Saat der Unruhe

Die ungelöste Landfrage birgt in Südafrika politischen Zündstoff

Von Ben Cousins

Die Regierung von Nelson Mandela wollte 1994 innerhalb von fünf Jahren dreißig Prozent des Agrarlandes in weißem Privatbesitz an die schwarze Mehrheitsbevölkerung umverteilen. Davon kann heute keine Rede mehr sein: Die Landreform in Südafrika kommt kaum voran. Nötig wäre aber eine umfassende Agrarreform, die nicht nur die ungerechte Landverteilung korrigiert, sondern die gesamte Landwirtschaft stärkt.

Die Landfrage spielt in Südafrika seit je eine wichtige Rolle für Stabilität, Demokratie und Entwicklung. Seit dem 17. Jahrhundert war die Enteignung der einheimischen schwarzen Bevölkerung durch weiße Siedler entscheidend für den Aufbau einer rassisch polarisierten, ungleichen Gesellschaft. Zwischen 1948 und 1990 siedelte die Apartheid-Regierung Millionen Schwarzer auf dem Land und in den Städten um mit dem Ziel, nach Rassen getrennte Zonen und ethnisch definierte „Homelands" zu schaffen. Viele der Betroffenen verloren produktives Land, und die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die ländlichen Haushalten das Überleben gesichert hatte, wurde geschwächt. Dagegen wurden weiße kommerzielle Farmen aufgebaut und subventioniert und dadurch im Lauf der Zeit hochproduktiv. Das Erbe dieser Vergangenheit ist eine große Bitterkeit unter schwarzen Südafrikanern; der Wunsch nach Rückgabe von Land an seine rechtmäßigen Besitzer ist stark.

Aus diesem Grund hatte eine Landreform hohe Priorität für die Regierung von Nelson Mandela, die nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 an die Macht gekommen war. Bis heute steht die rassisch extrem ungleiche Landverteilung für die vielen Benachteiligungen und die Unterdrückung, denen die Schwarzen früher ausgesetzt waren und die Wiedergutmachung erfordern. Die Landfrage birgt deshalb erheblichen politischen Zündstoff - so wie in Simbabwe, das eine ähnliche Kolonialgeschichte wie Südafrika hat. Auch aus diesem Grund war „Versöhnung" 1994 ein wichtiges Motiv, die Landfrage anzugehen. Ein zweites Motiv ist die Annahme, dass die Umverteilung von Land, gepaart mit anderen Programmen für ländliche Entwicklung, zur Armutsreduzierung beitragen würde. Das ist plausibel, denn auf dem Land, wo rund vierzig Prozent der Bevölkerung leben, ist die Armut am größten. Zudem sind die Chancen für Landflüchtlinge auf Arbeit in der Stadt angesichts der hohen Arbeitslosigkeit eher begrenzt.

Das südafrikanische Landreform-Programm ist äußerst vielschichtig und ambitioniert. Erstens sollen Familien entschädigt werden, die nach 1913 enteignet wurden. Damals war das erste Landgesetz in Kraft getreten, das Enteignungen im großen Stil legalisierte. Zweitens soll durch Umverteilung der ungleiche Landbesitz entlang rassischer Grenzen korrigiert werden. Und drittens soll eine Reform der Pachtverhältnisse die Rechte all jener stärken, deren Lage als Pächter aufgrund diskriminierender Gesetze und Praktiken aus der Vergangenheit unsicher ist: Landarbeiter, Arbeitspächter, ländliche Haushalte, die auf Land in Privatbesitz wohnen, sowie Menschen, die in früheren „Homelands" auf kommunalem Land unter der Autorität traditioneller Chiefs (Häuptlinge) leben. (Landarbeiter wohnen auf dem Land der weißen Pachtherren; Arbeitspächter erhalten zudem als Teil des Lohns ein Stück Land zur eigenen Bewirtschaftung. Beide verlieren mit dem Arbeitsplatz auch das Wohnrecht; Anm. d. Red.)

Entschädigung beruht auf einem Rechtsanspruch: Das Gesetz sieht vor, dass die Opfer gewaltsamer Vertreibungen entweder ihre Landrechte zurückerhalten oder aber finanziell entschädigt werden. Bis 1998 wurden fast 80.000 Anträge eingereicht, 82 Prozent davon betreffen städtischen Grundbesitz. Bei den knapp 15.000 Anträgen, die ländlichen Grund und Boden betreffen, geht es aber um viel größere Gebiete und um viel mehr Betroffene - etwa 1,4 Millionen Menschen. Da etwa sieben bis zehn Millionen Landbewohner nach 1913 ihr Land verloren haben, ist die Zahl der Anträge kleiner als erwartet. Wird ein Rückgabeantrag bestätigt, handelt die Regierung mit dem Landbesitzer einen Kaufpreis aus. Der Antragsteller wiederum muss in einem Geschäftsplan darlegen, wie er das Land nutzen will.

Auf die Umverteilung von Land besteht dagegen kein Rechtsanspruch. Wer Land will, muss bei der Regierung einen Zuschuss beantragen. Damit werden Höfe gekauft, die „willige Verkäufer" anbieten. Enteignungen im öffentlichen Interesse, zu dem laut der Verfassung auch die Landreform zählt, sind zwar möglich, aber nur gegen Entschädigung. Bislang wurde eher wenig Land enteignet, um es umzuverteilen.

Ein wichtiger Teil der Landreform besteht darin, den neuen Besitzern dabei zu helfen, ihr Land produktiv zu nutzen. Das ist besonders wichtig für die Armutsreduzierung und um die Sorge zu entkräften, die Landreform könnte die Produktion für lokale Märkte und für den Export schwächen. Die Unterstützung für Bauern umfasst Kredite, Produktionsmittel wie Dünger und Pestizide, Bewässerung, Hilfe bei der Vermarktung, Information und Training. Letzteres ist entscheidend, da während der Apartheid viele landwirtschaftlichen Kenntnisse verloren gegangen sind.

Es ist nicht leicht, diese Elemente der Landreform stimmig und effektiv miteinander zu verbinden. Hinzu kommt die Zersplitterung von Zuständigkeiten in der Regierung: Die Landreform ist in Südafrika Sache des Ministeriums für Landangelegenheiten, Hilfe für wieder angesiedelte Bauern die des Agrarministeriums, und für die Wasserversorgung ist das Wasserministerium zuständig. Diese drei Ministerien tun sich schwer, gemeinsam die Nutznießer der Landreform zu unterstützen.

Die neue demokratische Regierung hatte sich 1994 ehrgeizige Ziele für die Landreform gesetzt. Anträge auf Entschädigung sollten innerhalb von zehn Jahren erledigt werden. Innerhalb von fünf Jahren sollten dreißig Prozent des Agrarlandes in weißem Privatbesitz umverteilt werden. Diese Ziele waren völlig unrealistisch. Es gab von Anfang an nur sehr kleine Fortschritte, und am Ende der Regierungszeit von Nelson Mandela war nur sehr wenig Land zurückgegeben oder umverteilt. Die Regierung von Thabo Mbeki, die 1999 ans Ruder kam, änderte deshalb die Ziele: Die Frist für die Bearbeitung der Entschädigungsanträge wurde bis 2008, später dann noch einmal bis 2011 verlängert und das Ziel von dreißig Prozent Umverteilung auf 2014 verschoben.

Bis 2008 wurden insgesamt 5,8 Millionen Hektar (rund fünf Prozent des kommerziell bewirtschafteten Agrarlandes) an Schwarze zurückgegeben oder umverteilt. Über neunzig Prozent der Entschädigungsanträge wurden erledigt; die meisten davon betreffen aber Areale in Städten, während die Mehrzahl der Anträge, die große ländliche Gebiete betreffen, noch unbearbeitet sind.

Die Zahl der Menschen, die von der Reform der Pachtverhältnisse betroffen sind, übersteigt wahrscheinlich noch die der Nutznießer von Landrückgabe und Umverteilung. Aber die Pachtreform ist bislang weitgehend wirkungslos geblieben. Die Gesetze und Programme zum Schutz der Pachtrechte von rund einer Million Landarbeiter- und Arbeitspächter-Haushalten wurden kaum umgesetzt; es gibt weiter Zwangsräumungen, so dass mehr Menschen Zugang zu Land verloren als durch die Landreform gewonnen haben. Die Gesetzgebung zu den Nutzungsrechten von kommunalem Land, die rund zwanzig Millionen Menschen betrifft, hat den Zugriff der Chiefs auf das Land gestärkt, ist aber derzeit Gegenstand einer Verfassungsklage und deshalb noch nicht umgesetzt worden.

Kritiker schelten die Regierung für die geringen Fortschritte bei der Landreform und warnen, dass die Landfrage genauso explosiv werden könnte wie in Simbabwe. Landaktivisten kritisieren, der Ansatz, auf willige Verkäufer und Käufer zu setzen, sei zu teuer, zu schwerfällig und außerdem ungerecht, weil sich die weiße Minderheit früher das Land ja auch gewaltsam angeeignet habe. Einige fordern, die Regierung solle stärker vom Mittel der Enteignung Gebrauch machen. Doch ein entsprechender Gesetzentwurf wurde 2008 auf Eis gelegt, nachdem sowohl die Opposition als auch weiße Farmer dagegen Sturm gelaufen waren: Sie werteten den Entwurf als Zeichen dafür, dass die Regierung sich in Richtung Landenteignungen wie in Simbabwe bewege.

Doch Enteignungen sollten wenn überhaupt nur das letzte Mittel sein in Fällen, in denen Verhandlungen über den Kaufpreis zu keinem Ergebnis führen. Sie würden die Landreform im Rechtsstaat Südafrika kaum beschleunigen: Enteignungen oder Entschädigungen, die nach Ansicht der Landbesitzer ungerecht sind, würden vor Gericht angefochten und von langwierigen Rechtsverfahren blockiert.Auch das geringe Budget für die Landreform (etwa ein Prozent des Staatshaushaltes) ist Anlass für Kritik. Das Finanzministerium ist aber wenig gewillt, mehr Geld bereitzustellen, da viele Agrarprojekte im Rahmen der Reform gescheitert sind und es an Belegen dafür mangelt, dass die Landreform zur Armutsreduzierung beiträgt. Die Kritiker der Regierung verweisen darauf, dass die neuen Bauern bislang kaum angemessene Hilfe nach ihrer Wiederansiedlung erhalten haben und viele Geschäftspläne nichts taugen.

Sollte die Landreform das Entstehen einiger großer und mittlerer kommerzieller Farmen in schwarzem Besitz zum Ziel haben, was die Zahl der Nutznießer beschränken würde? Oder sollte sie eher die kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern und so mehr Breitenwirkung erzielen? Darüber wurde heftig debattiert. Die Mbeki-Regierung hat dazu tendiert, das Entstehen kommerzieller Betriebe zu begünstigen. Das ANC-Manifest für die kommenden Wahlen hingegen betont die kleinbäuerliche Produktion als Teil einer umfassenden Agrarreform, die auf kommunalem Land wie auch auf Landreform-Betrieben verwirklicht werden soll.

Ein großes Hindernis für die Landreform liegt darin, dass die zuständigen Ministerien nur über unzureichende Kapazitäten verfügen. Es gibt zu wenig Personal, viele Mitarbeiter sind nicht angemessen ausgebildet, und die Personalfluktuation ist groß. Die landwirtschaftlichen Beraterdienste der Regierung sind unzureichend. Viele zuständige Beamte sehen die kleinbäuerliche, familiäre Landwirtschaft als ineffizient und altmodisch an, bevorzugen große Betriebe und sind nicht motiviert, etwas für eine Landreform zugunsten der Armen zu tun.

Ist es möglich, gleichzeitig das historische Erbe der Enteignungen anzugehen, das landwirtschaftliche Produktionsniveau beizubehalten und die ländliche Armut zu reduzieren? Ja, das ist möglich, und der ANC bewegt sich mit seiner Forderung nach einer umfassenden Agrarreform in die richtige Richtung. Die Details sind aber noch unklar, und auf die kommt es an. Zum Beispiel sollte die Einrichtung eines neuen Ministeriums für Agrarreform mit genügend gut ausgebildeten Mitarbeitern geprüft werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Agrarreform ist, dass ganze Regionen in den Blick genommen werden, um Umverteilung und Rückgabe von Land, Pachtreform, Hilfe für kleinbäuerliche Betriebe und den Ausbau der Infrastruktur miteinander zu verknüpfen. Das Umverteilungsziel von dreißig Prozent oder mehr ist erreichbar, ohne die Ernährungssicherheit oder den Export von Nahrungsmitteln zu gefährden, falls das Land planvoll und strategisch über den Markt erworben wird. Deshalb ist ein regionaler Ansatz so wichtig: um zu erkennen, wo welcher Bedarf besteht und wo sich welche Möglichkeiten eröffnen. Ganz unterschiedliche Produktionsniveaus sollten gefördert werden - von Kleinbetrieben bis hin zu Großfarmen, je nach dem Potenzial und dem Charakter der Betriebe.

Wenn die Landfrage weiter ungelöst bleibt, haben Populisten die Gelegenheit, das Thema für sich auszuschlachten. Die Folge wäre eine Politik, die viel verspricht, aber nur wenig einlöst. Das wiederum könnte zu Unzufriedenheit und Unruhe führen.

Ben Cousins ist Direktor des Institute for Poverty, Land and Agrarian Studies an der University of the Western Cape in Kapstadt.

 

 

erschienen in Ausgabe 3 / 2009: Südafrika: Neue Freiheit, alte Armut
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