Daten im Dienst der Armen

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Statistik-Systeme
Für den Kampf gegen Hunger und Armut sind verlässliche Daten wichtig. Doch sie sind kein Allheilmittel – und der verantwortliche Umgang mit ihnen ist nicht geklärt.

Wissen kann Leben retten. Zum Beispiel in Liberia: Kurz nach dem Bürgerkrieg verschaffte sich die Regierung einen Überblick über die Lage und den Zustand der Wasserstellen im Land, um die Infrastruktur wiederherzustellen. Jahre später konnte sie auf diese Informationen zurückgreifen, um während der Ebola-Epidemie günstige Standorte für Kliniken festzulegen, die auf eine verlässliche Versorgung mit sauberem Wasser angewiesen waren.

Viele Entwicklungsexperten sind sich einig: Daten verantwortlich zu sammeln, zu nutzen, zu speichern und auszuwerten, birgt große Chancen im Kampf gegen Hunger, Krankheiten und Armut. Für Ernährungs-, Gesundheits- und Bildungsprogramme muss eine Regierung erst einmal wissen, wie viele Menschen in ihrem Land Unterstützung brauchen, wo sie leben und wie sie am besten erreicht werden können. Um zu sehen, was wirkt, um die Fortschritte zu dokumentieren oder gegenzusteuern, müssen erneut Daten erhoben werden. Das Versprechen, auch die Ärmsten und Verletzlichsten mitzunehmen, erhöht den Druck.

Die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs), die in den Vereinten Nationen beschlossen wurden und bis 2030 erreicht werden sollen, lassen die Rufe nach einer soliden Datengrundlage immer lauter werden. Die SDGs sind in 169 Unterziele ausdifferenziert. Um Gleichberechtigung der Geschlechter zu erreichen, soll etwa jegliche Form von Gewalt gegen Frauen unterbunden werden. Wieweit die Ziele erreicht werden, soll mit Hilfe von 231 Indikatoren gemessen werden, beispielsweise indem man sexualisierte Gewalt statistisch erfasst.

Keine aussagekräftigen Daten zur Armut

Doch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellt in ihrem diesjährigen Bericht zur Entwicklungszusammenarbeit fest: Für zwei Drittel der Indikatoren, mit denen die SDGs gemessen werden sollen, sind keine Daten vorhanden. Lediglich die Hälfte aller Länder weltweit verfüge über ein vollständiges Geburtenregister, 77 Entwicklungsländer hätten keine aussagekräftigen Daten zur Armut in ihrer Bevölkerung. Und in nur 37 Ländern entsprächen die Statistikgesetze den Standards der Vereinten Nationen.

Statistiken über Gewalt gegen Frauen seien in den meisten Staaten äußerst lückenhaft, kritisiert Sarah Hendriks von der Bill & Melinda-Gates-Stiftung. Zudem würden viele Daten nicht nach Geschlechtern getrennt gesammelt, so dass grundlegende Informationen über die Lebensumstände von Mädchen und Frauen fehlten, erklärt sie in einem Beitrag für den OECD-Bericht: wann sie geboren sind, wie viele Stunden sie arbeiten, ob und wie hoch sie bezahlt werden. Das führe häufig dazu, dass Förderprogramme nicht an den richtigen Stellen ansetzten.

Die OECD ruft ihre Mitglieder auf, die „Macht der Daten“ für nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Sie sollten Gesetze, Regeln und Standards festlegen und mehr Geld für funktionierende Statistik-Systeme in Entwicklungsländern und die Ausbildung von Fachleuten bereitstellen. 2015 wurden dafür lediglich 541 Millionen US-Dollar ausgegeben, das entspricht einem Anteil an der gesamten offiziellen Entwicklungshilfe (ODA) von 0,3 Prozent.

Die meisten Daten sind im Besitz privater Firmen

Dem wachsenden Bedarf an Daten steht ein wachsendes Angebot gegenüber: Wenn Menschen ins Internet gehen oder ihre Handys nutzen, um zu telefonieren, Geld abzuheben oder online einzukaufen, werden große Mengen Daten gesammelt und gespeichert. Daraus können Informationen darüber abgeleitet werden, wann sie wohin gehen oder fahren, wie sie sich ernähren, wieviel Geld sie haben und ob sie krank sind. GPS-Daten sowie Aufnahmen von Drohnen und Satelliten verraten Aufenthaltsorte und liefern Bewegungsprofile. Der größte Teil dieser Daten befindet sich allerdings im Besitz privater Firmen wie Google, Facebook oder den Mobilfunkbetreibern. Wer darf sie verwenden und unter welchen Bedingungen? In welcher Form müssen sie aufbereitet werden, damit sie nutzbar und über verschiedene Regionen oder Länder hinweg vergleichbar sind? Und welche Gesetze und Regeln sind nötig, um die Datensicherheit zu gewährleisten und die Persönlichkeitsrechte zu wahren?

Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Global Partnership for Sustainable Development Data (GPSDD), die vor zwei Jahren nach der Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba gegründet wurde. Unter den rund 250 Mitgliedern sind Regierungen von Entwicklungs- und Industrieländern, Denkfabriken, nichtstaatliche und internationale Organisationen sowie die Privatwirtschaft. Big-Data-Schwergewichte wie Facebook, Microsoft, IBM und der weltweite Verbund der Mobilfunkbetreiber GSMA gehören dazu, aber auch NGOs wie Care, HelpAge, die Open Knowledge Foundation und kleine Software-Start-Ups.

Bessere internationale Regulierung erforderlich

GPSDD-Geschäftsführerin Clare Melamed versteht die Partnerschaft als „Plattform und Katalysator“ für den Austausch zwischen allen, die Daten sammeln und analysieren. Doch das Sekretariat, das diesen Austausch steuern soll, ist finanziell und personell sehr knapp ausgestattet. Unklar ist auch, wie die Selbstverpflichtungen der Mitglieder überwacht werden. Die sind sehr unterschiedlich anspruchsvoll und messbar: Facebook etwa hat für das erste Treffen des Netzwerkes 2016 seine Räume zur Verfügung gestellt, IBM will 60 Millionen US-Dollar in die Ausbildung von IT-Expertinnen und -experten in Afrika investieren und Microsoft erklärt eher vage, man wolle auf Länderebene neue Daten-Strategien unterstützen, damit Regierungen über Fortschritte bei den SDGs berichten können.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".
Claudia Schwegmann von der Open Knowledge Foundation sieht deshalb die Gefahr, dass die beteiligten Unternehmen die Partnerschaft vor allem für ihre eigenen Interessen nutzen – etwa, um leichter an Telekommunikationsdaten zu gelangen oder Pilotprojekte finanziert zu bekommen, die technisch interessant sind, das Monitoring der SDGs jedoch kaum verbessern. Die Partnerschaft könne aber durchaus die Diskussion darüber fördern, wie die Sammlung, Speicherung und Verbreitung von Daten international besser reguliert werden kann. Dazu zählten technische Mindeststandards etwa bei der Weiterleitung von sensiblen Informationen im Gesundheitsbereich oder bei der Sicherheit von Servern, aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, sagt Schwegmann. In diese Debatte sollte sich auch die Bundesregierung stärker einbringen, fügt sie hinzu – doch die fehlt auf der Mitgliederliste der GPSDD, im Gegensatz zu den USA, Frankreich, Italien und Großbritannien.

Neben all der Begeisterung über neue Datenquellen privater Anbieter plädiert Schwegmann wie die Experten der OECD dafür, vor allem die behördlichen Statistik-Systeme in armen Ländern zu stärken – damit tatsächlich niemand vergessen wird. Denn die ärmsten und am meisten benachteiligten Menschen können sich häufig noch immer kein Handy, Smartphone oder Internet leisten, wissen nicht, wie sie mit den neuen Technologien umgehen sollen, oder haben schlicht keinen Strom. Sie können nur auf altmodische Weise erreicht und befragt werden: Von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Statistikbehörde, die an ihre Haustür klopfen, möglicherweise ausgerüstet mit einem Tabletcomputer oder einem Smartphone.

Big Data ist auch aus einem anderen Grund kein Patentrezept für Entwicklung. Viele soziale Veränderungen lassen sich nicht mit Hilfe von Kennzahlen erfassen: Das wachsende Selbstbewusstsein von Frauen etwa, die gelernt haben, sich für ihre Rechte einzusetzen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2017: Internet: Smarte neue Welt
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