Zurück in den roten Zahlen

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Schuldenreport 2017
Viele Länder Afrikas sind erneut gefährlich hoch im Ausland verschuldet. Das liegt vor allem an Rahmenbedingungen, auf die sie kaum Einfluss haben.

Afrika galt noch vor wenigen Jahren als „Löwe auf dem Sprung“ – als Boomkontinent, der den Rendite-Appetit der internationalen Investoren anregte. Nun ist Ernüchterung eingekehrt und seit 2016 mehren sich Warnungen vor einer neuen Schuldenkrise.
Dabei ist es keine Generation her, dass eine schwere Schuldenkrise viele Länder in Afrika südlich der Sahara wirtschaftlich zerrüttet und dem Kontinent in den 1980er und 1990er Jahren verlorene Jahrzehnte beschert hatte. Damals gingen die Pro-Kopf-Einkommen zurück, Sozialsysteme brachen zusammen, die extreme Armut stieg an. Bescheidene Ansätze zur Industrialisierung wurden gestoppt oder zurückgedreht und der Anteil des informellen Sektors an der Wirtschaft wuchs.

Schließlich musste die Gebergemeinschaft quasi offiziell anerkennen, dass die von ihr, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auferlegten Strukturanpassungsprogramme gescheitert waren. Diese sollten durch Einsparungen im Staatshaushalt, Deregulierung und Privatisierung die Wirtschaft der verschuldeten Länder ankurbeln und so die Schuldenlast mindern. Sie produzierten aber im Gegenteil Stagnation, Staatsversagen und Arbeitsplatzverluste und verstärkten die Abhängigkeit vieler afrikanischer Länder von Rohstoffexporten. Vor allem trugen sie nicht dazu bei, die Schuldenlast zu mindern.
Stattdessen mussten die Schulden gestrichen werden, zunächst ab 1996 im Rahmen der HIPC-Initiative (Heavily Indebted Poor Countries, HIPC). Es folgte 2005 ein weiteres Programm, das auch die Schulden bei multilateralen Geldgebern – insbesondere dem IWF und der Weltbank – dadurch verringerte, dass Geberstaaten sie übernahmen. Beide Initiativen waren nicht auf Afrika begrenzt, aber von den 36 begünstigten Ländern lagen 30 in Afrika.

Auch wenn die Programme zunächst zögerlich anliefen, haben sie im Ergebnis die internationalen Schulden der Länder mit niedrigem Einkommen stark reduziert: Für diese Ländergruppe als Ganze sank der Anteil der Auslandsschulden am Bruttoinlandsprodukt von 94 Prozent 2001 auf 33 Prozent im Zeitraum 2010 bis 2013. Doch dann ist er bis Ende 2017 wieder auf 47 Prozent gestiegen. Dabei sind die Schulden in den afrikanischen Ländern am stärksten gewachsen (siehe Grafik). So ertönen wenige Jahre nach dem Ende der großen Entschuldungsprogramme erneut Alarmrufe, etwa im Februar 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung: „Es ist fünf vor zwölf in Afrika – ein Jahrzehnt nach dem letzten großen Schuldenerlass drohen in Afrika wieder Staatsbankrotte“.Zuerst hatte der Afrikareport der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) 2016 festgestellt, dass die Auslandsschulden zwar noch „handhabbar“ schienen, ihre rasche Zunahme in einigen Ländern Afrikas aber „besorgniserregend“ sei und ohne Gegenmaßnahmen das Wiederaufleben der Schuldenkrise der späten 1980er und 1990er drohe. Inzwischen hat sich die Lage weiter zugespitzt, wie der jüngste Finanzstabilitätsbericht des IWF zeigt. Der bezieht sich auf alle 59 Länder mit niedrigem Einkommen (LIDC), von denen aber 38 in Afrika liegen, darunter Nigeria als bevölkerungsreichstes Land des Kontinents.

Laut IWF hat sich die Zahl der Länder mit drohenden oder akuten Zahlungsproblemen seit 2013 stark erhöht. Damals gab es sieben Länder mit hohem Risiko übermäßiger Verschuldung; 2017 waren es 16, davon 13 in Afrika. Auch wirtschaftliche Hoffnungsträger wie Ghana und Äthiopien gehören dazu. Acht Länder haben bereits akute Zahlungsprobleme, das sind doppelt so viele wie 2013. Alle liegen in Afrika; drei von ihnen leiden unter Staatszerfall (Somalia, Simbabwe und der Südsudan). Zu den Problemländern gehören unter anderem der Tschad, die Republik Kongo (Kongo-Brazzaville) und Mosambik, denen noch vor kurzem einiges Entwicklungspotenzial zugeschrieben wurde.

Die erneuten Schuldenprobleme in Afrika haben sowohl gemeinsame Ursachen in weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch spezielle Gründe in einzelnen Ländern. Zu den gemeinsamen zählt vor allem der Rückgang der Rohstoffpreise nach 2014 – die Problemländer sind vor allem Rohstoffexporteure. Außerdem haben sich viele Staaten zunehmend auf den privaten Finanzmärkten verschuldet, der Anteil der rein kommerziellen Kredite an den Auslandsschulden ist stark gewachsen. Finanziert wurde damit eine expansive Haushaltspolitik.

Run auf Anleihen aus afrikanischen Ländern

Im Kern verweisen der Rückgang der Rohstoffpreise und der steigende Anteil privater Gläubiger unter den Kreditgebern auf Momente, die von afrikanischen Ländern nicht oder nur teilweise zu beeinflussen sind. Die internationale Spekulation lässt Rohstoffeinnahmen stark schwanken und macht armen Ländern eine kontinuierliche Finanzpolitik und die Planung von Investitionen fast unmöglich. Wie soll ein Staat seine Infrastruktur entwickeln, wenn die Haupteinnahmen innerhalb von Monaten um den Faktor zwei schwanken? Kommerzielle Kredite wiederum erschienen zeitweise sehr günstig und attraktiv: Viele private Investoren „waren so begierig, Kredite zu vergeben, dass sie die Risiken kaum beachteten“, wie IWF-Chefin Christine Lagarde im Frühjahr kritisiert hat.

Tatsächlich gab es einen regelrechten Run auf Anleihen, die afrikanische Länder am Markt anboten – womit Ghana 2007 den Anfang machte. Das hängt mit dem wachsenden Gewicht des Finanzsektors in der Weltwirtschaft zusammen: Finanzinvestoren waren und sind auf der Suche nach rentablen Anlagechancen und beachten Risiken bis heute wenig. Noch im November 2017 konnte Nigeria, das gerade dabei war, eine tiefe Krise zu überwinden, mittels Anleihen drei Milliarden US-Dollar einsammeln; geboten hatten die Investoren sogar für elf Milliarden.

Heute, da die US-amerikanische Zentralbank die Politik des billigen Geldes allmählich beendet und die Zinsen steigen, werden die Risiken der privaten Anleihen deutlich. Allerdings werden sie nicht von den privaten Investoren getragen, sondern von den verschuldeten Staaten beziehungsweise deren Bürgern. Abhilfe würden internationale Mechanismen schaffen, die die Rohstoffpreise stabilisieren, sowie die Einführung von internationalen Insolvenzverfahren für Staaten. Aber beides steht nicht auf der Agenda der Staatengemeinschaft.

Autor

Jörg Goldberg

ist Buchautor, entwicklungspolitischer Gutachter mit Schwerpunkt Afrika und Mitglied in der Redaktion von „Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung“. Zuvor hat er als wirtschafts- und sozialpolitischer Regierungsberater in Benin und Sambia gearbeitet.
Natürlich ändert das Versagen der Geber und Finanzmärkte nichts an der Mitverantwortung der verschuldeten Länder und ihrer Regierungen. Die neuen Kredite wären weniger problematisch, wenn sie in Afrika in notwendige öffentliche Investitionen geflossen wären. Den höheren öffentlichen Defiziten, die mit Schulden finanziert worden sind, stehen aber nach Angaben des IWF nur in 30 Prozent der Fälle entsprechende Investitionen gegenüber; bei weiteren 25 Prozent trifft dies zumindest teilweise zu. Diesen Angaben ist allerdings nicht ganz zu trauen, weil der IWF einen sehr engen Investitionsbegriff verwendet – natürlich ist auch die Bezahlung von Lehrern eine Investition in die Zukunft. Trotzdem wurden die Kredite nicht immer entwicklungspolitisch sinnvoll verwendet.

In einigen Ländern, darunter den Südsudan, Burundi, Liberia und Sierra Leone, spielen laut IWF Bürgerkriege, innere Konflikte und Epidemien (Ebola) eine Rolle und in zwei Fällen – Mosambik und Gambia – trugen Betrug und Korruption wesentlich zum Schuldenaufbau bei. Vor dem Hintergrund gesunkener Rohstoffpreise und erhöhter Abhängigkeit von den Finanzmärkten sind die Ursachen der Schuldenprobleme in Afrika also im Einzelfall unterschiedlich, wie ein Blick auf einige Fälle zeigt.

In der Republik Kongo schoss die Schuldenquote von beruhigenden 20 Prozent nach Abschluss der Entschuldungsmaßnahmen 2010 bis 2017 auf 115 Prozent hoch. Das Land, dessen Einnahmen zu zwei Dritteln aus Ölverkäufen stammen, hatte zu Zeiten hoher Rohölpreise große Investitionsprogramme aufgelegt. Als die Preise einbrachen, versuchte die Regierung zunächst, sich mit Hilfe von Vorschüssen der Zentralbank und privaten Krediten über Wasser zu halten, was aber nur kurze Zeit funktionierte. Der Abwertung des Euro, an den die lokale Währung Franc CFA gebunden ist, gegenüber dem US-Dollar tat ein Übriges: Die Auslandsschulden lauten meist in US-Dollar, eine Abwertung der lokalen Währung gegenüber dem Dollar erhöht daher automatisch die reale Schuldenlast. Heute ist das Land faktisch zahlungsunfähig und muss erneut Umschuldungen suchen.
Anders gelagert ist der Fall Mosambik. Das Land ist agrarisch geprägt, verfügt aber auch über Rohstoffe, darunter Kohle und seit einiger Zeit Erdgas. Zwischen 2013 und 2016 stieg die Schuldenquote von 53 auf 128 Prozent des Sozialprodukts; bis 2020 erwartet der IWF einen Wert von 190.

Zu diesem Anstieg hat der Verfall der heimischen Währung erheblich beigetragen. Auslöser der Schuldenkrise waren aber einige große Korruptionsfälle: 2013 wurden mit der Credit Suisse und der russischen Bank VTB Kreditverträge über mehr als zwei Milliarden US-Dollar abgeschlossen – angeblich zur Finanzierung eines Küstenschutzprojekts und später einer Fischereiflotte. Die geheimen Verträge wurden öffentlich, als der Deal in Frankreich, wo ein Teil der Flotte gebaut werden sollte, gefeiert wurde. Es stellte sich heraus, dass neben Fischereibooten auch Kriegsschiffe bestellt worden waren, die auf französischen Werften gebaut werden sollten. Pressefotos zeigen die strahlenden Staatschefs François Hollande (Frankreich) und Armando Guebuza (Mosambik) zusammen mit einem der Vermittler bei der Vergabe eines Großauftrags an eine Werft in Cherbourg.

Laut einem Untersuchungsbericht, mit dem die Firma Kroll beauftragt war, war ein Teil des Geldes (mindestens 500 Millionen US-Dollar) spurlos verschwunden. Als die geheimen Kreditvereinbarungen bekannt wurden, stellten der IWF und andere Geber die Zahlungen ein. Der Fall zeigt im Übrigen, dass Schuldzuweisungen an korrupte afrikanische Eliten nur ein Teil der Wahrheit sind; derartige Korruption in großem Stil ist nur möglich, wenn Banken, Unternehmen und Politik aus entwickelten Ländern mitmachen.

Ein besonders interessanter Fall ist Ghana, einer der großen Hoffnungsträger des Kontinents. Ghana gehört seit 2015 zu den Ländern unter hohem Schuldendruck. Das hat sowohl mit der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums als auch mit Problemen im Ölsektor zu tun. Die Gesamtschulden Ghanas haben sich zwischen 2007 und 2017 versiebenfacht. Ghana ist derzeit neben Nigeria eines der Länder, die einen großen Teil ihrer öffentlichen Einnahmen (24 Prozent) in den Schuldendienst stecken. Besonders problematisch ist, dass inzwischen fast die Hälfte der langfristigen Auslandsschulden von privaten Gläubigern gehalten wird. Veränderungen an den Finanzmärkten – wie der befürchtete Zinsanstieg – würden schnell zur Zahlungsunfähigkeit führen. Und Umschuldungsverhandlungen würden sich, anders als mit öffentlichen Gläubigern, sehr schwierig gestalten.

Weltbank und der IWF haben wenig gelernt

In Ghana zeigt sich aber auch besonders deutlich, wie wenig die Weltbank und der IWF aus den Schuldenkrisen der Vergangenheit gelernt haben. Sie empfehlen auch jetzt wieder, alles zu tun, um das „Vertrauen der Investoren“ zu stärken. Dazu gehört vor allem – wir kennen es bereits – die „Konsolidierung des Staatshaushalts“. Obwohl dem IWF bewusst ist, dass Kürzungen der Staatsausgaben das Wachstum drosseln und dies die Schuldenlast vergrößert, empfiehlt er solche Kürzungen.

Hinzu kommt, dass Ghanas Schulden gegenüber Wechselkursschwankungen besonders anfällig sind, worauf der IWF in seiner Länderanalyse hinweist: Zwischen 2014 und 2016 brach der CEDI gegenüber dem Dollar um 40 Prozent ein, jede schlechte Nachricht setzt die lokale Währung unter Druck. Eine Abwertung wäre auch die Folge, wenn sich das Wachstum als Folge der vom IWF empfohlenen Sparpolitik wieder verlangsamen würde. Die Feststellung des IWF, dass Ghana seine Wirtschaft diversifizieren sollte, um die Verwundbarkeit gegenüber „externen Schocks“ zu vermindern, ist so richtig wie banal: Dazu wäre eine gezielte, langfristig ausgerichtete Industriepolitik nötig, die durch eine entsprechende Haushaltspolitik untermauert werden müsste. Genau dem stehen die schuldenpolitischen Empfehlungen des IWF aber entgegen.

Die erneuten Schuldenprobleme in Afrika zeigen im Grunde, dass der rohstoffgetriebene Wirtschaftsaufschwung zwischen 2000 und 2014 nicht nachhaltig war: Er ist an der verarbeitenden Wirtschaft fast völlig vorbeigegangen und hat die Rohstoffabhängigkeit eher verstärkt. Zudem hat der Rückgriff auf private Auslandskredite die Länder noch verletzlicher für externe Schocks gemacht. Dafür sind manche Regierungen in Afrika mitverantwortlich.

Aber die Ratschläge des IWF zur Linderung des Problems sind weder hilfreich noch entwicklungsfördernd. Im Mittelpunkt steht, Sozialausgaben und Investitionen zurückzufahren. Das wird zu sozialen Konflikten führen, öffentliche Investitionen weiter verzögern und den notwendigen Ausbau der Infrastruktur sowie wirtschaftliche Entwicklung behindern. Die Erfahrungen mit den Strukturanpassungsprogrammen der 1980 und 1990er Jahre haben gezeigt, dass eine solche Sparpolitik die Schuldenprobleme im Ergebnis nur verschärft.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2018: Neu ist Kult
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