„Spenden zementieren das Bild des bedürftigen Südens“

Kinderpatenschaften
Die Erziehungswissenschaftlerin Marina Wagener hat untersucht, was Schülerinnen und Schüler von Kinderpatenschaften lernen – und was nicht.

Kinder und Jugendliche sollen in der Schule ein Verständnis für die ungleichen Lebensverhältnisse auf der Welt und deren Ursachen entwickeln – das ist als Ziel in den Bildungsplänen der Bundesländer festgeschrieben. Kann eine Kinderpatenschaft dazu beitragen? Marina Wagener von der Uni Bamberg hat 29 Gruppengespräche mit Elf- bis 19-Jährigen geführt, die mit ihrer Schulklasse Patenkinder im Süden hatten, um herauszufinden, was sie gelernt haben.

Was erhoffen sich Lehrer davon, wenn ihre Klasse ein Patenkind in Afrika, Asien oder Lateinamerika hat?
Eine Kinderpatenschaft ist eine Form, internationale Solidarität zu leben, und bietet einen besonders leichten Zugang, sich helfend zu engagieren. Man erhofft sich, dass man damit Kinder und Jugendliche besonders gut an komplexe globale Fragen heranführen und sie für soziale Ungleichheiten sensibilisieren kann.

Was tun die Kinder und Jugendlichen für ihr Patenkind?
Sie müssen einen gewissen Spendenbetrag sammeln, durchschnittlich sind das 30 Euro im Monat. Das wird in manchen Fällen über geringe monatliche Beiträge aufgebracht, durch Sponsorenläufe oder den Kuchenverkauf auf dem Schulfest. Die Jugendlichen erhalten Informationen über das Kind, seine Lebensverhältnisse, über das Land, in dem es lebt. Mit dem Geld wird in der Regel ein Entwicklungsprojekt gefördert, von dem das Kind profitiert. Die meisten Jugendlichen haben außerdem Briefkontakt zu ihrem Patenkind, das variiert von einem Brief in zwei Jahren bis zu zwei, drei Briefen pro Halbjahr. In einzelnen Fällen kommen Mitarbeitende der Organisationen, die die Patenschaften vermitteln, an die Schulen und berichten über das Kind oder die Projektarbeit.

Wie lange halten die Patenschaften?
In manchen Schulen fängt das Engagement in der 5. Klasse an und die Patenschaft besteht bis zum Ende der Schulzeit. Wenn die Jugendlichen die Schule verlassen, setzen die neuen Fünftklässler die Verbindung fort. Andere Schulen organisieren die Patenschaft über Arbeitsgemeinschaften mit wechselnden Jugendlichen. Manchmal wechselt auch das Patenkind.

Was lernen die Kinder und Jugendlichen aus der Patenschaft?
Sie nehmen sie als persönliche Hilfeleistung und als eine Form der Wohltätigkeit zwischen Nord und Süd wahr. Die Hintergründe von Entwicklungsproblemen und strukturelle Zusammenhänge bleiben ausgeblendet. Es wird damit also ein nicht mehr aktuelles Bild von Entwicklung vermittelt – im Gegensatz zu einem breiteren Verständnis, das sich in der Agenda 2030 und den UN-Nachhaltigkeitszielen widerspiegelt, die ja für alle Länder gelten. Das Verständnis von Entwicklung, nach dem der reiche Norden dem armen Süden hilft, ist ja in der Bevölkerung noch breit verankert. Und das wird ohne Differenzierung übernommen.

Machen jüngere Schülerinnen und Schüler andere Erfahrungen als ältere?
Ja, in den Ergebnissen deutet sich hier eine leichte Tendenz an. Für die Jüngeren ist vor allem die persönliche Fürsorgebeziehung zu dem Kind wichtig. Das Patenkind kommt als Freund, als Familienmitglied in den Blick. Manche haben berichtet, dass sie mehr Geld spenden wollen, weil es in der Familie des Patenkindes infolge einer Scheidung Konflikte gibt. Das sind erst einmal schöne Ideen. Wenn man sich aber die Ziele des globalen Lernens vor Augen hält, reicht es nicht aus. Globale Entwicklungsfragen werden vernachlässigt.

Wie sehen ältere Jugendliche die Patenschaften?
Kinderpatenschaften setzen ja auf das eigene Erleben: Ich kann eine Person, die von Armut betroffen ist, kennenlernen, ich kann ihr selbst helfen. Viele, tendenziell ältere Jugendliche bezweifeln jedoch die Authentizität dieses Kontaktes. Der Briefkontakt, die analoge Form der Kommunikation, erscheint ihnen nicht als tatsächlicher Austausch. Sie fragen sich: Was passiert eigentlich mit dem Geld? Gibt es das Projekt überhaupt?

Würden Sie den Schulen empfehlen, auf Kinderpatenschaften zu verzichten?
Die Studie zeigt deutlich, dass Kinderpatenschaften alleine kein gelingendes globales Lernen ermöglichen. Dass Lernen möglich wird, erfordert einen Reflexionshintergrund, der deutlich über die Patenschaft hinausgeht. Der Einzelfall muss gezielt in einen allgemeineren Kontext gestellt werden. Wenn das Patenkind zum Beispiel aus Bangladesch kommt, könnte man den Blick auf die Verhältnisse im Land oder auch globale Zusammenhänge wie die Textilproduktion oder den Klimawandel weiten und damit die Lebenssituation des Kindes in einen Zusammenhang stellen. Oder man könnte das Thema Kinderarbeit ansprechen. Stereotype Vorstellungen von Entwicklung müssen durch Irritation in Frage gestellt werden. Wenn Spenden im Spiel sind, ist das allerdings schwierig, denn mit Spenden wird die Perspektive des gebenden Nordens und des bedürftigen Südens zementiert.

Es wäre günstiger, die Vermittlung von Wissen und Erfahrung vom Spenden zu entkoppeln?
Ja, aber gleichzeitig ist es natürlich eine Herausforderung, andere Formen der gelebten Solidarität zu finden. Doch wenn Kinderpatenschaften oder andere Projekte von Hilfswerken an Schulen stattfinden, dann müssen diese Angebote einen Beitrag zum Lernen leisten. Die Schule hat einen Bildungsauftrag, da geht es nicht in erster Linie um Fundraising.

Was geschieht nun mit Ihren Ergebnissen?
Ich habe sie zurückgespielt an die Organisationen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Jetzt liegt es an ihnen, in die Kommunikation mit den beteiligten Schulklassen zu gehen und zu überlegen, was das für ihre Arbeit heißt. Einige Patenschaftsorganisationen haben meine Anfrage zur Kooperation abgelehnt. Ich hoffe, dass auch sie die Ergebnisse wahrnehmen und reflektieren.
Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.

Zum Weiterlesen: Marina Wagener: Globale Sozialität als Lernherausforderung, Springer-Verlag, Wiesbaden 2018

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erschienen in Ausgabe 12 / 2017: Internet: Smarte neue Welt
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