Digitaler Kolonialismus

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Free Basics von Facebook
Der Internetkonzern ­Facebook bietet armen Menschen in Entwicklungsländern einen kostenlosen, aber begrenzten Zugang zum Internet. Was haben sie davon?

Menschen am Rande der Gesellschaft das weltweite Netz zu erschließen – das hat sich Facebook mit Free Basics auf die Fahnen geschrieben. Und das internationale Netzwerk von Bloggern und Bürgerjournalisten Global Voices hat sich in Kolumbien, Ghana, Kenia, Mexiko, Pakistan und auf den Philippinen angeschaut, was von diesem vollmundigen Versprechen zu halten ist.

Free Basics ist eine von Facebook entwickelte App für das Smartphone, die Nutzern den Zugang zu einer kleinen Auswahl von Internetseiten und -diensten ermöglicht. Die Seiten enthalten weder Fotos noch Videos und können angeschaut werden, ohne dass für die mobile Onlineverbindung bezahlt werden muss. Facebook wirft dem Nutzer damit ein Appetithäppchen hin und hofft, einen Anreiz zu schaffen, dass sie für Dienste bezahlen – das wiederum bringt weitere Menschen online und trägt dazu bei, ihr Leben zu verbessern.

Der Bericht von Global Voices bringt jedoch einige Schwachstellen ans Tageslicht: Lokale Sprachen werden weitgehend ausgeklammert, die Nutzer werden mit einer Flut von Diensten privater Unternehmen aus den USA überschwemmt, es werden riesige Mengen von Metadaten gesammelt und die Prinzipien der Netzneutralität werden verletzt. „Facebook führt Menschen nicht an ein offenes Internet heran, in dem sie Neues lernen können“, sagt die Advocacy-Direktorin von Global Voices, Ellery Biddle. „Das Unternehmen errichtet vielmehr ein eng begrenztes Netz, das den Nutzer in einen passiven Konsumenten meist westlicher Werbung verwandelt. Das ist digitaler Kolonialismus.“

Für seinen Dienst, der inzwischen in 65 Ländern angeboten wird, arbeitet Facebook mit einheimischen Mobilfunkbetreibern zusammen. Sie sagen zu, dass bei der Nutzung der App keine Kosten für die Datenübertragung entstehen. Facebook liefert die technischen Voraussetzungen dafür, dass das für sie so günstig wie möglich ist. Jede Version wird an die lokalen Bedürfnisse angepasst und bietet so ein jeweils leicht unterschiedliches Set von bis zu 150 Seiten und Diensten.

In Mexiko nur eine einzige lokale Website

Doch die meisten Dienste mit der prominentesten Platzierung kommen von privaten US-Unternehmen – egal, in welchen Land die App genutzt wird. Dazu zählen die Wettervorhersage AccuWeather, die Nachrichten der BBC, die Suchmaschine Bing, die Ratgeberseite für Schwangere und Eltern BabyCenter und der Sportsender ESPN. Außer Facebook werden keine sozialen Netzwerke angeboten; und es gibt kein E-Mail-Programm.

Daneben gibt es zwar länderspezifische Angebote – doch deren Auswahl folgt nicht den lokalen Bedürfnissen, sondern richtet sich danach, ob ein Unternehmen seinen Internet-Auftritt den Erfordernissen der Free-Basics-Plattform angepasst hat. So fehlen in Ghana beliebte Seiten wie die Nachrichtenportale MyJoy­Online und CityFM. In der mexikanischen App, die vom Unternehmen Telcel angeboten wird, gibt es auf der ersten Seite nur eine einzige einheimische Webseite: Sie wirbt für die Stiftung des Milliardärs und Telcel-Geschäftsführers Carlos Slim. Absurderweise bietet dieselbe App außerdem zwei nigerianische Webseiten und ein regionales Nachrichtenportal für Argentinien. Einheimische Sprachen werden kaum berücksichtigt – kenianische Nutzer können zwar eine Verbindung in Englisch oder Kisuaheli wählen, doch die meisten Dienste werden nur auf Englisch angeboten. Das gilt auch für Ghana, obwohl Twi und Hausa dort weit verbreitet sind.

Wenn ein Nutzer Informationen außerhalb des eng umzäunten Gartens suchen will, erscheint sofort ein Pop-Up, mit dem er aufgefordert wird, ein höheres Datenvolumen zu kaufen. Free Basics ermöglicht zwar den Zugang zur Suchmaschine Bing. Bei einer Suche werden jedoch nur Ausschnitte von Listen angezeigt; wer eines der Ergebnisse vollständig anschauen will, muss bezahlen. Auf Facebook können Nutzer Links zu Nachrichten und Blogs zwar sehen, aber nicht lesen.

„Die Leute reagieren auf Artikel nur aufgrund der Überschriften und nicht aufgrund des kompletten Textes“, kritisiert Mong Palatino, der die philippinische Version getestet hat. „Das macht es schwieriger, Fake News zu identifizieren.“ Angesichts der Werbung für Free Basics ist das besonders schräg. „Sie gaukelt den Nutzern vor, dass es sich um freies Internet handelt. Dann stellt sich heraus, dass die App gar nicht das komplette Netz abdeckt“, sagt Palatino. „Das führt die Menschen in die Irre und verführt sie dazu, zu denken, diese Seiten und Dienste sind unverzichtbar.“

Ein bisschen Internet – besser als gar keins?

Die Bevorzugung bestimmter Seiten und Dienste gefährdet zudem die Netzneutralität. Aus diesem Grund hat die indische Regierung Free Basics abgelehnt. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg entgegnet, ein bisschen Internet sei besser als gar keins. „Der Streit um die Netzneutralität sollte nicht missbraucht werden, um die am meisten benachteiligten Menschen am Zugang zum Internet zu hindern“, schrieb er 2015 auf Facebook. Gennie Gebhard von der Electronic Frontier Foundation kann dieser Ansicht nichts abgewinnen: „Facebooks Bemühungen, den Menschen das Internet und größere Wahlmöglichkeiten zu bieten, sind begrüßenswert“, sagt sie. „Aber es ist unklar, ob das sein wirkliches Ziel ist. Facebook hat auch eine Verantwortung gegenüber seinen Investoren – und die bedient es, indem es Nutzerinnen und Nutzer anlockt und mehr Klicks auf seinen Seiten generiert.“

Welches Ziel Facebook auch verfolgt – Free Basics bringt dem Unternehmen eine weitere Schatztruhe voll mit Daten: alle Aktivitäten der App-Nutzer laufen über seine Server. Es kann verfolgen, wer welche Seiten von anderen Anbietern besucht, wann er das tut und für wie lange. „Das Programm hat für Facebook wichtige neue Wege eröffnet, Daten zu sammeln über die Gewohnheiten und Interessen von Nutzern in Ländern, in denen Facebook stark sein will, wenn immer mehr Menschen online gehen“, resümiert Global Voices.

Trotz seiner Mängel ist Free Basics schnell gewachsen und wird laut Facebook inzwischen von 50 Millionen Menschen genutzt. Allerdings vor allem von denen, die ihr Datenvolumen kostenlos erweitern wollen und weniger von denen, die vorher keinen Zugang zum Internet hatten – und das ist die ursprüngliche Zielgruppe. „Es ist kein guter Ansatz, um Menschen online zu bringen, aber es hilft denen, die schon online sind, Kosten zu sparen“, sagt Dhanraj Thakur von der Allianz für ein erschwingliches Internet.

Autorin

Olivia Solon

beschäftigt sich als Reporterin in San Francisco für den „Guardian“ mit IT-Themen. Dort ist ihr Text im Original erschienen.
Facebook hat nicht auf die Fragen geantwortet, wie vielen Menschen es den ersten Kontakt mit dem Internet ermöglicht hat, wie es die Inhalte in den Apps platziert und wie das Unternehmen den Erfolg des Projektes misst. Eine Sprecherin erklärte jedoch, die Studie von Global Voices habe sich nur mit wenigen Märkten beschäftigt. Free Basics sei zudem eine offene Plattform, an die jeder Anbieter seine Dienste anpassen könne. „Bei Free Basics arbeiten wir mit Partnern und Entwicklern daran, dass Menschen in aller Welt wichtige Dienste für Gesundheit, Bildung und wirtschaftliche Aktivitäten erhalten“, betonte sie.

Thakur hingegen fände es besser, armen Menschen ein begrenztes kostenfreies Datenvolumen zur Verfügung zu stellen, mit dem sie das gesamte Netz nutzen können. Gebhart von der Electronic Frontier Foundation gibt zu bedenken, die Datenübertragung sei nur eines der vielen Probleme, die gelöst werden müssten, um Menschen an das Internet anzuschließen. Sie zählt weitere Hindernisse auf: Verfügbarkeit, digitale Alphabetisierung, Strom und nicht zuletzt der Besitz eines Smartphones.

Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.

Permalink

Das passiert, wenn wir unsere Netze privaten Firmen überlassen, die Netzneutralität geht verloren. Facebook ist auf einem verlogenen Prinzip aufgebaut, das vorgaukelt, sich mit anderen zu verbinden, jedoch in Wirklichkeit die Daten sammelt, um sich durch Werbung zu finanzieren. Die Blase wächst und wächst. Letztlich bietet Facebook ein enormes Suchtpotential, das die Zeit von Menschen verschwendet, um Katzenfotos und andere nicht weiterbringende Informationen zu tauschen, und eben um zahlenden Firmen nützliche Daten zu liefern.
Das sind Dinge, die nicht erst seit wenigen Wochen bekannt sind.
Eine Alternative, wenn es wirklich um gleichberechtigten Austausch geht, scheint Diaspora zu sein.
https://diasporafoundation.org/
Dass Facebook grundsätzlich natürlich wirtschaftliche Interessen umsetzt und dass dabei soziale Werte kaum eine Rolle spielen, zeigt schon der Ursprung von Facebook, welches wohl auf einer gestohlenen Idee beruht. http://www.businessinsider.com/how-facebook-was-founded-2010-3?op=1&IR=T/#ey-made-a-mistake-haha-they-asked-me-to-make-it-for-them-2

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erschienen in Ausgabe 12 / 2017: Internet: Smarte neue Welt
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