Der Schattenstaat der Taliban

Afghanistan
Die Forscherin Ashley Jackson hat Dutzende Taliban, Beamte und afghanische Bürger interviewt. Die Antworten zeigen, wie die Taliban die Bevölkerung für sich zu gewinnen suchen.

In Afghanistan kontrolliert die Regierung nur Teile des Staatsgebiets, die Rebellen der Taliban haben in anderen das Sagen. Wer aber denkt, dass mehr oder weniger klare Grenzen beide Zonen trennen, sollte die faszinierende Studie von Ashley Jackson lesen. Sie zeigt, dass die Taliban eine Art Staat im Untergrund aufgebaut haben und so auch in Regionen Macht ausüben, wo sie gar nicht militärisch kämpfen – vor allem auf dem Land. Teils durchdringen sich quasi die staatliche Verwaltung und die der Taliban, und diese ist oft wirksamer.

Die Forscherin der Humanitarian Policy Group am Overseas Development Institute in London hat über 160 Afghanen interviewt: mehr oder minder hochrangige Taliban, Mitarbeitende des Staates sowie Menschen, die zu keiner Partei gehören. Die Antworten zeigen, wie gut viele das Machtspiel begreifen, in das sie verwickelt sind. Taliban erklären, wie sie die Bevölkerung für sich zu gewinnen suchen und dabei von Fall zu Fall auf lokale Forderungen oder Sitten eingehen. Älteste schildern, wie sie zwischen konkurrierenden Herrschaftsansprüchen lavieren, um im Bürgerkrieg ein Minimum an Sicherheit und Sozialdiensten zu erreichen. Und Vertreter staatlicher Behörden berichten, dass sie sich mit der Schattenverwaltung der Taliban arrangieren müssen. Oft verständigen sich beide zum Beispiel, wer als Lehrerin oder Arzt eingestellt werden darf.

Die Taliban befürworten den Schulbesuch von Mädchen

Die Taliban haben laut Jackson einen Lernprozess durchlaufen. Sie wollen weiter islamische Moralvorstellungen durchsetzen, befürworten aber heute zum Beispiel den Schulbesuch von Mädchen unter der Bedingung, dass die getrennt von Jungen und nur von Frauen unterrichtet werden. Manchmal lassen sie sich darauf ein, dass nur ein Vorhang das Klassenzimmer teilt. Viele befragte Zivilisten sehen die Taliban als anmaßend und bevormundend, bescheinigen ihnen aber, dass sie das staatliche Schulsystem verbessern, viel weniger korrupt sind als die Regierung und bei Einmischungen ins Gesundheitswesen die Qualifikation des Personals im Auge haben. Keine Zugeständnisse machen sie aber, wenn jemand als „Spion“ verdächtigt wird. Dies, erklärt ein Taliban, liegt am Krieg: Informanten bringen die Rebellen in Lebensgefahr.

Afghanistans Staatspräsident visiert seit Kurzem Friedensverhandlungen mit den Taliban an. Glaubt man dieser Studie, dann vollzieht die Staatsspitze damit nach, was an der Basis schon passiert: Staatliche Stellen haben lokal und informell längst anerkannt, dass ohne Verständigung mit den Rebellen kein funktionierender Staat zu machen ist. Jackson liefert damit auch einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Staatsbildungsprozessen im Bürgerkrieg.

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