Großversuche mit der Erde

Geo-Engineering
Aufforsten, Kohlendioxid in den Boden pressen, Teile der Sonnenstrahlung abschirmen – so kann theoretisch die Erderwärmung gebremst werden. Doch solche Techniken des Geo-Engineering sind stark umstritten. Sind sie allesamt zu riskant oder werden wir auf einige nicht verzichten können?

Damit die Erderwärmung unter zwei Grad bleibt, müssten die Emissionen stark sinken. Das zeichnet sich nicht ab. Müssen wir Optionen für Geo-Engineering prüfen?

Minx: Das hängt davon ab, was man darunter alles fasst. Methoden, die das Sonnenlicht zurückwerfen und so den Planeten künstlich kühlen sollen, sollten wir vermeiden. Ich bin aber sehr skeptisch, dass wir ohne Methoden auskommen, die der Atmosphäre Kohlendioxid wieder entziehen, sogenannte negative Emissionen. Auch darauf soll man aber so wenig wie möglich zurückgreifen müssen – deswegen müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen so weit wie möglich reduzieren.

Schneider: Auf keinen Fall kommen wir darum herum, die Emissionen viel radikaler zu senken. Um die Erderwärmung auf 2 Grad oder sogar 1,5 Grad zu begrenzen, ist eine sozial-ökologische Transformation nötig. Technologien des Geo-Engineering werden uns da nicht helfen und sie würden andere soziale und ökologische Krisen verschärfen.

Um Sonnenlicht zurückzuwerfen, wird überlegt, Aerosole hoch in der Atmosphäre zu versprühen. Da kommen sie auch nach Vulkanausbrüchen hin. Was spricht dagegen?

Minx: Man kann damit theoretisch eine Zeit lang eine übermäßige Erderwärmung vermeiden. Das würde aber nichts daran ändern, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre weiter steigt und damit zum Beispiel die Ozeane weiter versauern. Wenn wir das sogenannte Solar-Radiation-Management dann einstellen, würde die Durchschnittstemperatur sprunghaft hochschnellen. Darüber hinaus hätte es Auswirkungen zum Beispiel auf Wasserkreisläufe: In einer Region würde sich der Wasserhaushalt verbessern, in einer anderen verschlechtern. Wie sollte man darüber einen internationalen Konsens finden?

Schneider: Da bin ich mit Herrn Minx einig. Und die Technologie kann internationale Konflikte verursachen: Noch ist sie vermutlich Jahrzehnte von der Einsatzfähigkeit entfernt, aber wenn es einmal soweit wäre, bestünde die große Gefahr, dass Großmächte mit einer starken Luftwaffe sie unilateral anwenden. Wir von der Böll-Stiftung fordern, Technologien des Solar-Radiation-Managements zu verbieten, weil ihre Entwicklung und ihr Einsatz zu gefährlich wären.

Sie haben aber auch Einwände gegen negative Emissionen?

Schneider: Großtechnologien, die CO2 aus der Atmosphäre holen sollen, gehen nicht die Ursache des Klimawandels an, nämlich unsere Produktions- und Konsummuster. Die verursachen den Ausstoß an Treibhausgasen.

Minx: Da möchte ich nicht widersprechen. Fakt ist aber: Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre verursacht den Treibhauseffekt und wird mit negativen Emissionen gesenkt. Für das 1,5-Grad-Ziel bleibt uns noch ein Restbudget von etwa 200 Gigatonnen CO2. Wer meint, für dieses Ziel brauchten wir keine negativen Emissionen, soll mir bitte sagen, wie wir die gesamten künftigen Emissionen auf 200 Milliarden Tonnen begrenzen sollen. Zurzeit stoßen wir jedes Jahr 40 Gigatonnen aus. Wie sollen wir die Weltwirtschaft in ungefähr fünf Jahren auf null Emissionen bringen – oder selbst in 15 Jahren? Kein Szenario des Weltklimarates erreicht das 1,5-Grad-Ziel ohne negative Emissionen.

Für das 2-Grad-Ziel geht das noch?

Minx: Nach einigen Szenarien ja. Aber selbst dann: Im Pariser Klimaabkommen steht, dass die Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts CO2-neutral werden soll. Können wir wirklich jegliche von Menschen verursachten Emissionen vermeiden? Für mich ist offensichtlich, dass wir das nicht können. Also brauchen wir in gewissem Maß negative Emissionen.

Schneider: Ich glaube nicht, dass eine neue Großindustrie, die der Atmosphäre CO2 entzieht, zu geringeren Emissionen führen würde. Es vermindert den politischen Druck für wirksamen Klimaschutz, wenn man Phantom­-techniken in die Modelle einrechnet und davon ausgeht, dass man in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vorherige Emissionen wieder bereinigen kann.
Gibt es Anzeichen, dass dies den Klimaschutz bremst?

Minx: Diese Gefahr besteht. Aber in den internationalen Klimaverhandlungen geht nicht deshalb so wenig voran, weil in den Modellen negative Emissionen auftauchen. Ich habe am letzten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) mitgearbeitet und mit vielen Entscheidungsträgern gesprochen. Es war sehr schwierig für den IPCC, denen zu erklären, dass für viele Szenarien negative Emissionen nötig sind; das war vielen gar nicht klar.

Schneider: Es mag sein, dass vielen Politikern nicht bewusst ist, was negative Emissionen bedeuten. Trotzdem ermöglichen sie Szenarien, nach denen die Emissionen langsamer sinken, und diese Szenarien werden zur Entscheidungsgrundlage. Wie problematisch das ist, sieht man daran, dass Öl- oder Kohleunternehmen die Techniken für negative Emissionen super finden. Und es gibt einige wenige Szenarien, ohne negative Emissionen das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Minx: In fünf Jahren die Weltwirtschaft dekarbonisieren ohne irgendeine Kompensationstechnik?

Schneider: Es gibt nicht nur technologische, sondern auch natürliche Wege, CO2 zu binden, also natürliche Senken. Die schützen auch Biodiversität und Landrechte. Diese Strategien sollten viel stärker verfolgt werden.

Unter Geo-Engineering fallen erstens Methoden, zu manipulieren, wie viel Sonnenstrahlung die Erde erwärmt. Die meisten sind bloße Zukunftsvisionen. Die zweite Gruppe sind Techniken, der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Der UN-Weltklimarat ...

Minx: Deshalb ist es wichtig, hier zu differenzieren. Unter „negativen Emissionen“ werden auch Technologien gefasst, die schon in der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 anerkannt sind, zum Beispiel Aufforstung und Biokohle. Hierbei werden Pflanzen verkohlt – etwa zu Holzkohle – und im Boden gelagert, was zugleich düngt. Das fasst der Weltklimarat unter konventionellen Klimaschutzstrategien.
Schneider: Aufforstungen mit Monokulturen und Biokohle in industriellem Maßstab sind keine Renaturierung von natürlichen Senken und sollten als Geo-Engineering gelten. Dass der Weltklimarat sie teilweise unter Klimaschutz einordnet, kann man durchaus kritisieren. Die UN-Biodiversitätskonvention hat im Jahr 2010 einstimmig ein De-facto-Moratorium für klimabezogenes Geo-Engineering verabschiedet wegen der absehbaren Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Sie fasst darunter auch Technologien, die CO2 der Atmosphäre entnehmen, weil auch die in großem Maßstab in Ökosysteme eingreifen. Im Übrigen haben sie Rückwirkungen auf andere Teile des Erdsystems. Wenn wir zum Beispiel der Atmosphäre CO2 entziehen und es speichern, werden Senken wie der Ozean weniger CO2 aufnehmen oder sogar welches freisetzen, bis sich ein neues Gleichgewicht zwischen der Konzentration im Meer und in der Luft einstellt. Der CO2-Anteil in der Luft sinkt, aber nicht um die gesamte Menge, die wir entnehmen.

Minx: Das ist aber in den Modellergebnissen zum Einsatz negativer Emissionen, die vom IPCC analysiert wurden, bereits eingerechnet.

Die Modelle unterstellen ein starkes Wirtschaftswachstum. Erscheinen negative Emissionen deshalb alternativlos?

Schneider: Richtig. Alternativen dazu werden nicht erfasst – zum Beispiel, dass wir zu einer Kreislaufwirtschaft übergehen und uns von der industriellen Landwirtschaft verabschieden, die wahnsinnig viele Emissionen erzeugt.

Minx: Ich sympathisiere mit einer Kritik am Wirtschaftswachstum. Aber Modellexperimente zeigen, dass der Übergang zu einer Gesellschaft ohne Emissionen keine grundlegend anderen Anforderungen stellt, wenn die Weltwirtschaft weniger wächst. Und man muss dann die nötigen Investitionen, etwa in erneuerbare Energie, aus einer kleineren Wirtschaft bezahlen.

Welche Techniken, mehr Kohlenstoff biologisch zu binden, sind denn einsetzbar?

Minx: Aufforstung und die Bindung von CO2 in Böden werden schon genutzt. Stark erforscht wird Biokohle. Erledigt ist im Grunde die Diskussion über eine Düngung der Ozeane. Abgesehen davon, dass das Nebeneffekte hätte wie Versauerung der Meere, ist sehr zweifelhaft, ob man mit dem Verfahren überhaupt größere Mengen CO2 binden kann.

Schneider: Als erstes sollte die Abholzung bestehender Wälder enden. Lokal angepasste Wege, mehr CO2 biologisch zu binden, etwa Renaturierung von Wäldern und Mooren, sind natürlich gut und richtig. Das ist auch als Anpassungsstrategie an den Klimawandel sinnvoll. Aber nach einem globalen Masterplan dafür Flächen zuzuteilen wäre sehr problematisch. Bäume hinzustellen, wo vorher keine waren, kann mit großen Problemen behaftet sein. Zum einen folgt das oft Kapitalinteressen mit der Folge, dass Monokulturen geschaffen werden. Zum anderen verlieren dabei Menschen Nutzungsrechte für ihren Lebensunterhalt.

Minx: Bei allen biologischen Methoden der Kohlenstoffbindung geht es um das Wie. Es stimmt, dass wir bisher überwiegend Monokulturen geschaffen haben. Aber die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft bedeutet eben, dass wir viele, viele Dinge ganz anders machen müssen. Wie es bisher war, darf kein Argument sein, Schritte wie Aufforstung auszuschließen. Stattdessen muss geklärt werden, unter welchen Bedingungen sie nutzbar sind oder auch nicht.

Wie steht es mit Techniken, CO2 aus Abgas oder der Luft abzuscheiden und zum Beispiel im Gestein zu lagern?

Minx: Die direkte CO2-Entnahme aus der Luft mit Hilfe sogenannter künstlicher Bäume wird in der Schweiz erprobt. Aber das ist noch weit davon entfernt, im großen Maßstab eingesetzt zu werden – und die Kosten sind hoch. Günstiger ist, CO2 mit Pflanzen zu binden, diese zur Energiegewinnung zu verfeuern und dabei das CO2 aufzufangen – also Bioenergie mit Carbon Capture und Storage, kurz BECCS. Hier hinkt die Forschung für Abscheidung und Lagerung hinter den Plänen her, es gibt nur einzelne Demonstrationsprojekte. Zudem beruht BECCS auf Bioenergie, und deren Erzeugung ist begrenzt, der Landbedarf ist groß. Allerdings: Wenn wir auf BECCS verzichten, benötigen wir nicht weniger, sondern mehr Bioenergie, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Denn dann müssen wir noch schneller fossile Brennstoffe durch biologische ersetzen. Ich bin kein Fan von BECCS. Aber wenn man ein Mittel streicht, muss man immer fragen: Wie kann man dann das Ziel erreichen?

Schneider: Aber sollten wir uns auf Techniken verlassen, die noch nicht existieren? Die Abscheidung und Lagerung von CO2 ist noch nicht im großen Maßstab einsetzbar, es gibt nur 17 Anlagen auf der Welt. Zudem beruht BECCS auf der falschen Annahme, dass Bioenergie CO2-neutral wäre. Das ist sie nicht. Zum einen wird CO2 emittiert, wenn man Land für den Anbau von Energiepflanzen freimacht. Zum anderen müssen schnell wachsende Monokulturen angebaut werden, denn wir wollen sie regelmäßig ernten und verfeuern. Dafür brauchen wir viel Dünger und Wasser. Und wir müssen die Biomasse transportieren und verarbeiten. All das bedeutet Emissionen. Eine neue Studie hat ergeben, dass BECCS, wenn man es unter Beachtung der anderen ökologischen Belastungsgrenzen einsetzt, ein Potenzial von unter einer halben Million Tonnen CO2 im Jahr hat – verschwindend wenig im Vergleich zum Umfang der negativen Emissionen, den die meisten Klimamodelle annehmen.

Minx: Es ist so, dass wir mit Bioenergie der ersten Generation – aus Holz, Mais, Raps oder ähnlichem – nicht weit kommen. Aber das heißt, wir müssen viel mehr erforschen, was Abfälle oder Algen als Energielieferanten beitragen können. Zudem ist CCS nicht nur für negative Emissionen wichtig, sondern auch für eine realistische Strategie, global die Kohleemissionen schnell zu senken. Ich arbeite an einem Projekt in Indonesien mit, und dort wird CCS nur akzeptiert, wenn gleichzeitig Kohlekraftwerke gebaut werden, aus deren Abgas das CO2 gefiltert wird. Wegen des Energiebedarfs wird die Kohleverstromung vor allem in Entwicklungsländern ausgebaut. Ich bin keinesfalls für den Ausbau der Kohlekraft, ganz im Gegenteil, aber wir müssen damit umgehen.

Geo-Engineering wird als Großexperiment mit dem Planeten kritisiert. Machen wir nicht längst so ein Experiment, indem wir das Klima aufheizen, und sind verglichen damit manche Techniken des Geo-Engineering weniger riskant?

Schneider: Nein. Zum einen würden wir mit Geo-Engineering bewusst und gezielt stark in Ökosysteme intervenieren; das ist beim Treibhausgasausstoß nicht der Fall. Zum anderen zeigt das ungewollte Experiment der Freisetzung von Treibhausgasen, wie gefährlich so etwas ist. Als Folge auf noch stärkere Eingriffe in das Erdsystem zu setzen, halte ich für keine gute Idee. Die Auswirkungen sind nicht absehbar.
Minx: Wir müssen den CO2-Ausstoß schnellstmöglich senken und so die Abhängigkeit von negativen Emissionen minimieren. Aber wir werden sie leider in gewissem Maße benötigen. Wenn wir darüber nicht reden, driften wir ins Postfaktische ab.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2018: Globale Politik von unten
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