Eine muss den Hut aufhaben

WHO
Immer mehr Aufgaben und zu wenig Geld: Warum die Weltgesundheitsorganisation trotzdem 70 Jahre nach ihrer Gründung wichtiger ist denn je.

Tedros Adhanom Ghebreyesus hat sich viel vorgenommen. „Gesundheit für alle“ lautet das Ziel: Jeder Mensch soll bis zum Jahr 2030 Zugang zu einer gesundheitlichen Grundversorgung haben, die er sich leisten kann. Der 53-jährige Äthiopier führt seit einem Jahr die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und erneuert damit ein Versprechen, das schon im Jahr 2000 erfüllt sein sollte, aber nicht eingelöst worden ist. Noch immer können mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit nicht zum Arzt oder in ein Gesundheitszen­trum gehen, wenn sie krank sind – weil die Entfernung zu weit ist oder weil es zu teuer ist.

In diesem Jahr begeht die WHO ihr 70-jähriges Bestehen. Bei der Weltgesundheitsversammlung Ende Mai in Genf soll es groß gefeiert werden. Und den Schwung möchte Ghebreyesus offenbar nutzen. Er will den Delegierten der 194 Mitgliedsstaaten ein neues Programm vorstellen, mit dem bereits bis 2023 eine Milliarde mehr Menschen Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten erhalten sollen. Über die Einzelheiten wird derzeit mit den Mitgliedern verhandelt. Doch auch wenn man sich einigt, könnte es schwierig werden – und das liegt vor allem am Geld. Die WHO muss in diesem und im nächsten Jahr mit jeweils 2,2 Milliarden US-Dollar auskommen und liegt damit knapp über dem Jahresbudget der Berliner Charité.

Zudem kann sie nur über ein Fünftel des Geldes frei verfügen; das sind die Pflichtbeiträge ihrer Mitgliedsländer. Der Rest setzt sich zusammen aus freiwilligen Beiträgen der Mitglieder, der Privatwirtschaft und philanthropischer Stiftungen, die zweckgebunden sind – so hat Deutschland etwa vor kurzem 3,2 Millionen US-Dollar für die Gesundheitsversorgung im Kriegsland Jemen zur Verfügung gestellt. Ein besonderer Dorn im Auge ist Kritikern die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die inzwischen nach den USA der zweitgrößte Geber ist und ihr Geld vor allem in Impfkampagnen steckt.

Die Stiftung nehme „massiven Einfluss“ auf die Ausrichtung und die Prioritäten der WHO, kritisieren etwa medico international und Brot für die Welt. Ihr medizinisch-technisches Verständnis vernachlässige soziale Bedingungen von Gesundheit wie den Zugang zu sauberem Wasser oder gesunde Ernährung. Wichtige Bereiche wie der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen blieben unterfinanziert.

Die WHO habe sich zu abhängig gemacht von den Interessen der Privatwirtschaft, sagen Gesundheitsexperten. Daran hätten auch die 2016 verabschiedeten Regeln zur Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren nichts geändert. Sie fordern, dass die Mitgliedsstaaten ihre Pflichtbeiträge erhöhen, damit die Organisation ihre Unabhängigkeit zurückbekommt. Doch das ist unrealistisch. Im vergangenen Jahr war es der WHO zwar gelungen, die Mitglieder zu einer Steigerung von drei Prozent zu bewegen – nach jahrzehntelangem Beharren auf demselben Niveau. Doch gebeten hatte sie ursprünglich um zehn Prozent mehr. Noch nicht einmal bei dem nach der Ebola-Epidemie eingerichteten Notfallfonds zeigen sich die Regierungen spendabel: In diesem Jahr wurden dafür bislang 23 Millionen US-Dollar bereitgestellt; Ziel für 2018/2019 sind 100 Millionen US-Dollar.

Zu wenig Geld also – und zu viele Aufgaben: Die WHO ist die zentrale globale Gesundheitsinstanz, die Richtlinien für die Diagnose und Behandlungen von Krankheiten erlässt. Sie empfiehlt, wie viel Zucker und Salz in einer gesunden Kost enthalten sein sollen. Sie kämpft gegen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Malaria, HIV/Aids, Zika, Kinderlähmung und Ebola und hat ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums durchgesetzt. Und sie äußert sich politisch: Jüngst hat sie den Giftgaseinsatz im syrischen Duma scharf verurteilt.

Zugleich muss sie um ihre Bedeutung kämpfen – denn in den vergangenen Jahren sind unter anderem mit der Impfallianz GAVI und dem Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria gewichtige Spieler auf dem Feld der globalen Gesundheit aufgetaucht, mit denen sie zwar zusammenarbeitet, aber auch um Einfluss und Geld konkurriert. Umso dringender ist es geboten, dass sich die WHO wieder mehr auf ihr Kerngeschäft konzentriert: Standards und Leitlinien setzen, Gesundheitssysteme stärken und vor allem die wachsende Zahl der Akteure koordinieren, damit „Gesundheit für alle“ keine Vision bleibt. Das kann sie natürlich nur tun, wenn sie von ihren Mitgliedern gestärkt wird. Und das wäre das passende Geschenk zum 70. Geburtstag.

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Flugzeug aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
erschienen in Ausgabe 5 / 2018: Müllberge als Goldgruben
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!