Frau Kadago hilft, wenn Nachbarn streiten

Tansania
Wo verläuft die Grenze zwischen den zwei Maisfeldern? Hat auch die Tochter Anspruch auf ein Stück des vererbten Familien­ackers? Und wem gehört das Land, das der smarte Geschäftsmann kaufen will? Um solche Fälle kümmern sich in Tansania in einigen Dörfern ehrenamtliche Helfer.

Die Fahrt von Daressalam ins knapp 500 Kilometer entfernte Dorf Uhambingeto war wenig spektakulär, aber  interessant. Auf den letzten 25 Kilometern abseits der Hauptstraße war kaum Verkehr, abgesehen von etlichen Motorrädern, völlig überladen mit Plastikkanistern voll Bambuswein. Später erfuhr ich, dass die Fracht für die Bauern in Uhambingeto und Umgebung bestimmt war. Ulasi, wie der Wein hier genannt wird, gibt es während der Regenzeit und ist als Erfrischungsgetränk beliebt bei den Bauern, die den ganzen Tag auf ihrer Farm schuften.

Auf beiden Seiten der Straße erstreckten sich Maisfelder, soweit das Auge reichte. Natürliche Vegetation gab es nur auf einigen spärlich bewachsenen Hügeln in der Ferne. „Die Leute hier leben von der Landwirtschaft“, sagte der Fahrer meines Motorradtaxis. „Alle bauen Mais an. Einige haben bis zu 100 Hektar, andere gerade mal zwei oder drei.“

In Uhambingeto hielten wir im Hof eines kleinen Hauses. Ein paar Kinder, vier oder fünf Jahre alt, tollten herum. Ein schöner Ort, ganz in grün vom Mais rundherum. Asha Kadago, 30 Jahre alt, begrüßte uns. Sie hatte mir am Telefon erklärt, wo sie zu finden wäre.

Ihre Belohnung ist die Zufriedenheit

Frau Kadago ist eine von mehr als 600 Freiwilligen im ganzen Land, die sich in ihren Dörfern und Gemeinden darum kümmern, dass Landrechte der Einwohner gewahrt werden und Streit um Ackerland friedlich gelöst wird. Ausgebildet werden diese sogenannten Land Rights Monitors (LRMs) von der tansanischen Organisation Hakiardhi, die das Projekt ins Leben gerufen hat. Die Dörfer suchen geeignete Kandidaten und Kandidatinnen und wählen sie; von Hakiardhi werden sie dann zu Landbesitz und Landrechten in Tansania geschult. Trainiert werden außerdem Methoden der Konfliktbearbeitung, Advocacy- und Lobby-Arbeit sowie Umweltschutz.

Die Land Rights Monitors sind Freiwillige: Sie bekommen kein Geld und auch sonst keine Entschädigung, wenn sie in Konflikten vermitteln oder ihre Zeit damit verbringen, Dorfbewohner über Landrechte aufzuklären. Ihre einzige Belohnung ist die Zufriedenheit, wenn sie einen Streit geschlichtet haben oder wenn die Leute ihnen sagen, dass sie ihr Engagement schätzen.

Als Asha Kadago vor drei Jahren als Land Rights Monitor anfing, gab es sieben akute Landkonflikte in ihrem Dorf. „Seit 2014 habe ich in Dorfversammlungen und bei Sitzungen des Dorfrates über Landrechte informiert und mich für gute Beziehungen zwischen Ackerbauern und Viehhirten eingesetzt“, sagt sie. Bewusstseinsbildung nennt sie als ihre wichtigste Aufgabe: Sie hilft Konflikte zu verhindern. Deshalb sei die Zahl akuter Streitfälle gesunken – auf einen oder zwei im Jahr.

Ein Monitor braucht einen guten Ruf

Wenn benachbarte Familien streiten, geht es meist um den Verlauf der Grenze zwischen ihren Feldern. Bauern und Viehhirten wiederum kriegen Krach miteinander, wenn letztere beschuldigt werden, ihre Tiere auf Feldern grasen zu lassen. „Es gibt aber auch Konflikte innerhalb von Familien“, sagt Asha Kadago, „etwa über die Verteilung oder die Vererbung von Land. Oder über die Frage, ob eine geschiedene Frau oder eine Witwe das Land bekommt, das sie gemeinsam mit ihrem Mann besessen hat.“ Oft wird das Recht von Mädchen auf Land verletzt, weil Väter das Familienland nur an ihre Söhne weitergeben. „Das hat vor allem mit der Tradition und der Stammeskultur zu tun“, sagt Kadago.

Die junge Frau hat sich nicht vorgedrängt, Land Rights Monitor für ihr Dorf zu werden. Die Dorfversammlung hat sie gewählt, nachdem der Dorfrat sie vorgeschlagen hatte. Infrage dafür kommen nur Leute, die aufgrund ihres Verhaltens einen guten Ruf haben, lesen und schreiben können, Recht und Gesetz achten und keiner politischen Partei angehören. „Ich habe meine Nominierung akzeptiert, weil ich in meinem Dorf Aufmerksamkeit schaffen wollte für Landrechte und Fragen rund um den Landbesitz. Ich dachte, das wäre der richtige Weg, Konflikte zu lösen“, sagt Kadago.

Die meisten Streitfälle werden unter der Vermittlung von Asha Kadago gütlich beigelegt. „Die Leute kennen mich gut. Wenn sie uneins sind, dann sagen sie mir, wie sie die Dinge sehen. Ich höre mir beide Seiten an und schaue mir das Land an, um das es geht. Wenn nötig, schlage ich ihnen einen Lösungsweg vor.“ Wenn es in Familien Streit gibt, setzt sie sich mit allen Familienmitgliedern zusammen und erklärt ihnen, was sie für eine faire Lösung hielte, bei der die Landrechte aller gewahrt bleiben.

Schwer gemacht hat ihr am Anfang, dass einige Mitglieder des Dorfrates sich weigerten, sie im Dorf als Person vorzustellen, an die man sich im Konfliktfall wenden kann und die grundlegende Rechtshilfe für Landfragen leistet. Doch Asha Kadago ließ sich nicht abschrecken: „Ich habe mir Unterstützung von Dorfchiefs auf der Ebene darunter geholt. Die haben kooperiert und den Leuten meine Rolle erklärt. Das hat meine Arbeit erleichtert, und ich war schnell akzeptiert in der Gemeinde.“

Das zweitägige Training lässt viele Fragen offen

Manchmal können die freiwilligen Helfer und Helferinnen einen Konflikt nicht lösen und müssen ihn anderen Stellen im Dorf übergeben. Zuständig ist nach tansanischem Gesetz das Dorf-Landtribunal (Village Land Tribunal). Es besteht aus sieben Mitgliedern, von denen mindestens drei Frauen sein müssen, und ist befugt, Landkonflikte zu entscheiden. Die Mitglieder werden für drei Jahre gewählt und sollen sich regelmäßig zu Sitzungen treffen.

Doch in Uhambingeto funktioniert das nicht, deshalb hat Asha Kadago den Job des Tribunals übernommen. „Die Mitglieder unseres Dorf-Landtribunals sind schon sieben Jahre im Amt, was gegen das Gesetz ist“, sagt sie. „Außerdem treffen sie sich fast nie, um Konflikte möglichst früh zu entschärfen. Für mich als einziger freiwilliger Land Rights Monitor bedeutet das eine Menge Arbeit. Ohne mich müssten die Leute mit ihren Streitfällen gleich zur nächsten zuständigen Instanz auf der nächsthöheren Verwaltungsebene gehen.“ Kadago hat den Dorfrat darum gebeten, ein neues arbeitsfähiges Tribunal einzusetzen, so wie es das Gesetz vorschreibt – ohne Erfolg.

Das ist nicht ihr einziges Problem: Das zweitägige Training, das Kadago vor drei Jahren erhalten hat, hat viele Fragen offen gelassen. Und da das Bewusstsein der Dorfbewohner für Landrechte zunehmend wächst, hat sie häufig das Gefühl, nicht helfen zu können. Einmal kam ein Mann mit einer Bescheinigung über einen gewohnheitsrechtlichen Landtitel zu ihr. Diese Bescheinigung wollte er einer Bank als Sicherheit vorlegen, um einen Kredit aufzunehmen. „Er hat mich gefragt, was er dafür tun müsste. Ich konnte ihm nicht helfen, weil ich es nicht wusste. Das war mir unangenehm“, sagt Kadago. Sie schlägt vor, dass die Freiwilligen zusätzliche Trainings bekommen, um mit neuen Aufgaben und Entwicklungen Schritt zu halten.

„Ohne uns würden die Leute Gaunern zum Opfer fallen“

George Silinu, freiwilliger Land Rights Monitor im Dorf Ukelemi in der Region Southern Highlands, hat vermutlich einen leichteren Job als Asha Kadago. In seinem Dorf teilt er sich mit einer Kollegin die Arbeit. Dafür kämpft er mit einer anderen Schwierigkeit: In Ukulemi gibt es kein Dorf-Landtribunal, stattdessen kümmert sich die Dorfregierung selbst um Landstreitigkeiten. Ständige Wechsel in der Regierung gepaart mit Zankereien zwischen den politischen Parteien verhinderten immer wieder, dass die Regierung ein Tribunal einsetzt, sagt Silinu. „Ohne uns Freiwillige würden nur sehr wenige Dorfbewohner ihre Landrechte kennen. Und etliche würden Gaunern zum Opfer fallen, die Land beanspruchen, das gar nicht ihnen gehört.“ Silinu erzählt von Fällen, in denen smarte junge Männer das Land anderer Leute an Interessenten aus anderen Distrikten verkaufen wollten. Oder Bewohner von Ukulemi überreden wollten, ihr Land völlig unter Wert zu verscherbeln.

George Silinu erzählt außerdem, dass einige Mitglieder der Dorfregierung in Streitfällen eigene Interessen haben und deshalb unfaire Entscheidungen treffen. In einem dieser Fälle standen sich Hassan Nyakunga und Jeremia Kitumbika gegenüber. Kitumbika beschuldigte Nyakunga, er habe die Grenze zwischen beider Ländereien missachtet und auf seinem Land Mais gepflanzt. Mitglieder der Dorfregierung nahmen sich des Falls an und entschieden gegen Kitumbika – ohne überhaupt dessen Beweise genauer zu betrachten. „Als ich mir die Sache genauer ansah, stellte ich fest, dass der Dorfvorsteher mit dem Beschuldigten verwandt ist. Wahrscheinlich war das der Grund, dass der Fall so schnell entschieden wurde“, sagt Silinu. „Ich habe dem Kläger geholfen, den Streit vor die nächste Instanz zu bringen. Dort wurden alle Beweise geprüft, Kitumbeka gewann und bekam sein Land zurück.“

So wie Asha Kadago hat auch George Silinu sich nicht aktiv um den Posten als Land Rights Monitor beworben. Aber er war immer interessiert daran, einen solchen Job zu übernehmen. „Viele Leute bei uns wussten nichts über Landrechte und ich hielt es für eine gute Gelegenheit, sie darüber zu informieren. Außerdem dachte ich mir, dass ich selbst auch einiges lerne, wenn ich zum Land Rights Monitor ausgebildet werde.“

In anderen Dörfern haben Freiwillige ihre Arbeit schon wieder eingestellt und tun nichts mehr dafür, die Leute aufzuklären oder ihnen zu helfen, wenn ihre Landrechte bedroht sind. Manchen fehlt es einfach am nötigen Engagement, andere haben nicht genug Zeit, weil sie Geld verdienen müssen. „Manchmal ist es schon hart, die freiwillige Arbeit zu machen, wenn wir gleichzeitig noch unseren Lebensunterhalt verdienen müssen“, sagt Kisa Nyakunga, die zweite Freiwillige in Ukulemi. Zusammen mit ihrem Kollegen George Silinu will sie eine Geflügelzucht als weitere Einkommensquelle aufbauen. „Das wird uns helfen, mehr Zeit für die freiwillige Arbeit zu haben“, sagt die 30-Jährige.

Autor

Deodatus Mfugale

ist freier Journalist in Tansania.
Einige Land Rights Monitors haben aufgegeben, weil sie finden, dass ihre Arbeit jenseits der Dorfgrenzen – auf Distriktebene – nicht ausreichend gewürdigt wird. „Die Freiwilligen sind frustriert: Unsere Arbeit hilft den Behörden auf Distriktebene, denn wenn Landkonflikte zunähmen, dann wäre Entwicklungsarbeit in den Distrikten gar nicht möglich. Aber niemand weiß das zu schätzen“, sagt Kisa Nyakunga.

Bei den Erfindern der Land Rights Monitors in der Organisation Kakiardhi sieht man das Projekt dennoch als Erfolg. Die Freiwilligen hätten in ihren Dörfern das Bewusstsein für individuelle Landrechte, auch bei  Frauen, geschärft und gäben wertvollen juristischen Rat, sagt Beatha Fabian, Anwältin und eine der Geschäftsführerinnen von Hakiardhi. Sie hätten zudem dafür gesorgt, dass die Dorfregierungen ihre Rechenschaftspflicht ernster nehmen.

Sie sagt aber auch: „Wir sind noch nicht so weit, dass wir ganz ohne freiwillige Helfer aus dem Ausland auskommen. Unseren Land Rights Monitors fehlen noch einige Kenntnisse und Erfahrungen, etwa im Umgang mit Regierungsvertretern auf höheren Verwaltungsebenen. Es geht ja nicht nur um Landfragen.“ Entwicklungshelfer aus dem Ausland sollten ihre Leute in der Advocacy- und Lobby-Arbeit trainieren, um in den Dörfern Dinge in Gang zu bringen und zu verändern.

Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.

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