätte Peter einen Buchhalter sowie Experten für Monitoring und Evaluierung einstellen müssen, die sich mit den Vorgaben von USAID auskennen. Es hätte bedeutet, seine Firma in ein USAID-Unternehmen umzuwandeln. Da es ihm nicht gelang, für ein solches Modell einen überzeugenden Geschäftsplan aufzustellen, vergab USAID den gesamten Auftrag an ein internationales Unternehmen ohne jede Erfahrung in Afghanistan. Das geschah wiederholt, und so wurden die an den Rand gedrängt, die zuvor in der Region tätig waren. Die Entwicklungshilfe-Industrie hingegen wuchs. Peter war nicht in der Lage, in dieser verzerrten Wirtschaftswelt zu konkurrieren: Er war gezwungen, sein Unternehmen zu schließen.

Peter arbeitete auf und im Umfeld der US-Luftwaffenbasis Bagram im Nordosten des Landes. Vor den Toren des Stützpunktes stehen noch heute Wohnblocks aus der Zeit der sowjetischen Besatzung. Die Region war Mitte des 19. Jahrhunderts von den Briten besetzt, Jahrhunderte zuvor hatte hier die Armee von Alexander dem Großen ein Zeltlager unterhalten. Jetzt grenzt Bagram an einen florierenden Basar, Plünderer graben im Schatten der Außenmauern nach historischen Überresten. Die Aufstockung der Truppen machte die Basis zur wichtigsten Drehscheibe für internationale Militärs, aber auch für Entwicklungshelfer und zum Ausgangspunkt für Programme zur Bekämpfung des Taliban-Aufstandes.

Ismael, ein junger Geschäftsmann, stammt aus dieser Gegend. Mit seinem beruflichen Eifer und Englischkenntnissen war er genau der Typ des jungen Afghanen, den die internationale Gemeinschaft gerne im Rahmen ihrer Kampagnen für Entwicklung und Aufstandsbekämpfung anwerben wollte. Er kam zwar nicht aus einer der einflussreichsten Familien der Gegend, doch er hoffte, dass Demokratie und Entwicklung den Lebensstandard anheben und kleinen Unternehmen Wachstumschancen bieten würden. Um von der internationalen Präsenz zu profitieren, gründete er eine kleine Logistik- und Baufirma.

Schnell stellte er jedoch fest, dass nahezu alle Gelder der Basis an eine Handvoll internationaler Auftragnehmer gingen. Diese beschäftigten zwar afghanische Subunternehmer, bevorzugten aber eine kleine Gruppe von größeren Firmen mit Verbindungen zu lokalen Befehlshabern und ehemaligen Kriegsherren. Ismael fand heraus, dass es den örtlichen Machthabern gelungen war, ein Monopol für alle Aufträge der Militärs und Entwicklungshelfer zu schaffen. Bei den Ausschreibungen taten sie sich zusammen, um gezielt teure Angebote einzureichen und die Preise nach oben zu treiben.

Andere vereinbarten, die Gelder so aufzuteilen, dass sie einer ausgewählten Gruppe zugutekamen. Von außen sah es so aus, als gingen die Mittel an eine Vielzahl von Wettbewerbern. Bei anderen Gelegenheiten wurden Bieter mit niedrigeren Preisen unter Gewaltandrohung dazu gebracht, ihre Angebote zurückzuziehen. Sogar internationale Firmen, die versuchten, in der Region Fuß zu fassen, merkten bald, dass sie an den einheimischen Befehlshabern nicht vorbeikamen, wenn sie Straßen asphaltieren oder Lieferungen in ihre Büros erhalten wollten.

Profit aus der internationalen Präsenz schlagen

Betrachtet man die Geschichte des Afghanistan-Konfliktes durch die Augen von Peter, Ismael und der Gemeinschaften im Umfeld der Militärbasis, wird deutlich, wie der Aufstand, die Aufstockung der Truppen und die Folgezeit auf die Menschen gewirkt hat. Im Laufe dieser Entwicklungsphasen hat sich die heikle politische und soziale Landschaft in dieser Region erst herausgebildet. Den Beamten und Diplomaten auf der Militärbasis war die komplizierte Geschichte ihrer Umgebung nur wenig bewusst. Die ethnisch gespaltene Gegend war durch den Bürgerkrieg in den 1990er Jahren zerrissen worden und Heimat einer Vielzahl ehemaliger und aktueller Kriegsherren.

Sie traten während der Zeit der Truppenaufstockung nicht offen gewalttätig auf – auch, weil sie realisierten, wie viel Profit sie aus der internationalen Präsenz schlagen konnten. Stattdessen gründeten sie Bau- und Logistikfirmen und sicherten sich einen guten Teil der Großaufträge von der Militärbasis. Viele dieser Projekte sollten „Herz und Verstand“ der Menschen gewinnen, indem Geld für die Entwicklung von Gemeinwesen ausgegeben wurde. In Wirklichkeit haben diese Aufträge nur die Kriegsherren reich gemacht und die Bevölkerung weiter entfremdet.

Um besser zu verstehen, warum ihre Bemühungen auf Widerstand trafen, haben die Leute von der Militärbasis und Mitglieder der internationalen Gemeinschaft Millionen für Forschungsarbeiten ausgegeben. Darin wurde gefragt, was bei der Intervention schief gelaufen sei. Die große Mehrheit der Studien arbeitete jedoch mit westlichen Kategorien wie „Stamm“ und „Aufständische“, die der Situation vor Ort nicht gerecht werden. Sowohl Entwicklungshelfer als auch Militärs neigten dazu, in ihrer Forschung und ihren „Bedarfserhebungen“ Konzepte zu verwenden, die sich in ihren Augen in früheren Konfliktzonen wie dem Balkan oder dem Irak bewährt hatten. In Afghanistan waren sie oft überhaupt nicht nützlich.

Autor

Noah Coburn

ist Professor für Anthropologie am US-amerikanischen Bennington College. Sein Buch „Losing Afghanistan. An Obituary for the Intervention” ist im Februar 2016 bei Stanford University Press erschienen.
Programme, die in Afrika und Teilen Südasiens funktioniert hatten, wurden den Afghanen ohne Rücksicht auf den lokalen Kontext übergestülpt. So wurden Mikrokredit-Programme aufgelegt, um Geschäftsleuten wie Ismael zu helfen. Doch an Bargeld herrschte kein Mangel; ein kleines Darlehen von wenigen Tausend Dollar war für einen Unternehmer keine große Unterstützung. Außerdem konnte Ismael genauso gut zu einem örtlichen Geldverleiher gehen, wo der Papierkram weniger aufwendig war. Die örtlichen Machthaber hingegen hatten Waffen und viel mehr Geld, sie konnten jeden unliebsamen Konkurrenten leicht aus dem Geschäft drängen.

Viele gut gemeinte Studien und Projekte zeichneten ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit und verschärften zusätzlich den Konflikt. Anstatt zu helfen, die lokalen Gemeinschaften als Verbündete zu gewinnen, störte das viele Geld der Geber politische und wirtschaftliche Prozesse vor Ort und riefen bei den Menschen im Umfeld von Bagram tief verwurzelte Ressentiments wach. Die Afghanen begannen, sich innerlich von ihrer Regierung abzuwenden, die von Washington gestützt wurde. Durch die formalen Strukturen im internationalen Auftragsgeschäft floss viel Geld an ausländische Unternehmen, aber auch an jene, die mit diesen Elitekreisen in Kontakt standen. Diese Praxis unterminierte die Flexibilität, die ein Ansatz zur Aufstandsbekämpfung braucht. Ismaels Groll gegen einige der in der Region einflussreichen Kriegsherrn und Peters Versuch, sich gegen Korruption und Gewalt zu behaupten, machen das deutlich.

Am Ende scheiterte eine Strategie, die die Menschen gewinnen wollte, an kulturellen Verzerrungen und den bürokratischen Strukturen der internationalen Gemeinschaft. Trotz aller guten Absichten waren Peter und Ismael in einer Welt der Bürokratie gefangen: Wo die vielschichtige Geschichte von Bagram mit den diplomatischen und wirtschaftlichen Zwängen aus Washington und anderen Hauptstädten zusammentraf, war es fast unmöglich, vor Ort das Richtige zu tun.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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