Zivilgesellschaft braucht Solidarität

Herausgeberkolumne
Über 85 Prozent der Weltbevölkerung, etwa sieben Milliarden Menschen, leben jetzt in Ländern mit beschränkten, unterdrückten und geschlossenen zivilgesellschaftlichen Handlungsräumen. Das betrifft uns alle.

Dagmar Pruin ist Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe sowie Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V..

Unser Atlas der Zivilgesellschaft 2025 zeigt: Freiheitsrechte, Demokratie und Menschenrechte werden weltweit in einer Art angegriffen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Diese Krise der Zivilgesellschaft – ja, der Demokratie – geht uns alle an! Wer glaubt, es handele sich dabei um eine Momentaufnahme oder einen Ausnahmezustand, der allein den globalen Süden oder autokratische Regime und Diktaturen betrifft, täuscht sich. Laut dem CIVICUS Monitor, der die Zahlenbasis für den Atlas liefert, leben weltweit nur noch 3,5 Prozent der Menschen in Ländern mit offenem zivilgesellschaftlichen Handlungsraum. Für diese Menschen bestehen keine Einschränkungen bei Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. 

Auch Deutschland bleibt vom Abwärtstrend nicht verschont. Propaganda und Fake News unterwandern unsere Demokratie und im Bundestag sitzt mit der AfD eine vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Oppositionspartei, die Teile der Zivilgesellschaft mit allen Mitteln zu diskreditieren versucht. Umstrittene Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, insbesondere im Kontext von Klimaprotesten und Demonstrationen zum Nahostkonflikt, kommen hinzu. All das erklärt, warum der CIVICUS Monitor den Raum für die Zivilgesellschaft in Deutschland als „beeinträchtigt“ einstuft und das Land nur noch in die zweitoberste statt oberste von fünf Kategorien einordnet.

Ins Exil, ins Gefängnis oder in den Himmel

Der Druck auf die Zivilgesellschaft ist weltweit enorm und in erschreckend vielen Ländern tödlich. Unser Partner Canon Chris Kinyanjui, Generalsekretär des evangelischen nationalen Kirchenrats in Kenia, berichtet etwa: „Die Polizei lässt Menschen verhaften und entführen. Aktivistinnen und Aktivisten werden mit dem Tode bedroht, man findet Leichen am Straßenrand. Die Botschaft von Präsident William Ruto ist: Wer ihn kritisiert, der kommt ins Exil, ins Gefängnis oder in den Himmel.“ 

Auch finanziell steht die weltweite Zivilgesellschaft unter Druck. Mittel für Entwicklungszusammenarbeit werden vielerorts gekürzt, Geldtransfers an Partnerorganisationen erschwert. So beschreibt der Atlas, wie unsere Partner aus Georgien als „Agenten ausländischer Mächte“ gegängelt und schikaniert werden, weil sie Unterstützung aus Deutschland erhalten. Das hat System. Rechtsstaatliche Prinzipien werden weltweit ausgehöhlt, um die Arbeit der Zivilgesellschaft zu erschweren. Rechtsextreme, rechtslibertäre und populistische Kräfte gewinnen an Stärke und attackieren immer häufiger rechtsstaatliche Mechanismen: mit Gewalt, repressiven Gesetzen und autoritärem Regieren. Der diesjährige Atlas richtet den Fokus auf derlei Angriffe auf den Rechtsstaat, zeigt aber auch, wie zivilgesellschaftliche Organisationen bestehendes Recht nutzen, um durch strategische Klagen und Prozesse sozialen und ökologischen Fortschritt voranzutreiben. 

„Wir müssen uns gegenseitig schützen und Gegendruck erzeugen“ 

Angriffe auf die Zivilgesellschaft dürfen uns nicht egal sein. Zivilgesellschaft braucht Solidarität. Wir müssen uns gegenseitig schützen und Gegendruck erzeugen. Die Bundesregierung sollte sich kompromisslos für eine unabhängige und freie Zivilgesellschaft einsetzen im In- und Ausland. Dazu gehören auch unabhängige Gerichte und freie Medien. Deutsche Botschaften sollten sich in aller Welt noch stärker für diejenigen engagieren, die die Menschenrechte verteidigen. 

Zivilgesellschaft, das sind wir alle — ihre Verteidigung und ihr Schutz sind deshalb eine Gemeinschaftsaufgabe! Ob Organisationen, soziale Initiativen, Medien, Vereine, aber natürlich auch Kirchen und Bewegungen, wir sind aufgerufen zusammenzuhalten. Denn Zivilgesellschaft ist der Motor für faire und nachhaltige Entwicklung. Ohne Zivilgesellschaft kein Engagement gegen den Hunger, ohne Zivilgesellschaft kein Wahlrecht, kein Klimaschutz, keine Bildung für alle, keine Hoffnung auf ein besseres Morgen, kein Friede, kein Wandel.

Wenn wir die Demokratie weltweit stärken und schützen wollen, müssen wir bei der Zivilgesellschaft anfangen. Sie ist der Schlüssel.   

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